Neue Brandmauer gegen Schuldenkrise
27. Juni 2012Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll eine internationale Finanzorganisation werden, ähnlich dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Noch besteht der ESM aber nur auf dem Papier. Den Vertrag zur Errichtung des ESM haben noch nicht alle notwendigen Staaten ratifiziert. Erst wenn 90 Prozent des Stammkapitals, das sind 630 von geplanten 700 Milliarden Euro, zugesagt sind, wird der ESM gegründet. Deshalb gibt es für diese Gründung auch noch keinen festen Termin. Der Chef des bisherigen vorläufigen Rettungsfonds, Klaus Regling, sagte, er gehe davon aus, dass der ESM im Juli starten könne. Einen geschäftsführenden Direktor hat der ESM auch noch nicht. Es könnte aber sein, dass Klaus Regling diese Aufgabe zumindest vorübergehend übernimmt.
Der permanente Rettungsfonds (ESM) soll über 700 Milliarden Euro verfügen können. 80 Milliarden Euro werden als Eigenkapital in bar von den Anteilseignern, also den 17 Staaten der Euro-Zone eingezahlt. Die restlichen 620 Milliarden Euro sind Garantien oder Bürgschaften, die die Staaten unwiderruflich zusagen. Die ausleihbare Summe wird, weil bestimmte Mittel als Sicherheit zurückgehalten werden, bei rund 500 Milliarden Euro liegen. Das Eigenkapital in Höhe von 80 Milliarden Euro wollen die Staaten in fünf Raten einzahlen. Der Anteil Deutschlands am Eigenkapital liegt bei 23 Milliarden Euro.
Zweifel an der Größe
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Patrick Sensburg hat den ESM-Vertrag auf Herz und Nieren geprüft. Für den Europarechtsexperten ist der ESM eine gute Schutzmauer gegen die Schuldenkrise. "Der ESM stellt zusammen mit den weiteren Beschlüssen zur Ratifizierung und zusammen mit dem Fiskalpakt einen guten Rahmen dar, damit wir dieser Situation Herr werden können."
Schon jetzt gibt es Zweifel, ob der ESM überhaupt groß genug ist, um künftige Rettungsmaßnahmen zu finanzieren. Der ESM verfüge zwar über mehr Möglichkeiten als der bisherige vorläufige Fonds EFSF, sagt der Brüssler Ökonom Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik "Bruegel". Er schränkt aber ein: "Die Frage, die sich stellt, ist aber, ob der ESM groß genug ist, um tatsächlich Ruhe in den Märkten einkehren zu lassen. Ich glaube, dass er das nicht sein kann, wenn die Situation in weiteren EU-Staaten eskaliert, vor allem eben in Spanien oder gar Italien."
Deutschland kann nicht überstimmt werden
Die Entscheidungen, welches Euro-Land Hilfskredite bekommt, trifft der Gouverneursrat des ESM. Ihm gehören die Finanzminister der Euro-Staaten oder ihre Vertreter an. Deutschland kann als größter Anteilseigner mit knapp 30 Prozent im Gouverneursrat nicht überstimmt werden, erklärt Patrick Sensburg, der Vorsitzender des Europarechts-Ausschusses des deutschen Parlaments ist. "Wichtig war uns als Deutscher Bundestag, dass wir in allen wichtigen Entscheidungen im Vorfeld das Plazet geben müssen", sagte Sensburg der Deutschen Welle. "Das ist im ESM-Finanzierungsgesetz geregelt. Dort ist geregelt, dass der deutsche Vertreter im Gouverneursrat seine Stimme nur geben kann, wenn der Deutsche Bundestag für Stabilitätshilfen (Art.13) auch im Vorfeld grünes Licht gibt."
Für die vergebenen Kredite haften die ESM-Staaten gemeinschaftlich mit ihren Kapitalanteilen. Die Kredite werden wie bisher auch nur gegen Auflagen vergeben. Das heißt Staaten, die Kredite erhalten, müssen ihre Haushalte sanieren und Reformen im Finanzsektor oder in der Wirtschaft umsetzen. Der ESM kann anders als sein Vorgänger EFSF auch direkt Staatsanleihen klammer Staaten aufkaufen, also relativ kurzfristig am Finanzmarkt handeln.
ESM ist eine Bank
Im Moment ist nicht vorgesehen, dass der ESM sich selbst Geld bei der Europäischen Zentralbank leiht und dieses dann an bedürftige Staaten weiterreicht. Mit dieser "Bankenlizenz" könnte der ESM sehr viel größere Summen mobilisieren. "Es ist grundsätzlich möglich, dass der ESM sich zur Erfüllung seiner Aufgaben an den Kapitalmärkten, bei Banken oder sonstigen Personen Kapital besorgt", erläutert der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg. "Das wollen wir aber nicht, weil wir meinen, dass wir mit dem auszahlbaren Volumen von 500 Milliarden Euro auch wirklich hinkommen. Es kann nicht sein, dass sich der ESM über diesen Weg peu a peu ein höheres Volumen verschafft und die Unterzeichnerstaaten dafür haften."
Rechtlich möglich wäre es aber schon, dass der ESM seine Banklizenz nutzt und sein Volumen vergrößert. Dieses letzte Mittel könnte irgendwann zum Einsatz kommen, glaubt Janis Emmanouilidis, der beim Think-Tank "Bruegel" in Brüssel arbeitet. "Ich glaube, wenn man an den Punkt kommt, dass man die Märkte weiter beruhigen muss, dann wird auch diese Option möglicherweise gezogen werden. Ob das letztlich das Allheilmittel ist, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es in der gegenwärtigen Situation nur verschiedene Elemente sein können, die am Ende die Rezeptur darstellen", so Janis Emmanouilidis.
Um sich vor möglichen Verlusten zu schützen, haben die Euro-Staaten erklärt, dass Schulden beim ESM künftig vorrangig zurückgezahlt werden müssen. Sie hätten also Vorrang vor Staatsanleihen, die private Anleger in Griechenland, Spanien oder Italien kaufen. Das könnte dazu führen, befürchten Finanzexperten, dass private Gläubiger diese Anleihen künftig meiden und die Kosten für diese Anleihen weiter steigen statt zu sinken. Außerdem sollen Staatsanleihen der Euro-Zone in Zukunft eine Klausel enthalten, die vorschreibt, dass sich private Anleger an einem möglichen Schuldenerlass beteiligen. Auch das könnte die Staatsanleihen für Anleger weniger attraktiv machen.
Der vorläufige Rettungsfonds EFSF läuft parallel zum permanenten Rettungsfonds ESM noch bis Juli 2013 weiter. Von seinen ausleihbaren Volumen von 440 Millionen Euro sind noch rund 240 Millionen Euro übrig, die zum Bespiel für die Bankenrettung in Spanien genutzt werden könnten.