Wird "Begrapschen" eine Straftat?
28. April 2016Das deutsche Sexualstrafrecht weise "eklatante Schutzlücken" auf, erklärte Justizminister Heiko Maas (SPD). Diese zu schließen, sei "längst überfällig" und bereits vor den Ereignissen der Silvesternacht in Köln geplant gewesen. Dass in Deutschland nur zehn Prozent der Vergewaltigungen angezeigt würden, sei eine Folge dieser Lücken im Strafrecht, sagte Maas bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag. Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung liege bei lediglich acht Prozent.
Muß das Opfer sich wehren?
Bisher ist es so, dass eine Vergewaltigung unter bestimmten Umständen gar nicht als solche geahndet und bestraft werden kann. Das ist dann der Fall, wenn der Täter den Willen des Opfers nicht mit Gewalt bricht. In der Praxis kommt das häufig vor, etwa, wenn das Opfer überrumpelt wird oder wenn es sich aus Angst oder anderen Gründen nicht wehrt.
"Diese Anforderung an das Opfer schiebt die Schuld für das, was passiert, doch in die völlig falsche Richtung", kritisierte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker die derzeitige Rechtspraxis. "Sie macht dem Opfer den Vorwurf, sich falsch verhalten zu haben."
In diesem Punkt will der Justizminister nachbessern: Die physische Gegenwehr des Opfers soll in bestimmten Situationen, etwa bei Überrumpelung oder am Arbeitsplatz, keine Voraussetzung mehr für eine Verurteilung des Täters wegen Vergewaltigung sein.
Frauen besser schützen
Anders als Eigentum, das per se ein schützenswertes Rechtsgut ist, gilt das in Deutschland für die sexuelle Selbstbestimmung nicht. Auf diese Schieflage wiesen viele Redner hin. Das führe dazu, sagte die Sozialdemokratin Eva Högl, dass die Opfer sexueller Übergriffe vor Gericht zum Beispiel begründen müssten, warum sie sich an einem bestimmten Ort aufgehalten oder bestimmte Kleidung getragen hätten. "Das ist inakzeptabel und führt dazu, dass wir wenige Anzeigen und wenige Verurteilungen haben."
Der jetzige Gesetzentwurf schließt einige Lücken, aber bei weitem nicht alle. "Sie bleiben hier auf halber Stecke stehen", wandte sich die Grüne Ulle Schauws an den Justizminister. "Sie stellen weiter auf die Frage ab, ob und warum das Opfer keinen Widerstand geleistet hat", argumentierte die frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. "Grundsätzlich reicht es Ihnen nicht aus, wenn das Opfer Nein sagt."
"Nein heißt Nein"
Ein Nein müsse aber ausreichen, hieß es vielfach in der Debatte. So steht es auch im Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der sogenannten Istanbul-Konvention. Diese Haltung vertritt auch das vom Deutschen Frauenrat gegründete "Bündnis Nein heißt Nein".
Der Gesetzentwurf sei zwar "ein erster Schritt in die richtige Richtung", vollziehe aber "keinen grundlegenden Paradigmenwechsel", heißt es in einem Brief des Bündnisses an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und alle Bundestagsabgeordneten.
Nach der Istanbul-Konvention müssen die Staaten alle sexuellen Handlungen gegen den Willen der Betroffenen unter Strafe stellen. Die Konvention wurde bislang von Deutschland nicht ratifiziert.
Auch "Begrapschen" soll Straftatbestand werden
Nicht bei den Oppositionsparteien, die eigene Gesetzentwürfe in den Bundestag einbrachten, gibt es Kritik. Auch aus den Regierungsfraktionen kam die Forderung, den Gesetzentwurf nachzubessern. So müsse die sexuelle Belästigung noch aufgenommen werden. Das "Begrapschen", wie in der Kölner Silvesternacht massenhaft geschehen, kann bisher allenfalls als Beleidigung geahndet werden, nicht aber als Sexualstraftat.
Die Justizminister aus Bayern und Sachsen fordern, sexuelle Belästigung als eigenen Straftatbestand in dem Entwurf zu verankern. Unerwünschte Berührungen - also zum Beispiel der Griff an Busen oder Hintern - sollten mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Für die Betroffenen sei es schlicht nicht nachvollziehbar, wenn die Justiz diese Fälle als 'unerheblich' abtue, sie müssten strafrechtlich verfolgt werden.
Bundesjustizminister Heiko Maas räumte Nachbesserungsbedarf ein. "Es gibt an vielen Stellen Reformbedarf", so Maas. Dennoch sei es wichtig, erste Lücken im Sexualstrafrecht nun "so schnell wie möglich" zu schließen.