Nazi-Versteck im Dschungel Argentiniens?
23. März 2015"Wanderweg zum Haus von Bormann" steht auf einem Schild in gelber Schrift auf dunklem Holz, umrankt von grünem Gestrüpp. Der Hitler-Vertraute Martin Bormann hat sich also nicht im "Endkampf" in Berlin im Mai 1945 das Leben genommen? Sondern sich einen halben Kilometer pfadabwärts im Dschungel Argentiniens zur Ruhe gesetzt? Seit Jahrzehnten geht im Naturpark Teyú Cuare im äußersten Nordosten des Landes das Gerücht um, die Nazi-Größe habe das verfallene Steinhaus einst bewohnt. Wer dort das entsprechende Hinweisschild aufgestellt hat, das wisse man jedoch nicht so genau, musste die zuständige Tourismusbehörde gegenüber der argentinischen Zeitung "Clarín" zugeben.
Schwer zu erkennen sind die Fakten, zugewuchert von Legenden in der Geschichte des möglichen Nazi-Verstecks im Dschungel Argentiniens. Fest steht: Reporter von "Clarín" sind dem "Wanderweg zum Haus von Bormann" gefolgt, gemeinsam mit dem Archäologen Daniel Schávelzon. Der hat in insgesamt drei Gebäuderuinen auf dem Gelände folgendes gefunden: Münzen, darunter fünf deutsche, geprägt zwischen 1938 und 1941, sowie ein Stück Meißner Porzellan mit der Aufschrift "Made in Germany". Auf einem Video, das "Clarín" dazu veröffentlicht hat, ist auch ein Hakenkreuz an der Wand zu sehen. Allerdings scheint dieses erst in jüngerer Zeit in den Stein geritzt worden zu sein, vielleicht von einem neonazistischen Wanderer auf Bormanns Pfaden.
Geheimplan der Nazis
Fünf alte deutsche Münzen und ein Stück deutsches Porzellan - ein Nazi-Versteck!, interpretieren Archäologen um Schávelzon. Für reichlich verwegen hält diese Gleichung der Historiker Daniel Stahl von der Universität Jena. "Es gab viele Deutsche in Argentinien, auch während des Zweiten Weltkrieges. Es gab wirtschaftlichen Güterverkehr", so Stahl. Deshalb sei es nicht sehr sonderbar, dass auch deutsche Münzen und Gegenstände aus dieser Zeit in Argentinien auftauchten. "Man kann da weiter buddeln, aber ich glaube nicht, dass sich aus den Funden die Existenz eines Nazi-Verstecks ableiten lässt."
Der Archäologe Schávelzon hat jedoch eine eigene Theorie. In einem Geheimprojekt hätten die Nationalsozialisten Zufluchtsstätten für ihre Anführer gebaut, für den Fall des vorzeitigen Untergangs des von ihnen errichteten "Tausendjährigen Reiches". Und zwar "an unerreichbaren Orten, mitten in Wüsten, Gebirgen, an einer Klippe oder wie hier mitten im Dschungel", so Schávelzon. In Argentinien allerdings hätten aus Europa entflohene Nazis schnell gemerkt, dass ein Versteckspiel unnötig sei, da sie dort unbehelligt leben konnten. Und deshalb sei das Steinhaus im Dschungel dann möglicherweise doch nicht als Versteck genutzt worden.
Schutz im Süden
"Diese Theorien sind nicht wissenschaftlich handfest, sondern aus dubiosen Quellen zusammengestellt", sagt dazu der Historiker Stahl. In der Tat flohen tausende Nazi-Verbrecher nach dem Krieg aus Europa, um Prozess, Haft und Strafe zu entgehen. Auch Priester der katholischen Kirche halfen bei der Flucht, die oft in Richtung Argentinien führte. Dort fanden sie Schutz unter Juan Perón - der argentinische Präsident meinte es gut mit ihnen. "Aber das darf man nicht verwechseln mit Gerüchten, dass die oberste Nazi-Hierarchie schon vor Ende des Krieges eine Flucht nach Argentinien organisiert habe." Diese Gerüchte seien von innenpolitischen Gegnern Peróns gestreut worden und hielten sich bis heute.
Erst nach dem Krieg hätten Männer aus der zweiten und dritten Reihe des Nazi-Regimes ihre Flucht nach Lateinamerika geplant, betont Stahl. So lebten etwa Josef Mengele, Arzt und sadistischer Mörder im KZ Auschwitz, oder Erich Priebke, als SS-Führer bei Rom am Massaker in den Ardeatinischen Höhlen beteiligt, jahrelang unbehelligt in Argentinien. Von dort verschleppte der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad Adolf Eichmann, Organisator der "Endlösung", ohne Wissen der argentinischen Behörden, um ihm den Prozess zu machen. Stets hielten sich die Gerüchte, auch Adolf Hitler selbst sei nicht tot, sondern in Argentinien untergetaucht. Dies galt auch für Hitlers Handlanger Martin Bormann. Er war im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg der einzige, dessen Verbleib unbekannt war.
Ende in Trümmern
Die britische Boulevardzeitung "Daily Express" meinte 1972, Bormann lebend in Argentinien entdeckt zu haben. Eine Ente. Denn noch im selben Jahr entdeckten Bauarbeiter am Lehrter Bahnhof in Berlin zwei Skelette - der Zahnabdruck eines Schädels konnte Bormann zugewiesen werden. 1998 schließlich bestätigten Rechtsmediziner der Ludwig-Maximilians-Universität in München dies mithilfe einer DNA-Analyse. Bormanns Weg vom einfachen Fememörder zur Zeit der Weimarer Republik hin zum Mitorganisator des Völkermords an den Juden endete also doch 1945 in den Ruinen von Berlin. Und nicht im Dschungel Argentiniens.