NATO macht Kassensturz
7. Juni 2018Ziemlich ungemütlich dürfte das Gipfeltreffen der NATO-Staaten Mitte Juli im neuen Hauptquartier der Allianz werden. Viele NATO-Diplomaten rechnen damit, dass der amerikanische Präsident Donald Trump ähnlich wie beim Gipfeltreffen vor einem Jahr eine Rechnung aufmachen wird. Er fordert vor allem von Deutschland mehr Ausgaben für den Militärhaushalt. Alle NATO-Staaten haben sich schon 2014 beim NATO-Gipfel in Wales darauf verständigt, bis 2024 ihre Ausgaben in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen machte bei der NATO-Tagung noch einmal klar, dass Deutschland bis zum Jahr 2025 nur 1,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr und andere Sicherheitsaufgaben ausgeben wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Donald Trump schmackhaft machen muss, unterstützt diesen Kurs ausdrücklich.
Die amerikanische NATO-Botschafterin Kay Bailey Hutchinson kritisierte die in ihren Augen zu geringen Steigerungen. Deutschland, so Hutchinson, müsse eine Führungsrolle übernehmen, auch im finanziellen Bereich. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der eine Art Moderator zwischen den USA und den säumigen Zahlern darstellt, lobte in Brüssel ausdrücklich die deutschen Etatsteigerungen. Deutschland habe die Trendwende erreicht und nach Jahrzehnten der Kürzungen jetzt einen Plan, die Ausgaben zu steigern. "Das sind Schritte in die richtige Richtung", sagte Stoltenberg im NATO-Hauptquartier, einen neuem Gebäudekomplex, der nach jahrelangen Verzögerungen mit dem Gipfel in Juli offiziell in Betrieb geht.
"1,5 Prozent sind auch viel Geld"
Deutsche NATO-Diplomaten rechneten vor, dass die absolute Steigerung der Verteidigungsausgaben in den elf Jahren von 2014 bis 2025 fast 80 Prozent betragen werde. Da das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der wirtschaftlich florierenden Bundesrepublik immer weiter ansteige, seien auch 1,5 Prozent davon sehr viel Geld. Sie widersprachen der Vermutung, dass Deutschland das Geld im Wehretat gar nicht so schnell ausgeben könne, wie es hereinkomme. In den letzten Jahren sei das Geld vollständig abgeflossen. Die Bundeswehr habe, und das wisse die Spitze des Verteidigungsministeriums auch, noch einen erheblichen Nachholbedarf bei Ausrüstung und Personal. Man habe in den Jahren des Sparens bewusst auf "hohle Strukturen" gesetzt, die jetzt wieder aufgefüllt werden müssten. Nur rund die Hälfte der 29 NATO-Staaten wird nach Prognosen bis 2024 das selbstgesteckte Ziel von zwei Prozent Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP erreichen.
Die Lage in Deutschland lässt sich an diesem Beispiel darstellen: Die Bundeswehr hat der NATO zugesagt, im Jahr 2019 die sogenannte "Speerspitze" der NATO-Eingreiftruppe zu stellen. Das ist eine Brigade mit etwa 5000 Soldaten, die in vier bis sieben Tagen einsatzfähig sein soll. Eine solche vollständig ausgerüstete Panzer-Brigade hat die Bundeswehr zurzeit nicht. Große Teile des Materials für diese NATO-Truppe - Radpanzer, Transportpanzer, Raketenwerfer, LKW - muss bei anderen Brigaden für die Panzerlehrbrigade 9 in Munster ausgeliehen werden. Erst im Jahr 2031 soll die Bundeswehr wieder über acht einsatzfähige vollständig ausgerüstete Brigaden verfügen, die dann für NATO-Aufgaben und auch für die zunehmenden Anforderungen aus der Europäischen Union genutzt werden könnten.
30 Bataillone in 30 Tagen
Damit sich die Enttäuschung der USA beim NATO-Gipfel in Grenzen hält, hat die deutsche Verteidigungsministerin andere Zusagen im Gepäck. Deutschland wird für die NATO in Ulm ein multinationales Transport-Kommando einrichten, das in einigen Jahren den gesamten Truppentransport der Allianz in Europa organisieren und kontrollieren soll. Dieses Vorhaben wurde von den Verteidigungsministerin der NATO in Brüssel noch einmal ausdrücklich gebilligt. Ursula von der Leyen will auch die Idee der amerikanischen Seite übernehmen, die Einsatzbereitschaft der NATO-Truppen zu erhöhen. Bislang ist nur ein sehr kleiner Teil in wenigen Tagen wirklich kampfbereit, um zum Beispiel auf eine Bedrohung durch Russland an der östlichen Grenze zu reagieren. Die NATO soll sich jetzt vornehmen, 30 kämpfende Bataillone (30.000 Soldaten), 30 Flugzeugstaffeln und 30 Marine-Einheiten zu benennen, die innerhalb von 30 Tagen die Kasernen zum Einsatz verlassen können. "Wer welche Truppen wann stellt, muss aber noch entschieden werden", schränkten NATO-Diplomaten ein. Darum soll der Gipfel im Juli auch nur einen ersten Prüfauftrag für das Projekt erteilen.
Eine neue Art der Truppenfinanzierung, die dem Unternehmer und Präsidenten Donald Trump vielleicht gefallen könnte, hat der polnische Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak ins Spiel gebracht. Die polnische Regierung bittet die USA, eine Division in Polen zu stationieren. Im Gegenzug sollen die USA 1,5 bis zwei Milliarden US-Dollar an Entschädigung erhalten. Beistand also gegen Gebühr? Deutsche Regierungsbeamte lehnen dieses Modell ab. Man sei ja immer noch ein Bündnis. Außerdem verstoße die dauerhafte Stationierung von ausländischen Kampftruppen in ehemaligen "Warschauer Pakt"-Staaten gegen den Vertrag, den die NATO mit Russland geschlossen hatte, die "NATO-Russland-Grundakte". Polen gehörte zum von der Sowjetunion angeführten "Warschauer Pakt", der im Kalten Krieg der Gegner der NATO in Europa war. Auch in Polen ist der Vorstoß des Verteidigungsministeriums umstritten. Eine Antwort der USA auf diesen Vorschlag liegt noch nicht vor.
Vertrauen in der NATO
Auch bei der NATO-Tagung an diesem Donnerstag sind die schlechter werdenden transatlantischen Beziehungen Gesprächsthema. Der Handelskonflikt mit Europa und Kanada und die Verletzung des Iran-Abkommens durch die USA spielten eine Rolle, so NATO-Diplomaten. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen legt aber Wert darauf, dass im Bündnis trotz Trump vertrauensvoll zusammengearbeitet werde. "Klar haben wir Punkte, die wir miteinander kritisch diskutieren", sagte von der Leyen vor Reportern. "Aber wir sind uns immer bewusst, wie sicher das Fundament ist, auf dem wir stehen." Im Bündnis gehe es schließlich um die Verteidigung gemeinsamer Werte.