NATO fordert Konsequenzen nach Giftattacke
15. März 2018Die NATO reiht sich in den Chor der Russland-Kritiker ein und verurteilt den Giftgasanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter scharf. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vermied es vor der Presse in Brüssel jedoch, der russischen Regierung direkt die Schuld an dem Verbrechen zu geben. Stoltenberg referierte nur, dass Großbritannien "festgestellt hat, dass Sergej Skripal, seine Tochter und ein Polizeioffizier durch ein militärisches Nervengift, das in Russland entwickelt wurde, vergiftet wurden."
Dieser Anschlag stelle die erste Verwendung eines chemischen Kampfstoffes auf NATO-Territorium dar, empörte sich Stoltenberg im Namen des NATO-Rates, also der Vertretung aller 29 Mitgliedsstaaten der Allianz. "Die britische Regierung folgert, dass es sich um einen ungesetzlichen Einsatz von Gewalt seitens der russischen Regierung gegen das Vereinigte Königreich handelt", fügte Stoltenberg etwas verklausuliert hinzu. Der Angriff verstoße gegen internationales Recht und sei völlig unakzeptabel. "Die NATO betrachtet jede Verwendung von chemischen Waffen als Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit", sagte Stoltenberg.
Diplomatische Beziehungen werden nicht gekappt
In einer Sondersitzung des NATO-Rates informierte ein britischer Regierungsvertreter über den Fortgang der Ermittlungen. Die NATO bot ihrerseits Hilfe bei der Aufklärung und beim Schutz vor chemischen Kampfstoffen an. NATO-Generalsekretär Stoltenberg unterstützt eine "angemessene" Antwort der britischen Regierung, die russische Diplomaten ausgewiesen hatte. Die diplomatischen Verbindungen zu Russland, das eine eigene Botschaft bei der NATO in Brüssel unterhält, sollen aber nicht offiziell heruntergefahren werden. Viel weiter könne man die auch gar nicht mehr herunterfahren, sagen NATO-Diplomaten.
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Seit der Besetzung der Krim durch Russland und der Verwicklung Russlands in den ukrainischen Bürgerkrieg läuft die Zusammenarbeit auf Sparflamme. Gelegentlich tritt der NATO-Russland-Rat zusammen, dessen Sitzungen aber auch keine wirklichen Ergebnisse zeitigen. Die Ankündigung des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, neue atomare, bisher unbekannte Waffensysteme zu installieren, hat die Stimmung weiter verschlechtert.
Russische Verhaltensmuster
NATO-Chefdiplomat Jens Stoltenberg sagte denn auch, der Gift-Angriff in Salisbury passe in eine lange Reihe "rücksichtslosen" russischen Verhaltens. Russland mische sich nicht nur in der Ukraine unzulässig ein, sondern habe auch Truppen in Georgien und Moldawien, obwohl diese Länder dies ablehnten. Außerdem versuche Russland in Montenegro und anderen West-Balkan-Ländern unlauter Druck auszuüben und seinen Einfluss auszubauen. Russland versuche durch Desinformation, Wahlen im westlichen Ausland zu beeinflussen. Kurz zuvor hatte die amerikanische Regierung Sanktionen gegen Russland wegen versuchter Wahlbeeinflussung verhängt.
Stoltenberg brachte auch die Aufrüstung der russischen Streitkräfte in den vergangenen zehn Jahren und eine aggressivere russische Militärdoktrin in einen Zusammenhang mit dem Giftanschlag in Großbritannien. "Die NATO will keinen neuen Kalten Krieg. Und wir wollen auch nicht in ein neues Wettrüsten hineingezogen werden", sagte Stoltenberg. Dennoch müsse Salisbury "Konsequenzen" haben. Welche, ließ er offen.
Noch kein Ernstfall
Am kommenden Montag wird sich NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit dem britischen Außenminister Boris Johnson in Brüssel treffen, um zu beraten, welche Konsequenzen angezeigt sind. Eins ist aber sicher: Großbritannien wird nicht um militärischen Beistand der NATO-Verbündeten nach Artikel 5 der Charta ersuchen. Der NATO-Ernstfall ist der Gift-Anschlag dann doch nicht. Artikel 5 war bisher erst einmal aktiviert worden: nach den Terrorangriffen der Al-Quaida auf New York und Washington im September 2001. Stoltenberg wird Johnson das sagen, was dieser in Zeiten des Brexit sicher gerne hören wird: "Britain is not alone." Auch die EU, die Großbritannien ja verlassen will, wird sich solidarisch zeigen. Eine entsprechende Erklärung ist für das Gipfeltreffen Ende nächster Woche geplant.