Chancen in Detroit
2. September 2014Sieht so eine Stadt aus, die bankrott ist? Auf keinen Fall, sagt Maureen Krauss. Sie ist von Beruf her Optimistin. Schließlich arbeitet sie für die Handelskammer in Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Und Krauss ist dankbar für jeden neuen Baukran, den sie von ihrem Büro hoch über den Dächern der Innenstadt entdeckt. Vieles erinnere sie an das frühere Berlin, sagt sie.
Aufbruchstimmung und Depression
Mit Berlin-Mitte habe Downtown Detroit nicht nur die vielen Baulücken und die kreisenden Kräne gemein, sondern auch die Aufbruchstimmung, findet die resolute Lobbyistin: "Es ist eine großartige Zeit für neue Chancen. Der Bankrott erlaubt Detroit, ganz von vorne anzufangen". Krauss sagt das so, als sei das wie ein klärender Kassensturz, nach dem die Geschäftsaktivitäten wieder auf sicheren Füßen stehen. Sie glaubt daran, dass am Ende des Bankrottverfahrens finanzielle Stabilität und ein verlässliches städtisches Umfeld stehen: "Das gibt Investoren viel mehr Vertrauen."
Lebt es sich also gut mit geschätzten 20 Milliarden Dollar Schulden? Weit gefehlt. Den Preis für den Niedergang der einstmals glamourösen Autostadt haben jene gezahlt, die Detroit zu Hundertausenden verließen oder die Pensionskürzungen und andere Einschnitte hinnehmen müssen. Nicht zuletzt auch jene, die es sich nicht leisten konnten, wegzuziehen: Viele von ihnen gehören der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe an, die seit der Abwanderungsbewegung der vergangenen Jahrzehnte die überwältigende Bevölkerungsmehrheit stellt: Mehr als 80 Prozent der gut 700.000 Einwohner sind schwarz. Sie leben in Vorstädten, deren verfallenen Straßenzügen die New York Times mit nahöstlichen Kriegsschauplätzen vergleicht.
Für Deon Tate und seine Familie ist das Leben dort hart. "Wir überleben", meint er, ohne sein Gesicht zu verziehen. "Ich habe das Gefühl, dass wir mitten in einer 'großen Depression' sind", sagt der junge Afroamerikaner, der gerade die Highschool abgeschlossen hat. "Wir kommen langsam aber sicher wieder nach oben. Aber im Moment sind wir bankrott und haben eine Menge Schulden."
Jared Stasik glaubt an den Wiederaufstieg seiner Heimatstadt. Nach Jobs in Kalifornien und Europa ist der Finanzfachmann nach Detroit zurückgekehrt und hat hier eine Familie gegründet. Auch er sieht Parallelen zu Deutschlands Hauptstadt: "Detroit kann man in gewisser Weise mit dem Berlin vor 15 Jahren vergleichen: Die niedrigen Lebenshaltungskosten zogen Künstler und Kreative an, das wiederum hat junge Leute dorthin gebracht". Und am Ende, ist er sich sicher, werden aus diesen jungen Leuten kreative Unternehmer.
Mehr als 10 Milliarden Dollar investiert
Die Zahlen der Handelskammer, die Maureen Krauss präsentiert, stützen Stasiks Enthusiasmus. "In den vergangenen fünf Jahren wurden hier privat mehr als 10 Milliarden Dollar investiert. Das zeigt ein bemerkenswertes Vertrauen in unsere Stadt - in einer Zeit, als die Wirtschaft in den USA nicht gut aufgestellt war."
Rückkehrer Jared Stasik versprüht eine gehörige Portion Lokalpatriotismus, wenn er von seiner Heimatstadt spricht: " Viele junge Talente kommen nach Detroit und wollen Teil von etwas sein, was größer ist als sie. Sie wollen den Turnaround einer großen amerikanischen Stadt schaffen." Stasik kennt viele von ihnen, schließlich arbeitet er für "Detroit Venture Partners" (DVP), einen 55 Millionen Dollar starken Kapitalfonds, der junge Technologieunternehmen berät und mit Startkapital versorgt. Um mehr als 20 solcher Jungunternehmer kümmert er sich im Moment.
Darunter ist Greg Schwartz, der gemeinsam mit seinem 12-köpfigen Team die App "upTo" entwickelt hat. Sie stellt für jeden Nutzer individuell Kalenderdaten aus allen Lebensbereichen zusammen und erleichtert damit eine bequeme Terminplanung. 250.000 mal wurde die App bereits heruntergeladen. Schwarze Zahlen schreibt Schwartz damit aber noch nicht.
In anderen Dimensionen investiert der Milliardär Dan Gilbert, der den Finanzdienstleister Quicken Loans besitzt. Mehr als 60 Immobilien in Detroit sollen ihm mittlerweile gehören. Er ist auch an den "Detroit Venture Partners" beteiligt.
Talente gesucht
Eine Handvoll dieser Fonds gibt es mittlerweile in Detroit. Sie speisen sich fast ausschließlich aus privaten Geldern. Doch mittlerweile ist nicht mehr das Kapital das Problem: Die größte Herausforderung sei, die richtigen Talente zu finden, meint Stasik. "Doch der große Vorteil hier ist: Wir müssen in Detroit nicht mit großen Unternehmen wie Facebook und Twitter konkurrieren."
Dafür aber mit exklusiven Luxusmarken wie "Shinola". Das im Jahre 2011 gegründete Unternehmen mit inzwischen 240 Mitarbeitern stellt Uhren, Fahrräder und Leder her.
Luxusuhren aus Detroit
Alles in Handarbeit und ausschließlich mit Materialien aus den USA, wie Chefdesigner Daniel Caudill betont. Dort, wo früher General Motors seine Büros hatte, schrauben nun Dutzende von Facharbeitern hoch konzentriert in ihren weißen Kitteln Armbanduhren zusammen. 50.000 dieser Uhren zum Stückpreis von 500 Dollar und mehr wurden im vergangenen Jahr verkauft. 250.000 sollen es in diesem Jahr werden. "Hochwertige Uhren aus Detroit", das sei die Botschaft gewesen, die am Markt angekommen ist, sagt Designer Caudill. Demnächst will man mit eigenen Läden auch Europa erobern. Neben Paris ist auch Berlin als Standort im Gespräch.
"Shinola” ist eines der Vorzeigeprojekte aus Detroit. Viele haben es noch nicht geschafft. Manche scheitern bereits an den bürokratischen Hürden einer Jahrzehnte vernachlässigten Stadtverwaltung, die trotz aller gegenteiligen Behauptungen langsam und behäbig agiert.
"Ich glaube die Stadt ist 50 Jahre hinter den anderen Städten zurück, wenn es darum geht, neue Unternehmen zu gründen oder sie zu unterstützen", sagt Tifani Sadek, die als Wirtschaftsanwältin arbeitet. Viele wichtige Formulare seien nicht im Internet verfügbar und Anträge könnten oftmals nicht online gestellt werden. "Ich muss selber zur Stadt gehen und die geben mir ein Bündel Fotokopien, die so aussehen, als wären sie schon 20 mal fotokopiert worden".
Ferguson mahnt
Aber nicht nur die rückständige öffentliche Verwaltung, auch die krassen sozialen Unterschiede könnten einen Erfolg der Stadt gefährden. Man hört wenig von Strategien, auch die schwarze Bevölkerungsmehrheit am viel beschworenen Aufschwung zu beteiligen. Dabei sind die sozialen Spannungen groß, wie Highschoolabsolvent Deon Tate mit Blick auf die jüngsten Rassenunruhen im fernen Ferguson sagt: "Es ist sehr wahrscheinlich das so etwas wie in Ferguson auch in Detroit passieren könnte. Wenn wir uns die Jungen ansehen, wäre das sehr gut möglich." Doch liegt es aus seiner Sicht nicht nur an der Stadt und ihren Unternehmern, dass viele junge Schwarze bisher nicht von den neuen Chancen profitieren: "Du kannst keinen Fisch zum Fluss bringen, du musst dich selber kümmern und deine Chancen suchen", sagt er. Er selbst will studieren, und vielleicht wird er dann bald der erste afro-amerikanische Jungunternehmer unter Jared Stasiks schnell wachsenden Start-ups sein.
Sollte nicht auch die Stadtverwaltung aktiv werden, um Detroits jungen Schwarzen mit maßgeschneiderten Angeboten eine bessere Ausbildung und mehr Berufschancen zu geben? Maureen Krauss von der Handelskammer fällt dazu wenig ein. Sie bittet vielmehr ganz allgemein um Geduld: "Das ist kein 18-Monate-Plan. Um die Stadt dahin zurückzubringen, wo wir sie gerne wieder hätten, dauert es 10 Jahre".