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Gesellschaft

"Nein" zu Rassismus in der arabischen Welt

6. Juli 2020

Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA engagieren sich auch in der arabischen und muslimischen Welt viele Menschen gegen Rassismus. Sie wollen ihre eigenen Gesellschaften verändern.

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Demonstration gegen Rassismus in Tunis
Bild: Getty Images/AFP/F. Belaid

"Der Schönheitsstandard in unserer Gesellschaft ist es, weiß zu sein", beschreibt die Aktivistin Khawla Ksiksi das Lebensgefühl vieler Frauen in ihrem Land. Sie ist Mitbegründerin der Gruppe Voices of Black Tunisian Women. "Schwarze Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Haare zu glätten, ihre Locken loszuwerden und ihre Haut aufzuhellen, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden und sich an ihre Standards anzupassen", so Ksiksi gegenüber der Thomson Reuters Foundation.

Sehr oft wird dieses Ideal auch in den Familien tradiert. Etwa, wenn Mütter ihren Töchtern raten, Bleichmittel für die Haut zu benutzen. "Wenn eine junge Frau heiraten will, erwartet man, dass sie hellhäutig ist." So beschreibt Suzan Kim Otor von der Plattform #defyhatenow gegenüber dem Nachrichtensender al-Jazeera die gängige Erwartungshaltung im Südsudan. "Wenn sie auf Bleichmittel verzichtet, wird sie bemerken, dass ihre Freunde schlecht über sie sprechen."

Selbstkritische Diskussionen

Das Selbstverständnis dunkelhäutiger Frauen ist nur eines von mehreren Themen, die seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis Ende Mai in der arabischen Welt wieder heftig diskutiert werden. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung fragen viele Aktivisten in der Region auch selbstkritisch, inwieweit es einen spezifisch arabisch-muslimischen Rassismus gibt.

Diese Diskussion führen inzwischen auch Muslime in Deutschland. "In Teilen der muslimischen Community hierzulande gibt es zumindest eine ernste Auseinandersetzung mit den eigenen Rassismen", sagt Eren Güvercin, Journalist, Autor und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft, die das Thema jüngst in einer Online-Veranstaltung diskutierte.

"Die Ursachen von Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind in den meisten Fällen die gleichen", so Güvercin im DW-Gespräch. "Durch die Abwertung und Entmenschlichung des Anderen soll die eigene Überlegenheit demonstriert werden." Wer so denkt und handelt, habe deswegen auch nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen. "Manche Muslime glauben, sie könnten mit Floskeln wie 'Ein Muslim kann gar kein Rassist oder Antisemit sein' dieses Problem unter den Teppich kehren." Einen selbstkritischen Diskurs sähen sie dann schnell als Verrat an der eigenen Kultur und Geschichte.

Rassismus als kolonialer Import

Das reine Gewissen, auf das Güvercin hier anspielt, geht zumindest in Teilen zurück auf die europäische Kolonialgeschichte, die mit Napoleons Ägypten-Feldzug 1798 begann. Während der Kolonialzeit hätten sich die Araber den Normen der europäischen Kolonisation unterworfen, sagt die britisch-sudanesische Künstlerin Rayan El Nayal im Online-Magazin SceneArabia. Dieser Drang, sich fremde Normen anzueignen, wirke bis heute nach. "So beginnen Araber, ihre eigene Haut oder ihre eigene Kultur zu hassen", umreißt sie die Mechanismen dieses komplizierten Selbstverhältnisses.

Demonstration gegen Rassismus in Tunis
Selbstkritischer Blick: Anti-Rassismus-Aktivisten in TunesienBild: picture-alliance/AA/Stringer

Das wirke sich auch auf das Verhältnis zwischen hellhäutigeren und dunkelhäutigeren Arabern oder Muslimen aus. Oft fühlten sich erstere überlegen. "Wir sind modern, aber diese Leute sind es nicht" - das sei das Selbstverständnis mancher hellhäutiger Menschen in der Region, so El Nayal. Dunkelhäutige oder schwarze Menschen werden durch tiefsitzende Stereotype abgewertet, teilweise sind in der Alltagssprache arabischer Länder Bezeichnungen wie "Diener" oder "Sklave" verbreitet.

Das Erbe des Sklavenhandels

Allerdings hat dies auch noch weiter zurückreichende Wurzeln: Über Jahrhunderte handelten nahezu alle arabischen Gesellschaften mit Sklaven, die sie aus Ländern in Subsahara-Afrika deportierten, um sie entweder an europäische Händler zu verkaufen oder selbst der Zwangsarbeit zu unterwerfen. Sklaven dienten in manchen Herrscher-Epochen auch in der Armee. "Von Dynastie zu Dynastie, von Jahrhundert zu Jahrhundert wurde die Sklaverei zu einer muslimischen Realität", schreibt der algerische Anthropologe Malek Chebel in seiner großen Studie zur Sklaverei in der islamischen Welt ("L'esclavage en terre d'islam", 2007).

Schwarz-Weiß-Bild Sklaverei
Ungewisse Zukunft: Versklavte Ostafrikaner an Bord eines Sklavenschiffes 1873Bild: Getty Images/Hulton Archive

Eine unausgesprochene Hierarchie der Hautfarben bestimmt das Verhältnis der Bevölkerungsgruppen in Teilen der arabischen Welt bis heute. In Ägypten etwa werden dunkelhäutige Nubier oft als Bürger zweiter Klasse behandelt. In der Vergangenheit hat sich auch das Vorurteil herausgebildet, dass Hautfarbe und soziale Schicht zusammengehörten, so die ägyptische Historikerin Amina Elbendary gegenüber dem Online-Magazin Egyptian Streets: "Das bedeutete auch, dass eine dunkle Hautfarbe mit der Zugehörigkeit zur arbeitenden oder dienenden Klasse assoziiert wurde."

Vielfältige rassistische Erfahrungen

Wie in allen Erdteilen zeigt sich Rassismus heutzutage auch in der arabischen Welt in sehr unterschiedlichen Formen. Ein drastisches Beispiel ist die Versklavung afrikanischer Migranten durch kriminelle Banden in Libyen. Im Alltag gibt es eine Vielzahl rassistischer Diskriminierungen. Eine tunesische Aktivistin beklagte kürzlich auf der Online-Plattform Qantara, dies zeige sich beispielsweise an Taxifahrern, die schwarze Fahrgäste ablehnten, oder an Familien, die Beziehungen und Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe missbilligten. Im Libanon setzten vergleichsweise wohlhabende Bürger kürzlich ihre äthiopischen Haushaltshilfen im Zuge von Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie schlichtweg auf die Straße, oft ohne ihnen ihren Lohn gezahlt zu haben. 

Frauen und Mädchen sitzen mit ihren Habseligkeiten an der Mauer eines Gebäues in Beirut
Schutzlos: Äthiopische Hausangestellte vor der Botschaft ihres Landes in BeirutBild: AFP via Getty Images

Die Schauspielerin und Regisseurin Maryam Abu Khaled berichtete in einem viel beachteten Instagram-Video über ihre rassistischen Alltagserfahrungen als Schwarze in den palästinensischen Autonomiegebieten. Oft stecke dahinter keine absichtliche Feindseligkeit, sondern ein eher gedankenloser Umgang mit rassistischen Stereotypen, erklärt Maryam Abu Khaled in dem launig gestalteten Video. So habe sie erlebt, dass Eltern ihre Kinder in ihrem Beisein vor zu viel Sonnenbestrahlung gewarnt hätten, damit sie später nicht aussähen "wie Maryam". In einem Video der Comedian-Gruppe Datteltäter berichten auch dunkelhäutige Muslime in Deutschland über Diskriminierungen - in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch innerhalb ihrer eigenen Community. 

Der Journalist und Aktivist Eren Güvercin von der Alhamra Gesellschaft hat eine klare Meinung dazu, wie Rassismus innerhalb muslimischer Communities überwunden werden kann - und muss: "Indem man als Muslim offen darüber spricht und nicht schweigt. Und indem man selbstkritisch auch über die islamische Geschichte reflektiert - und sich nicht in deren Romantisierung flüchtet."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika