Himmelsscheibe von Nebra: Jünger als gedacht?
3. September 2020Wenn zutrifft, was die beiden Archäologen Rupert Gebhard und Rüdiger Krause in ihrer langjährigen Forschungsarbeit herausgefunden haben, dann ist die Himmelsscheibe von Nebra nicht länger die älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung. Die 1999 von Schatzsuchern angeblich auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt gefundene Scheibe zählt bisher zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Dieser Einordnung könnte nun durch den in den Archäologischen Informationen veröffentlichten Aufsatz des Duos Gebhard/Krause das Fundament entzogen sein.
Nach einer Metaanalyse - also einer Auswertung vorhandener wissenschaftlicher Berichte, Studien zu Metallanalysen, kriminologischen Untersuchungen und Gerichtsaussagen der beiden Finder - sowie einem anschließenden motivgeschichtlichen Vergleich kommen die Forscher zu folgendem Schluss: Es ist unwahrscheinlich, dass die Himmelsscheibe, wie bisher angenommen, aus der frühen Bronzezeit stammt. Vielmehr ist sie der daran anknüpfenden Eisenzeit zuzuordnen. Sie könnte so zwar immer noch in einer vorchristlichen Zeit geschaffen worden sein, allerdings wäre sie anhand dieser Ergebnisse nur noch ca. 2600 Jahre alt und damit 1000 Jahre jünger als bisher angenommen.
Gehören alle Nebra-Fundstücke zusammen?
Die Erkenntnisse der beiden legen nahe, dass die Fundstücke von Nebra - das waren neben der Himmelsscheibe noch andere Artefakte, darunter zwei Bronzeschwerter - nicht zusammen gehören. Und so kommt es auch, dass sie den angegebenen Fundort bezweifeln.
Im Gespräch mit der DW sagte Rüdiger Krause, Professor für Vor- und Frühgeschichte Europas an der Universität Frankfurt: "Die Scheibe muss als Einzelfund bewertet werden. Sie hat eben nicht den Hintergrund in einem Depotfund mit anderen Beifunden gelegen zu haben, die sie letztendlich datieren würden. Das ist nach strengen wissenschaftlichen Kriterien nicht mehr aufrechtzuerhalten." Krause war als Experte für Studien über Metallanalysen vor allem für diesen Part der Begutachtung zuständig.
Sowohl Krause als auch Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung München und Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Universität München, konnten sich in Halle bereits vor mehreren Jahren die verschiedenen Fundstücke mikroskopisch ansehen. Kamen andere Untersuchungen der Gegenstände zu dem Ergebnis, sie seien aus derselben Kupfersorte, hegen Krause und Gebhard besonders aufgrund der Bleiisotope Zweifel daran. Vor allem die Himmelsscheibe passe neben drei weiteren Stücken nicht zu den anderen.
Züge einer Kriminalgeschichte: Woher stammt die Himmelsscheibe wirklich?
Und noch ein Umstand nährt die Zweifel der Forscher. So sagte Krause im DW-Gespräch, dass sie das von anderen bei Nachgrabungen begutachtete Loch der Fundstelle, in dem die Scheibe neben den anderen Gegenständen sogar "gestanden" haben soll, für "zu klein" hielten. Außerdem passe die Geschichte, wie die Scheibe einem der Finder zufolge in der Erde gelegen habe, auch nicht zur Beschädigung durch den Aushub.
Krause betont dabei, dass er und Gebhard die Echtheit der Himmelsscheibe keineswegs anzweifeln würden. Auch das wäre denkbar, ist die Scheibe eben nicht bei offiziellen und ausreichend dokumentierten Grabungen entdeckt worden. Erst drei Jahre nach ihrem Fund konnte sie nach verschiedenen illegalen Verkäufen bei einer fingierten Ankaufsituation im schweizerischen Basel sichergestellt werden. Durch den Einsatz des Landesarchäologen Harald Meller und der Polizei konnte sie so verspätet der Allgemeinheit, der herrenlose bedeutsame Objekte in Deutschland gehören, zugeführt werden - und damit auch wissenschaftlichen Untersuchungen. Die Himmelsscheibe ist seit ihrer Sicherstellung im Besitz des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle.
Kulturgeschichtliche Neubewertung
Der motivgeschichtliche Vergleich Gebhards mit anderen Fundstücken aus der Eisenzeit ergibt, dass die Scheibe eben aus jenen Jahren zwischen 800 bis 50 v. Chr. stammen könnte. So fänden sich ähnliche Nachtabbildungen zum Beispiel auf dem Schwert der Kelten von Allach aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Sein Kollege Krause klärt auf, dass damit, wie bisherige Interpretationen nahe legten, auch gar nicht von einer konkreten astronomischen Abbildung von Gestirnen die Rede sein könne: "Unserer Meinung nach ist es eine symbolhafte Darstellung von einzelnen Gestirnen. Und wir sagen auch - weil die Sonne in der Eisenzeit überhaupt keine Rolle spielte, sondern Vollmond und Mondsichel, also der abnehmende Mond -, dass es sich nicht um eine konkrete Himmelsdarstellung handelt."
Laut der Webseite der Deutschen UNESCO-Kommission enthalte die Abbildung auf der Scheibe "eine komplizierte Botschaft - die genaue Abgleichung des unterschiedlich langen Mond- und Sonnenjahres." Die Beschreibung weist sie noch als "astronomisches Instrument" aus, "mit dem Termine über Jahre hinaus exakt bestimmt werden konnten." Etwas später wird im selben Text angedeutet, dass schriftliche Belege dafür erst 1000 Jahre später aufgetaucht seien - also um jenen Zeitpunkt herum, an dem Gebhard und Krause ihre eigentliche Schaffung datieren.
Stonehenge und Jerusalem: Weitere neue archäologische Erkenntnisse
Immer wieder wartet die Archäologie mit neuen Erkenntnissen über jahrtausendealte Kulturgüter und -stätten auf. Jüngst hatte eine Studie über die Herkunft der großen Felsblöcke von Stonehenge für Aufsehen gesorgt. Die Verfasser um David Nash von der Universität Brighton legen darin nahe, dass sie aus dem 25 Kilometer entfernt liegenden Hügelland "West Woods" stammen könnten. Während die Herkunft der kleineren Basaltsteine schon früher in Steinbrüchen im heutigen Wales vermutet wurde, bleiben weitere Rätsel um die prähistorische Kultstätte im Süden Englands, die seit 1986 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt, weiter ungeklärt. Und auch die 2020 publik gewordenen Ergebnisse nach Ausgrabungen auf dem Zionsberg von Jerusalem führten zu Diskussionen, deuten sie doch an, dass die Stadt in alttestamentlicher Zeit kleiner gewesen sein muss, als angenommen.
Wenn nun nicht mehr die Himmelsscheibe von Nebra als älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung gelten kann, könnte diesen Platz eine auf das Jahr 1463 v. Chr. datierte Sternuhr einnehmen, die zu einer Wandmalerei in einem Grab von Theben gehört.