NATO sucht neue Strategie
31. Juli 2009Der 56 Jahre alte Däne übernimmt das Verteidigungsbündnis in einer Zeit der Selbstzweifel. Welchen Sinn hat die Allianz im 21. Jahrhundert? Auf diese Frage haben die NATO-Staaten viele Antworten. Nicht nur zwischen den USA und Europa gibt es Meinungsverschiedenheiten, auch zwischen den alten EU-Staaten im Westen und den neuen Mitgliedern im Osten.
Weltpolizist oder Verteidigungsbündnis
Den Gründungsgedanken eines Verteidigungsbündnisses pflegen besonders die Länder im Osten Europas. Warschau, Prag, Budapest oder Bukarest sehen in der NATO vor allem einen Schutz vor Russland. Diese Staaten gelten auch als treibende Kraft einer weiteren Ausdehnung der heute 28 Staaten umfassenden Allianz. Weitgehend unstrittig ist dabei lediglich die Aufnahme des kleinen Balkanstaats Mazedonien, die bislang aber an einem Namensstreit mit Griechenland scheitert.
Die Aufnahme Georgiens und der Ukraine ist dagegen allenfalls in ferner Zukunft denkbar. Deutschland und Frankreich wollen die Beziehungen zu Moskau nicht gefährden. Sie sehen in Russland einen attraktiven Handelspartner und nicht so sehr einen gefährlichen Nachbarn. Die Russland-Politik gehört daher zu den umstrittenen Themen – Rasmussens Vorgänger Jaap de Hoop Scheffer übergibt eine in dieser Frage – so Scheffer – tief gespaltene Allianz.
Testfall Afghanistan
Gemeinsam engagieren sich fast alle NATO-Partner in Afghanistan, aber auch hier marschieren die Staaten in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Anders als die USA haben die Europäer zuletzt darauf verzichtet, in großem Umfang neue Bataillone an den Hindukusch zu schicken. Zudem wird im Bündnis immer wieder über die ungleiche Lastenverteilung diskutiert – vor allem Briten und Niederländer beklagen bei ihren Kämpfen gegen die Taliban im Süden des Landes hohe Verluste.
Werden Einsätze fernab des Bündnisgebietes die Zukunft der NATO prägen? Die US-Regierung glaubt daran, viele Europäer würden diese Kriege dagegen gerne auf ein Minimum beschränken. Entsprechend investieren die Europäer auch deutlich weniger Geld als die USA in ihre Streitkräfte. Diese Lücke zwischen den militärischen Fähigkeiten der Amerikaner und Europäer betrachten Experten mit wachsender Sorge, weil sie die politische Distanz zwischen den USA und Europa vergrößert. Auch die US-Pläne für die NATO der Zukunft stoßen bei vielen EU-Regierungen auf Skepsis.
Ist es wirklich eine gute Idee, ein Militärbündnis auch mit Themen wie Energiesicherheit, Klimawandel oder Cyberkrieg zu befassen? Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollen zunächst die europäische Stimme in der NATO stärken und die Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und der EU forcieren. Aber auch diese Kooperation stößt nicht überall auf Gegenliebe: Die Türkei hat in der Vergangenheit eine allzu starke Annäherung immer wieder gebremst.
Vielstimmiger Chor sucht eine Strategie
Aus diesen teils widerstrebenden Interessen wollen die NATO-Länder nun eine gemeinsame Strategie formen. Die derzeit gültige NATO-Strategie stammt noch aus dem Jahr 1999 und gilt spätestens seit den Terroranschlägen 2001 als überholt. Die neue strategische Vision der NATO soll zunächst von einem "Rat der Weisen" ausgearbeitet werden, den Rasmussen in Kürze einsetzen will.
Die Auswahl der "Weisen" dürfte die diplomatische Feuerprobe für den Dänen werden: alle 28 Nato-Staaten haben Personalvorschläge nach Brüssel gemeldet, doch zum Zuge kommt letztlich nur ein Dutzend Vertreter. Mehr als eine Vorlage dürfen auch die "Weisen" nicht schreiben: am Ende entscheiden die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten über die neue Strategie.
Autor: Andreas Noll
Redaktion: Nicole Scherschun