Neupositionierung vor der NRW-Wahl
15. Januar 2010Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nicht zu beneiden. Da fährt sie trotz Stimmenverlusten immer noch einen klaren Wahlsieg bei der letzten Bundestagswahl ein, schnürt die Wunschkoalition mit der FDP und wird trotzdem aus den eigenen Reihen heftig kritisiert. Sie führe zu wenig, lasse sich von den Koalitonspartnern auf der Nase herumtanzen und vernachlässige die konservative Klientel der Union.
Berliner Erklärung
Die CDU müsse eine Partei für jeden sein, konterte darauf die Kanzlerin während der CDU-Klausur am Freitag (15.01.2010) in Berlin. Als Volkspartei müsse sie auf ihre liberalen, christlichen und konservativen Wurzeln achten, aber eben auch jene Wähler im Auge haben, die von den anderen Parteien enttäuscht sind. Mit diesem Kurs, so Merkel, habe die Union bei der letzten Wahl im Herbst 33,8 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Marke von 40 Prozent zu überschreiten sei schwierig, "aber auszuschließen ist das auch nicht." Grundlage dafür soll die "Berliner Erklärung" sein, die die CDU während ihrer Klausur beschlossen hat.
Nach einer aktuellen Umfrage des Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) attestieren Zweidrittel der Befragten der schwarz-gelben Regierung einen Fehlstart. Nicht zuletzt deshalb ist für den kommenden Sonntag ein Sechs-Augen-Gespräch mit dem FDP-Chef Guido Westerwelle und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer anberaumt worden. Dabei wird es sicher auch um die umstrittene Steuerpolitik der Regierung gehen.
Steuern runter?
Beim Streit um die richtige Steuerpolitik positioniert sich die CDU so: Steuersenkungen ja, wie im Koalitionsvertrag festgehalten. Steuersenkungen nein, wenn die wirtschaftliche Lage so desaströs sein sollte, dass Steuersenkungen nicht möglich sind. Schließlich müsse die gesetzliche Schuldenbremse eingehalten werden – worauf der saarländische Ministerpräsident Peter Müller bestand. "Konsolidierung der Staatsfinanzen" heißt das Zauberwort, mit dem lästig werdende Steuersenkungen abgewiesen werden können.
Das alles ficht übrigens Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nicht an. Er besteht auf dem Koalitionsvertrag:"Unterschrieben haben wir, dass wir möglichst 2011 diese Entlastung durchsetzen wollen, und wir haben eine Größenordnung fixiert." Vorschläge, die geplante Steuersenkung zu verschieben oder das Volumen von rund 20 Milliarden Euro zu kürzen, wies Brüderle zurück. Mit dem Hinweis, die Steuerschätzung im Mai abwarten zu wollen, bleibt der Streit zwischen den Koalitionsparteien bis nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - ebenfalls im Mai - unter der Decke.
Partei der Arbeit
Auch die SPD hat ihre Bundestagsabgeordneten zu einer Klausur nach Berlin geladen. Der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier gab dabei die Parole aus, "die SPD bleibt die Partei der Arbeit in Deutschland." Und Parteichef Sigmar Gabriel fügt vollmundig hinzu:"Wir werden nicht zulassen, dass unser Land ruiniert wird."
Die neue Regierung habe einen fulminanten Fehlstart hingelegt. Anstatt Antworten auf die drängenden Probleme der Zeit zu geben, beschäftige sich die Kanzlerin lediglich mit taktischen Fragen. Die SPD hingegen arbeite nach der schweren Wahlniederlage daran, als Alternative in Deutschland wieder wahrgenommen zu werden.
Korrekturbedarf
Auf dem Weg dorthin geht die SPD auf Distanz zu Teilen ihrer ehemaligen Regierungspolitik. So sieht sie Korrekturbedarf beim Schonvermögen von Hartz IV-Emfängern. Gleichzeitig soll der in der Vergangenheit verloren gegangene Schulterschluss mit den Gewerkschaften wieder intensiviert werden. IG-Metall-Chef Berthold Huber mahnte bei der Klausurtagung einen Beteiligungsfonds an, mit dem sich die öffentliche Hand bei Liquiditätsproblemen kurzfristig an mittelständischen Unternehmen beteiligten könne. Ein weiterer Vorschlag stammt aus der Feder des hessischen Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, der für jene Arbeitslose, die sich beruflich weiterbilden, die Verlängerung des Bezugs des - höher bemessenen - Arbeitslosengeldes I im Auge hat.
Mit diesen Vorschlägen positioniert sich die SPD vor der NRW-Wahl gegen den selbst ernannten "Arbeiterführer", Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Insbesondere dessen Vorschlag, Hartz IV insgesamt zu renovieren, wies Parteichef Sigmar Gabriel zurück.
Weimarer Erklärung
Auch die Grünen sind mit ihrer auf 68 angewachsenen Fraktion zu einer Klausur in Weimar zusammengekommen und auch bei ihnen stand am Ende eine Grundsatzerklärung. Der Koalition trauen die Grünen keinen Neuanfang zu: "Wir erleben eine Regierung ohne Werte, Ziele und Ordnung. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP entpuppt sich als Krisentrio, das Deutschland faktisch zu einem Land ohne Regierung" gemacht habe. Heftig fiel die grüne Kritik an der Finanz- und Steuerpolitik aus. Sie setzen dagegen auf ein "verantwortungsvolles Haushaltskonzept", das zum Beispiel durch die Einführung einer Vermögensabgabe solide finanziert werden soll.
Ökologische Wachstumspolitik
Die Grünen wollen eine Bundestags-Enquete-Kommission einsetzen, die untersuchen soll, wie ökologisch verträgliches Wirtschaftswachstum aussehen könnte. Damit sind die Grünen wieder bei ihrem Urthema angekommen. Denn die Forderung nach ökologischen Wirtschaftsstrukturen war vor 30 Jahren eine ihrer Leitsätze. Aber das Projekt birgt nach wie vor politischen Sprengstoff, denn es ist umstritten, wie diese Politik organisiert werden soll: als linkes staatsorientiertes Programm? Oder soll es auf den Kurs der Partei, sich der Mitte zu öffnen, eher Rücksicht nehmen?
Auf den Klausurtagungen sind die Themen abgesteckt worden, die im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielen werden. Mitspielen wird dann auch die Linkspartei. Sie könnte der große Gewinner der Wahl werden, wenn die SPD aus ihrem Umfragetief nicht herauskommt und die Regierung ein weiteres Aufflammen der Steuerdiskussion nicht verhindern kann. Derzeit allerdings sind die Linken mit einer Personalie beschäftigt, denn ihr Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hat die Brocken hingeschmissen. Fraktionschef Gregor Gysi hatte ihm illoyales Verhalten gegenüber dem Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine vorgehalten.
Autor: Matthias von Hellfeld (ap, afp, dpa, apn)
Redaktion: Sabine Faber