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New Deal von der Insel

Thomas Kohlmann25. August 2002

Voller Neid schauen deutsche Arbeitsmarktpolitiker Richtung Britische Inseln. Dorthin, wo Tony Blair seit seiner Wahl 1997 ein Jobwunder vollbracht hat.

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Vorbild Tony Blair: <br>auch Gerhard Schröder sucht neue Konzepte für den ArbeitsmarktBild: AP

Bereits drei Jahre nach ihrem Regierungsantritt verkündeten die Arbeitsmarkt-Strategen von "New Labour" stolz, ihr Ziel, eine Viertel Million junge Arbeitslose von der Straße zu bekommen, sei erreicht. Mittlerweile sind mehr als 400.000 junge Menschen vermittelt worden, klopft sich die britische Regierung selbst auf die Schulter - und verkauft den Briten und aller Welt ihren "New Deal" für den Arbeitsmarkt als glänzenden Erfolg.

Weiterbilden oder Laub fegen

Im New-Deal-Programm trainieren Arbeitslose in viermonatigen Kursen für den Jobeinstieg. Sie lernen, wie Bewerbungen geschrieben werden oder machen Computer-Kurse. Finden sie danach einen Job, schießt der Staat ein Jahr lang Geld zu den Lohnkosten dazu. Ohne Job-Angebot müssen sie entweder für eine gemeinnützige Organisation arbeiten oder gemeinnützige Arbeiten annehmen. Nur wenn sie sich weiterbilden, kommen britische Arbeitslose darum herum, Laub zu fegen oder die Zäune öffenlicher Parks zu streichen. Wer sich weigert, dem wird die Stütze gekürzt.

Zunächst auf Jugendliche ohne Job zugeschnitten, wurde die Initiative mittlerweile auch auf andere Altersgruppen ausgeweitet. Dreh- und Angelpunkt für die bessere Vermittlungsquote sind die britischen Job-Center mit gut ausgebildeten Arbeitsvermittlern. Sie betreuen maximal etwa 50 Klienten und halten regelmäßigen Kontakt zu ihren Schützlingen.

Nicht alle, die an einem New-Deal-Vermittlungs-Programm teilnehmen, bleiben auf Dauer in Lohn und Brot. Der britische Rechnungshof geht davon aus, das durch die Vermittlungsoffensive unter Tony Blair in den ersten zwei Jahren die Arbeitslosenzahl nur zwischen 8000 und 20.000 reduziert wurde - lediglich zehn Prozent der Teilnehmer.

Streit um Erfolg

Und so wird in Großbritannien und anderswo seit Jahren heftig diskutiert, welchen Anteil der New Deal an der niedrigen Arbeitslosenquote von zuletzt 5,1 Prozent hat: "Wieviel Anteil am Erfolg hat die Arbeitsmarktpolitik, wie stark wurde die britische Jobmaschine durch das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre geschmiert?," fragt Irene Dingeldey von der Universität Bremen, die sich seit Jahren mit dem britischen Arbeitsmarkt beschäftigt.

Allein im vergangenen Jahr, als die deutsche Wirtschaft nur noch um magere 0,6 Prozent wuchs, hatte das britische Bruttoinlandsprodukt um stattliche 2,2 Prozent zugelegt.

Das New Deal-Programm kostet Geld. Den jährlich etwas mehr als 330 Millionen Euro, die der britische Staat an Arbeitslosen- und Sozialhilfe spart, stehen Investitionen von über 510 Millionen Euro gegenüber. Die Steuerzahler legen also drauf beim vielgerühmten Job-Wunder:

Irene Dingeldey relativiert die Erfolgsbilanz von New Labour noch mehr: "Blair hat bei seinem Jobwunder stark von den sozialen Grausamkeiten der Regierung Thatcher profitiert. Die Schwächung der Gewerkschaften etwa hat zur Folge, dass heute die ehemals hohe Streikrate in Großbritannien zu den niedrigsten der EU zählt."

Heute werden die Löhne für mehr als die Hälfte der britischen Arbeitnehmer in den Betrieben ausgehandelt - die Entstehung eines Niedriglohnsektors, mit für Deutschland unverstellbaren Ausmaßen, war die Folge. Der enorme Lohnverfall am unteren Ende der Lohnskala in Großbritannien ist ohne Beispiel in der Europäischen Union. Nirgendwo sonst klafft die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen so weit auseinander wie auf den Britischen Inseln.

Gute Ideen ohne Wirkung

Gute Ideen gibt es auch in Deutschland. Doch sie bleiben Flickschusterei - neue Initiativen in alten Strukturen verpuffen nahezu wirkungslos: "Das deutsche Job-Aqtiv-Gesetz, mit dem die rot-grüne Bundesregierung die Job-Vermittlung auf Touren bringen wollte, konnte gar nicht greifen. Das war und ist angesichts der Strukturen der Bundesanstalt für Arbeit - viel Verwaltung, wenig Vermittlung - nie auch nur annähernd möglich gewesen. Das weiß der Gesetzgeber natürlich seit Jahren. Schließlich wird von jeder Regierung in Studien untersucht, ob Gesetze greifen oder nicht", kritisiert Irene Dingeldey.

Natürlich lässt sich mit Konzepten, wie dem New Deal, die Arbeitslosenquote drastisch senken. Die Schattenseiten des britischen Arbeitsmarktes bleiben aber bestehen: "Dazu gehören die vergleichsweise geringe Qualifikation britischer Arbeitnehmer, die durch New Deal und Welfare to Jobs nur geringfügig verbessert wurde. Produktivität und Konkurrenzfähigkeit bleiben nach wie vor weit hinter anderen EU-Ländern zurück. Die Armut existiert trotz des Blair'schen Job-Wunders weiter - die Sozialausgaben in Großbritannien sind deshalb noch immer sehr hoch. "Der "New Deal" muss sich jetzt erst wirklich beweisen - in Zeiten, in denen die Weltwirtschaft de facto stagniert", bringt es Irene Dingeldey auf den Punkt.