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Nachfolger verzweifelt gesucht

Kirstin Hausen19. April 2013

In Italien können die Parteien seit Wochen keine neue Koalition bilden. Nur ein neuer Präsident könnte vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen - doch auch auf den konnte man sich bisher nicht festlegen.

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Parlamentsgebäude vor den ersten Wahlgängen der Wahl zum Staatspräsidenten, Foto: Reuters
Bild: REUTERS

Wenn man sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen könne, könne man sich auch auf eine gemeinsame Regierung einigen - das hatte Renato Brunetta gesagt, bevor die Wahl zum Staatspräsidenten am Donnerstag (18.04.2013) begann. Damit hatte der ehemalige Minister im Kabinett von Silvio Berlusconi klar gemacht, welche Erwartungen sein politisches Lager, das Berlusconi-Lager, an die Wahl hat: Es geht nicht nur um das Amt des Präsidenten, sondern auch darum, die Weichen für die künftige Regierungskoalition zu stellen.

Fast zwei Monate lang hat Pierluigi Bersani, Parteiführer der stimmenstärksten Partei im Parlament, der sozialdemokratischen "Partito Democratico" (PD) versucht, die Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppe Grillo zur Bildung einer gemeinsamen Regierung zu bewegen – erfolglos. Nun scheint er keinen anderen Ausweg aus der politischen Pattsituation zu sehen, als sich Berlusconis "Volk der Freiheit" anzunähern, indem er den Schulterschluss bei der Präsidentenwahl sucht.

Denn der Mann, den Bersani ins Rennen um das Amt des Staatspräsidenten geschickt hat, dürfte dem früheren Regierungschef und Medienunternehmer Berlusconi mehr als angenehm sein: Franco Marini. Marini ist seit mehr als 60 Jahren in der Politik, ein Kind der Christdemokratischen Partei, die sich in den 1990er-Jahren auflöste, und ein Mann der politischen Mitte. Der 80-Jährige war schon Minister unter Giulio Andreotti, zuletzt Präsident des Senates, und ist ein Meister des politischen Ausgleichs. Böse Zungen nennen Marini allerdings einen virtuosen Strippenzieher. Sicher steht er nicht für einen Wandel, den sich viele Bürger wünschen. So stellt sich die Wahl des Staatspräsidenten als ein Spiel um Macht und Einfluss dar, das sich die italienischen Bürger mit einer Mischung aus Faszination und Ekel anschauen.

Der damalige Senatspräsident und jetzige Präsidentschaftskandidat, Franco Marini. Foto: AFP
Vor fünf Jahren war Franco Marini noch Senatspräsident, jetzt ist er der Favorit fürs Amt des StaatspräsidentenBild: AFP/Getty Images

Alte Herren statt neuer Ideen

"Diese Herren ab 70, in Anzug und Krawatte, seit Jahrzehnten in der Politik, immer die gleichen Gesichter, immer die gleichen Ideen", seufzt Feodora Pasquale, die in ihrem Büro das Radio auf die Liveberichterstattung aus dem Parlament eingestellt hat. Sie würde eine Frau bevorzugen, das wäre endlich einmal etwas Neues, sagt sie.

"Ist es als Frau schwerer, Kardinal zu werden oder Staatspräsident?", fragen prominente Italienerinnen in einem Video der gemeinnützigen Organisation "Pari o Dispare", die sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzt. Und sie drücken damit ein weitverbreitetes Unbehagen angesichts der geringen Frauenquote in Politik und Gesellschaft aus.

"Italien könnte eine Frau in dem Amt gebrauchen", sagt auch der Getränkelieferant Riccardo Bonanno  und er hat auch schon eine bevorzugte Kandidatin. Emma Bonino vom "Partito Radicale", einer kleinen Partei, die in den siebziger Jahren für das Recht auf Abtreibung kämpfte und seitdem die persönliche Freiheit des Einzelnen ins Zentrum ihrer Politik stellt. Emma Bonino setzt sich seit Jahrzehnten international für die Menschenrechte ein, sie war EU-Kommissarin und Ministerin in der Regierung von Romano Prodi. "Bonino ist moralisch integer und wäre unter den gegebenen Umständen in Italien eine geeignete und verantwortungsbewusste Staatspräsidentin."

Emma Bonino bei einer Konferenz 2008 in Mailand (Foto: Getty Images)
Eine Frau, die Italien gut als Staatspräsidentin gebrauchen könnte? Emma BoninoBild: Getty Images

Die Kaste der Politiker und die Enttäuschung der Bürger

Die gegebenen Umstände: Das sind die aktuelle Regierungskrise und die hohe Politikverdrossenheit in der Bevölkerung. "La casta", die Kaste werden die Politiker in Italien genannt, in den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch. Der Graben zwischen Wählern und Gewählten ist tief, und die Wünsche der Bürger bleiben im Räderwerk des Politbetriebes oft auf der Strecke.

So hat Pierluigi Bersani von der PD darauf verzichtet, eine Kandidatin ins Rennen zu schicken und stattdessen einen Politiker gewählt, der für die altbewährte Logik des politischen Handels steht. Silvio Berlusconi dürfte frohlocken, denn Franco Marini, der für die Annäherung von PD und Berlusconis PDL steht, spaltet das linke Lager. Nichi Vendola, Parteiführer der SEL, einer kleinen, aber einflussreichen Linkspartei, hat seine Abgeordneten aufgerufen, gegen Franco Marini zu stimmen.

Auch Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz und parteiinterner Konkurrent von Pierluigi Bersani, weigert sich, Marini zu wählen. So wandern Stimmen zu Stefano Rodotà ab, dem Kandidaten der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo. Auch Rodotà ist schon 79 Jahre alt, aber als Rechtsprofessor verkörpert er einen gewissen Sinn für die Institutionen. Zudem hat er sich in seiner Zeit als unabhängiger Abgeordneter im linken Lager aus Machtintrigen herausgehalten. Für viele Wähler von Bersanis Partei PD ist er der geeignetere Mann für das Amt des Staatspräsidenten. In den sozialen Netzwerken wird er klar favorisiert, weil er - wenigstens in Ansätzen - für einen Wandel steht. Der Unmut über das politische Geschacher, das in Rom stattfindet, ist von Mailand bis Palermo zu spüren.

Online-Stimmenauszählung bei der Präsidentenwahl in Italien Foto: Reuters
508 Stimmen reichen nicht: In den ersten drei Wahlgängen ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötigBild: REUTERS

Wut über politisches Geschacher

"Das ist eine Mafia, eine saubere Mafia, die Mafia der Macht", sagt Mauro Caccia, der in Genua einen Imbiss betreibt. Genua, die Heimatstadt von Beppe Grillo - Mauro hat Sympathien für ihn und seine politische Bewegung. Und er hat sich auch an der von Grillo initiierten Onlineabstimmung zur Kandidatenwahl für das Amt des Staatspräsidenten beteiligt.

Auf dem ersten Platz landete: eine Frau. Die Journalistin Milena Gabinelli, bekannt und gefürchtet wegen ihrer investigativen Fernsehberichte über korrupte Politiker, den Missbrauch öffentlicher Gelder, Wirtschaftsskandale und Seilschaften. Ihr Verzicht auf eine Kandidatur machte Platz für Stefano Rodotà. Er bekam im ersten Wahlgang immerhin 240 Stimmen von den 1007 Wahlleuten - auf Marini entfielen gut 520. Weil auch ein zweiter Wahlgang am Donnerstag keinem der Kandidaten die erforderliche Mehrheit von 672 Stimmen brachte, geht die Wahl weiter. Erst ab dem vierten Wahlgang reicht eine einfache Mehrheit, damit Italien einen neuen Staatspräsidenten hat.