Schlinge in der Garage von Bubba Wallace
22. Juni 2020Es geht nicht um irgendetwas, es geht um ein Stück Amerika: Nascar ist in den USA neben der Indycar-Serie die beliebteste Motorsportserie. Gerade in den Südstaaten, wo auch ein überwiegender Teil der Rennen stattfindet, pilgern regelmäßig Zehntausende Motorsport-Fans zu den Rennen. Unter Teilen der Zuschauer ist neben den Fahrern auch die sogenannte Konföderierten-Flagge der Südstaaten-Kriegspartei im amerikanischen Bürgerkrieg beliebt.
Das Zeigen der Flagge der im Krieg unterlegenen Konföderation gehört zu Teilen des Nascar-Publikums so selbstverständlich dazu, wie Hotdogs. Die Flagge ist bei den Rennen omnipräsent, weht auf vielen Rängen. Ein großes Thema war sie in der Vergangenheit nie, nur vereinzelt gab es es Kritik am Zeigen der Flagge auf den Tribünen. Insbesondere in der Community der Schwarzen gilt die Konföderierten-Flagge jedoch auch als Symbol für Rassismus und Sklaverei. Erst jetzt kommt es zu einer breiten öffentlichen Diskussion. Im Zuge des gewaltsamen Todes von George Floyd bei einer Polizeikontrolle und den folgenden landesweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, reagierte die Rennserie: Seit dem 10. Juni ist die Flagge bei den Nascar-Rennen verboten. Doch das scheint nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn einer Auseinandersetzung mit verhärteten Fronten zu sein.
Eskalation in Alabama
Zum letzten Rennen pilgerten am Wochenende mehrere Hundert Menschen mit am Auto gehissten Konföderierten-Flagge zum Talladega Superspeedway in Lincoln im US-Bundesstaat Alabama. Und das obwohl zum Rennen aufgrund von behördlichen Auflagen aufgrund der Corona-Pandemie lediglich 5000, statt der sonst üblichen 80.000 Zuschauer kommen konnten. Fern blieb dem Rennen offensichtlich aber eher die breite, unpolitische Masse der Zuschauer. Stattdessen kam der harte Kern derer, die die Rennen schon lange für das Zurschaustellen ihrer Gesinnung nutzen.
Und dieser harte Kern scheint durch das von der Rennserie ausgesprochene Verbot "ihrer Flagge" an den Strecken erst recht animiert. Denn bei der beflaggten Pilgerfahrt blieb es am vergangenen Wochenende nicht. Die neueste Eskalationsstufe erreichten die "Flaggenträger" mit gleich zwei Aktionen: Zunächst war ein Flugzeug mit einem großen Banner und der Aufschrift "Defund Nascar" (deutsch: Entzieht Nascar die Finanzierung) über dem Talladega Superspeedway gekreist, ehe vor Beginn des Rennens in der Boxen-Garage des einzigen Fahrers im Feld mit dunkler Hautfarbe, Darrell "Bubba" Wallace, ein zur Schlinge geknüpfter Strick gefunden wurde.
Eine derartige Grenzüberschreitung hatte es in der von weißen Fahrern dominierten Nascar-Serie vorher noch nie gegeben. Schließlich wurde eine solche symbolträchtige Drohung bereits vom Ku-Klux-Klan genutzt und ihr folgten insbesondere auch hier in Alabama nicht selten gewalttätige Angriffe gegen Schwarze und Bürgerrechtler. Dass Bubba Wallace, der wie viele der Zuschauer an diesem Rennwochenende aus Alabama stammt, mit einer derartigen Aktion bedroht wird, wirkte wie ein Schock für die gesamte Szene. Vor allem auch, weil der Verdacht nah liegt, dass jemand mit Streckenpass - möglicherweise sogar ein Mitglied eines der Teams - die Schlinge in der Garage von Wallace platziert hat. Denn gewöhnliche Fans haben keinen Zutritt zum Inneren der Strecken, in denen die Boxengassen liegen.
Nascar-Serie reagiert
Wallace, der seit 2012 in den verschiedenen Serien des Nascar aktiv ist, hatte sich zuvor klar positioniert und das Flaggen-Verbot, wie auch andere Fahrer und Team-Mitglieder, ausdrücklich begrüßt. Am Rennwochenende war der 26-Jährige mit einem schwarzen Shirt und der Aufschrift "I can't breathe" (deutsch: Ich kann nicht atmen - was der in Minneapolis von Polizisten getötete George Floyd auf dem Boden liegend immer wieder gesagt hatte, Anm. d. Red.) auf der Strecke zu sehen.
"Wir haben der Nascar-Serie am späten Nachmittag mitgeteilt, dass in unserer Teamgarage eine Schlinge gefunden wurde, hieß es in einer Mitteilung des Teams nach Bekanntwerden des Vorfalls am Sonntag. Weiter hieß es, man sei "wütend und außer sich". Der Fahrer selbst schrieb bei Twitter, der "unglaubliche Akt des Rassismus" mache ihn "unfassbar traurig" und zeige, "wie viel weiter" man als Gesellschaft kommen und "wie standhaft" man "im Kampf gegen den Rassismus" sein müsse. Die Rennserie selber kündigte "polizeiliche Ermittlungen" im Bezug auf den Vorfall an.
"Bubba Wallace, mein Bruder"
Wie in den gesamten USA ist auch im Nascar eine Auseinandersetzung mit Rassismus, dem Umgang mit der Sklaverei-Vergangenheit, dem Bürgerkrieg sowie Denkmälern von Konföderierten-Generälen und anderen historischen Figuren, entbrannt. Wie weitreichend die jüngsten Ereignisse im Nascar reichen, zeigten auch die Reaktionen aus der Sportwelt. Basketballer LeBron James - bekannt für kritische Einlassungen in gesellschaftlichen Debatten - twitterte: "Widerlich, Bubba Wallace, mein Bruder. Du bist nicht allein. Ich bin stolz auf dich, dass du dich für Veränderungen im Sport und in Amerika einsetzt." Der Superstar von den Los Angeles Lakers schrieb dazu, er "begrüße auch" die Reaktion der Nascar-Rennserie.
Der ideologische Konflikt rund um Nascar ist wahrscheinlich noch lange nicht ausgestanden. Zwar werden die nächsten beiden Rennen in Pennsylvania und Indiana ausgetragen. Beides sind Staaten, in denen die Konföderierten-Flagge eher selten gezeigt wird. Doch dann folgen im Juli drei weitere Rennen in Kentucky, Tennessee und Texas. Hier wird sich zeigen, wie es Nascar und Fans tatsächlich halten mit dem Verbot der umstrittenen Flagge.