Trauer in der Schule
18. November 2011Für Max ist der Tod nicht schwarz, sondern grün. So grün wie ein riesiges Fußballfeld, auf dem er in alle Ewigkeit kicken kann. Sophie möchte auf ihrem eigenen Pferd durch schöne Wälder reiten und Tom braucht keine Brücke mehr, um übers Wasser laufen zu können. Jedes der 34 Kinder einer Grundschulklasse in Düren bei Aachen hat eine andere Vorstellung von Ewigkeit. Nur in einem Punkt sind die Schüler sich einig: Das "große Nichts" gibt es nicht.
"Kinder machen sich sehr viele Gedanken um den Tod", sagt Uschi Keller von der Hospizbewegung Düren. "Sie möchten dazu mehr wissen als Erwachsenen lieb ist." Damit die vielen Fragen nicht länger unbeantwortet bleiben, hat die 62-jährige Rentnerin gemeinsam mit fünf weiteren ehrenamtlichen Mitarbeitern des Vereins gerade fünf Tage lang den Unterricht einer Schulklasse zum Thema "Tod und Trauer" gestaltet. Schon seit dem Start des deutschlandweiten Projekts "Hospiz macht Schule" im Jahr 2006 geht die Rentnerin etwa viermal im Jahr in die Grundschulen ihrer Region.
Wer nicht fragt, bleibt dumm
Uschi Keller ist eine von insgesamt rund 300 ehrenamtlichen Hospizmitarbeitern, die sich in dem Projekt der Bundeshospizakademie engagieren. Die Unterrichtswoche komme bei den Kindern immer sehr gut an, sagt Projektinitiatorin Bettina Hagedorn. Dagegen seien Eltern und Lehrer oft skeptisch. "Sie haben die Befürchtung, dass das Thema noch zu schwer für die Kinder ist und zu viele Ängste weckt."
Dabei hätten viele Grundschüler bereits Erfahrungen mit dem Tod gemacht, sei es durch das Sterben von Verwandten, eines Haustieres oder durch die Medien.
"Doch sie spüren, dass in den Familien nicht gerne darüber geredet wird, denn das Thema ist immer noch ein Tabu", fasst die Psychologin ihre Beobachtungen zusammen. In der Schule seien viele Lehrer ebenfalls sehr unsicher, wenn es um Tod und Trauer geht. "In unserem Projekt erfahren die Kinder, dass dieses Thema zum Leben gehört und sie alles fragen dürfen, was sie beschäftigt." Zum Beispiel, wann ein Mensch wirklich tot ist und wann nur "scheintot". Ob das Sterben Schmerzen bereitet, wie tief das Grab ist und warum der Sarg zerfällt und die Knochen übrigbleiben.
Der natürliche Kreislauf des Lebens
In fünf verschiedenen Unterrichtseinheiten beschäftigen sich die Grundschüler mit den Themen Tod und Trauer. Zunächst geht es um den Naturkreislauf von Werden und Vergehen. Dazu bringen die Kinder alte und aktuelle Fotos von sich mit und staunen darüber, wie sie sich entwickelt haben. Wenn es um Krankheit und Leid geht, kommt ein Arzt in den Unterricht. "Das macht den Kindern immer besonders viel Spaß", erzählt Uschi Keller. "Sie fragen ihn, warum sie selbst immer Schnupfen haben, warum man an Aids oder Krebs sterben kann, und ob er sich vor manchen Krankheiten selbst ekelt."
Erst am dritten Tag sprechen die Mitarbeiter mit den Kindern ausführlicher über das Sterben. In Filmen und Geschichten erfahren die Grundschüler, was ein Hospiz ist, was ein Bestatter macht und wie sich die verschiedenen Religionen das Jenseits vorstellen. Sie malen Bilder, singen Lieder und gestalten Pantomimen.
Trösten will gelernt sein
"Die Kinder sind sehr offen und neugierig", sagt Uschi Keller. "Und sie erfahren in der Projektwoche viel Neues übereinander." Etwa, dass in Mohammeds Himmel Allah mit den Engeln wohnt, er das aus Respekt vor seiner Religion aber nicht zeichnen darf. Lisas Opa ist neulich gestorben und darüber ist sie häufig traurig. Pauls Mutter hat Krebs, und er macht sich große Sorgen um sie. Diese Offenheit stärke spürbar die Klassengemeinschaft, sagt Psychologin Hagedorn. "Viele Lehrer berichten uns später, dass sich das soziale Klima an der Schule durch die Projektwoche deutlich verbessert hat."
Zumal die Kinder nicht nur Fakten über den Tod erfahren, sondern auch lernen, wie sie sich selbst und andere trösten können. "Vom Traurig-Sein" sowie "Trost und Trösten" bilden den Abschluss der Unterrichtsreihe. Bilder malen, Briefe schreiben, sich gegenseitig einladen oder einen Setzling pflanzen – all das gehöre dazu, erzählt Uschi Keller. "Denn im Mittelpunkt steht immer die Hoffnung, dass nach jedem Abschied etwas Neues beginnt."
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Gudrun Stegen