1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

Neuer Atomdeal mit Iran in weiter Ferne

27. Dezember 2022

Die Protestbewegung und ihre Unterdrückung im Iran machen die Atomdiplomatie nicht einfacher. Insbesondere die Aufhebung der Sanktionen erscheint derzeit undenkbar.

https://p.dw.com/p/4LR9h
Fahnen von USA und Iran | Radioaktivitaet-Warnschild| Symbolbild
Bild: Bildagentur-online/Ohde/picture alliance

Die Wiederinkraftsetzung der internationalen Atomvereinbarung mit dem Iran hat für Washington derzeit keine Priorität, stellte Präsident Bidens sicherheitspolitischer Sprecher John Kirby kurz vor Weihnachten klar. "Wir erwarten hierbei keinerlei Fortschritte in naher Zukunft", so Kirby weiter. "Dass man mit dem Iran demnächst eine neue Vereinbarung trifft, während dessen Regierung die eigene Bürger tötet und Russland mit Drohnen beliefert,  sehen wir nicht."

Damit rücken die Hoffnungen Teherans auf eine Erleichterung des Sanktionsregimes in weite Ferne. Unterstützung findet diese Politik auch in Deutschland. So sprach sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bereits im Oktober dafür aus, die Gespräche über die Atomvereinbarung mit dem Iran zu beenden. Auch der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach sich indirekt für ein Ende der Gespräche aus: "Nur über das Atom-Abkommen zu sprechen und die eklatanten Menschenrechtsverletzungen im Iran zu ignorieren, das ist aus meiner Sicht der falsche Weg."

Sorge vor iranischer Atombombe

Dennoch haben sich Bundeskanzler Scholz und sein Kabinett noch nicht endgültig von den Atomgesprächen verabschiedet: Die Sorge, Iran könnte sich atomar bewaffnen, überwiegt immer noch alle anderen Erwägungen, so auch die Unterstützung für die massiv unterdrückte Protestbewegung. Die Sorge vor einer atomaren Bewaffnung Irans teilen auch andere EU-Staaten.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell und Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian bei Gesprächen im Jordanien
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell (l) ) und Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian (r) bei Gesprächen im JordanienBild: Iranian Foreign Ministry/AFP

So traf der Spitzendiplomat der Europäischen Union, Josep Borrell, vor Weihnachten in Jordanien mit dem iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian zusammen, um die Zukunft der festgefahrenen Gespräche über die Wiederbelebung des Atomdeals zu erörtern, der seit Trumps Ausstieg aus demselben 2018 schwer beschädigt ist. Abdollahian bezeichnete die Gespräche als "positiv und zukunftsorientiert". Teile der Regierung in Teheran, deutete er an, strebten eine Einigung an.

Das Gespräch fand vor dem Hintergrund erhöhten Drucks aus Teheran statt. Im November hatte die Regierung eine Uran-Anreicherung auf einen Reinheitsgrad von 60 Prozent verkündet. 80 Prozent sind nötig für den Bau einer Atombombe. Damit verstößt Teheran   - wie schon bisher mit einer Vielzahl von ähnlichen Schritten seit 2019 - gegen die Atomvereinbarung von 2015.

Kein "Plan B" im Westen

Der Zeitpunkt für Teherans neuerlichen Verstoß dürfte nicht zufällig gewählt worden sein, sagt der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad im DW-Interview. Die Regierung in Teheran nutze die in den westlichen Hauptstädten herrschende Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft der Atomgespräche. Eines der zentralen Bedenken: Treibt Iran sein Atomprogramm weiter, könnten auch andere Staaten in der Region über entsprechende Schritte nachdenken. Allerdings hat sich etwa Saudi-Arabien  bereits im Herbst 2020 dementsprechend geäußert. "Das ist definitiv eine Option", sagte damals der saudische Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, der Deutschen Presse-Agentur. "Das befürchtete Wettrüsten ist in gewisser Weise bereits in Gang", konstatiert Fathollah-Nejad.

Wiederaufbereitungsanlage in Natans, eine der Zentralen der iranischen Urananreicherung - das Foto stammt aus einer Videokonferenz und ist deshalb blaustichig
Wiederaufbereitungsanlage in Natans, eine der Zentralen der iranischen Urananreicherung Bild: Alfred Yaghobzadeh/SalamPix/abaca/picture alliance

Bislang habe Teheran bewusst eine Politik der nuklearen Eskalation verfolgt: "Nicht, weil es unbedingt eine Atombombe bauen wollte, sondern weil es erkannt hat, dass der Westen keinen Plan B hat." Diese Schwäche nutze Teheran konsequent aus. "Durch diese Strategie der sogenannten nuklearen Eskalation hofft man in Teheran, am Verhandlungstisch vom Westen möglichst viele Konzessionen zu erhalten."

Eine Aufhebung der Sanktionen und die dann fließenden neuen Einnahmen kämen allerdings in erster Linie dem Regime zugute, sagt Fathollah-Nejad. Dessen seien sich auch die Demonstranten bewusst, die darum auf ein Ende der Atomgespräche drängen. "Weite Teile der Bevölkerung hoffen auf eine internationale Delegitimierung und Isolierung des Regimes, die ihren Ausdruck vor allem in den derzeitigen anhaltenden Sanktionen finden. Denn sie fürchten, dass andernfalls Gelder in das Land fließen, die das Regime gerade angesichts der revolutionären Bedrohung vor allem dazu nutzen wird, sich selbst zu schützen."

Hoffnung auf aufbegehrende Bevölkerung

Kommt es bei den Atomgesprächen aber zu keiner Einigung, dürfte das Regime sein militärisches Atomprogramm fortsetzen, schreibt die Politologin Azadeh Zamirirad von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Aufsatz für die "Süddeutsche Zeitung". Dann wäre die Islamische Republik auf direktem Weg zu einem nuklearen Schwellenstaat. "Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit von militärischen Angriffen auf iranische Nuklearanlagen etwa durch Israel, die ihrerseits mit dem Risiko von iranischen Vergeltungsschlägen und einer größeren regionalen Eskalation einhergehen." Davon müsse sich die deutsche Politik nicht abschrecken lassen, sie müsse aber mögliche Folgen einkalkulieren, schreibt Azadeh Zamirirad. "Militärschläge werden Irans Atomprogramm indes nicht aufhalten, bestenfalls verzögern können."

Wiederaufbereitungsanlage in Natans, eine der Zentralen der iranischen Urananreicherung
Überbringer schlechter Nachrichten aus dem Iran: IAEA-Chef Rafael GrossiBild: Lisa Leutner/AP Photo/picture alliance

Die westlichen Staaten sehen sich in Teheran einer Führungsmacht gegenüber, die ihre Interessen rücksichtslos verfolgt. Die ihr auferlegten Sanktionen aufzuheben, wäre ein Schlag gegenüber der Protestbewegung  im Iran. Dies zu tun, so Omid Nouripour, einer der beiden Bundesvorsitzenden von Bündnis 90 / Die Grünen, wäre ein schwerer politischer Fehler. Denn die einzige Chance, eine Atommacht Iran zu verhindern, seien die Menschen auf den Straßen im Iran.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika