Neue Nachbarn
11. August 2007Zwischen dem polnischen Stettin und dem deutschen Pasewalk liegen nur 20 Kilometer - aber auch eine Staatsgrenze. Doch die hat für viele in der Region nur noch einen symbolischen Charakter. "Wir feiern zusammen, putzen zusammen und leben mittlerweile wie richtige Nachbarn", beschreibt eine Polin ihren deutsch-polnischen Alltag in Pasewalk, wohin sie vor einem Jahr umgesiedelt ist.
Gute Adresse für Kleinunternehmer
Das Umland der deutschen Kleinstadt gilt seit neustem im grenznahen Polen als eine begehrte Adresse. Seit der EU-Osterweiterung haben sich im deutschen Grenzgebiet mehrere hundert Polen angesiedelt. Jeder vierte von ihnen ist selbstständig - einige als Ich-AG im Krankenpflegebereich, andere haben kleine Handelsunternehmen gegründet. So wie Andrzej Piekarski, der in Pasewalk einen Internetshop hat: "Der deutsche Kunde kauft lieber bei einem deutschen Unternehmen", stellt er fest. "Er hat dann mehr Vertrauen, dass es klappt. Das hängt vor allem mit dem Verbraucherschutz zusammen."
Doch nicht nur Kleinunternehmen wittern in der Grenzregion gute Geschäfte. Auch Industriebetriebe entdecken die Vorteile einer Ansiedlung in Deutschland. Jaroslaw Wieczorek ist ein Zulieferer der deutschen Autobranche. In Posen beschäftigt er 60 Leute. Doch vor ein paar Wochen gründete er ein zweites Unternehmen in Pasewalk und stellte auf Anhieb sieben Leute ein. Dreimal so viele sollen es bald werden.
Bessere Preise für "Made in Germany"
"Es gibt einige Vorteile, die es lohnenswert machen, in Deutschland eine Produktion zu starten", erklärt Wieczorek. Die gesamte Infrastruktur sei sehr gut und teilweise billiger als in Polen. "Dort fehlen uns Fachkräfte", sagt Wieczorek, "und deshalb steigen die Löhne sehr schnell an. Hier bekomme ich Zuschüsse, wenn ich Arbeitslose beschäftige und neue Leute ausbilde." Außerdem stammten 90 Prozent seiner Kunden aus Deutschland. "Wenn ich ihnen als polnisches Unternehmen die Waren verkaufe, wollen sie den Preis bis zu 20 Prozent nach unten drücken, wenn ich als eine deutsche Firma auftrete, bekomme ich mehr. Und auch wenn ich in andere Länder exportiere, erziele ich bessere Preise, wenn darauf 'Made in Germany' steht."
Die Mitarbeiter von Wieczorek sind zufrieden: "Wir verdienen hier gutes Geld und die Arbeitsbedingungen sind gut", sagt einer von ihnen. "Und ob ich jetzt beim Schweden, Dänen oder Polen beschäftigt bin, interessiert mich als Arbeitnehmer weniger."
"Mit leer stehenden Häusern sieht der Ort traurig aus"
Wieczorek überlegt sogar, mit der gesamten Familie nach Deutschland umzusiedeln. So, wie schon einige hundert Polen, die zunehmend in die Region kommen. Vor allem Stettiner zieht es ins deutsche Umland, denn die Grundstückpreise sind hier billiger als in Polen. Alicja Spicak-Brezinska berät polnische Umsiedler bei der Suche nach einem passenden Zuhause. In Pasewalk, sagt sie, ständen viele Häuser leer, die die Einheimischen nach der Wende verlassen hätten. "Mit leeren Häusern sieht der Ort irgendwie traurig aus. Diese Häuser sind sehr günstig zu haben, deshalb interessieren sich viele Polen aus Stettin dafür. Vor allem junge Leute mit Familien, die in Stettin arbeiten, sich dort aber kein eigenes Haus leisten können."
Und was halten die deutschen Nachbarn davon? In der Innenstadt von Pasewalk weckt das Thema weder Begeisterung noch andere Emotionen. "Sollen die doch machen, was sie wollen, solange sie mich in Ruhe lassen" sagen einige, andere sprechen von einem "guten Miteinander". "Man fährt auch selber nach Polen zum Einkaufen", fügt ein Passant hinzu, oder: "jetzt lasse ich mich dort auch tätowieren."
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Seit der Wende hat gut ein Viertel der Bevölkerung die Region verlassen. Vor allem junge Menschen mit Ausbildung gingen in die alten Bundesländer. Das führte in der Region zu einem Fachkräftemangel.
Auch da setzt man auf die Zusammenarbeit mit Polen. "Selbst wenn wir einen großen Investor bekommen könnten, wir könnten ihm gar nicht genügend Arbeitskräfte stellen", stellt Hermann Ohrnen, Projektmanager bei der Stadt Pasewalk, fest. "Wenn ein Investor 1800 Arbeitsplätze schaffen würde, könnten wir vielleicht 700 Arbeitsplätze aus der Stadt besetzen, die restlichen müssten von woanders her kommen. Da bietet sich Stettin super an. Und der Hafen von Stettin ist für uns auch ein wichtiger Aspekt."
Zusammenführung der Herzen?
Über den steigenden Zuzug der Polen ins deutsche Grenzgebiet macht man sich in Stettin keine Sorgen. Dort hofft man, dass viele Menschen irgendwann doch in die große Stadt Stettin zurückkommen werden. Der deutsche Projektmanager Ohrnen sieht es ähnlich. Und insgeheim hofft er, dass der rege Austausch in der Grenzregion bald auch noch ein paar weitere Probleme lösen könnte: "Wir haben hier durch den demographischen Wandel das Problem, dass sehr viele junge Frauen weggegangen sind. Auf 100 Männer kommen bei uns 74 Frauen - in Stettin ist es genau umgekehrt. Vielleicht", überlegt Ohrnen und lacht, "gibt es da auch noch Aspekte, die man gemeinsam entwickeln kann."