Napoleon und Metternich: Showdown in Dresden
5. November 2012Historische Bücher über das Jahr 1812 gab es in diesem Jahr reichlich. Der Rückblick, 200 Jahre nach der entscheidenden historischen Wegmarke, hat viele Historiker inspiriert: insbesondere der fatale Rußlandfeldzug Napoleons. Der Journalist und Historiker Günter Müchler dreht schon ein Stück weiter: In seinem Buch "1813 - Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden" hat er seinen Blick auf das kommende Jubiläumsjahr gerichtet. Im Juni 1813 kam es im Palais Marcolini in Dresden zu einer entscheidenden Begegnung der beiden Politiker. Müchler fokussiert den Kampf um zukünftige Machtpositionen auf dem europäischen Kontinent auf das Duell Napoleon - Metternich. 1813 stand das Schicksal Europas auf des Messers Schneide: wieder Krieg oder endlich Frieden. Bekanntermaßen kam es wieder zum Krieg. Auf eine vergleichsweise friedliche Phase musste der Kontinent bis 1815 warten.
Deutsche Welle: Was hat Sie gerade an dieser Begegnung, diesem Duell zweier Machtpolitiker, so interessiert?
Günter Müchler: Auch wenn es natürlich nicht um das klassische Duell im Sinne der Romane eines Alexandre Dumas geht: Es war der Kampf zweier Männer, der die ganze erste Jahreshälfte 1813 beherrscht hat, und der an einem bestimmten Tag, nämlich dem 26. Juni, zum Finale kommt. Das hat mich an diesem Ereignis fasziniert. Es ist ein Ereignis, das zwei außergewöhnliche Menschen im Vordergrund sieht: Napoleon, der - gleichgültig wie man zu ihm stehen mag - eine der gewaltigsten Erscheinungen der Geschichte war. Zum anderen Metternich, der vielfach verkannt wird, weil er verkürzt wird auf seine Rolle als Reaktionär. Metternich war aber auch ein hochgeachteter Politiker, der, durch die europäische Friedensordnung nach 1815, dem Kontinent eine lange Friedensperiode gebracht hat.
Was hat die beiden so unterschieden?
Es sind Archetypen der Menschheitsgeschichte. Auf der einen Seite Metternich, der Grandseigneur, der Vertreter des Ancien Regime, des alten Systems, das durch absolutes Königtum und Feudalherrschaft gekennzeichnet war. Auf der anderen Seite Napoleon, der auch als Eroberer immer ein Kind der Revolution blieb, also ein Verfechter einer neuen Ordnung war. Metternich war der Diplomat, Napoleon der Soldatenkaiser, der Mann der Tat. Unterschiedlicher konnten die beiden Personen gar nicht sein, die da aufeinanderprallten.
...und was war das Ergebnis des Treffens auf lange Sicht?
Durchgesetzt hat sich Metternich. Man muss versuchen, sich die Situation 1813 vor Augen zu halten. Napoleon hat gerade in Russland eine Katastrophe erlebt, seine große Armee ist pulverisiert worden. Trotzdem ist er noch immer der Hegemon in Europa, der Mann, der ein riesiges Reich in seiner Hand hält, ein Reich, so groß, wie kein anderes nach dem von Karl des Großen. Es gelang Napoleon, damals erneut eine beachtliche Streitmacht aus dem Boden zu stampfen.
Auf der anderen Seite standen als Kriegsgegner Russland, auch Preußen. England war ebenfalls auf der Seite der Gegner, wenn auch nicht aktiv mit Soldaten, sondern mit viel Geld. Die entscheidende Frage in dieser Situation war: Wie wird sich Österreich verhalten? Österreich war noch während des Russlandfeldzugs Koalitionspartner Napoleons. Nun versuchte es sich unter Metternich neu zu orientieren. Das war ein verdeckter, ein diplomatischer Akt, sehr halsbrecherisch, sehr riskant. Metternich versuchte Österreich aus dem alten Bündnis mit Frankreich herauszulösen. Kann Napoleon das verhindern? Wird er es schaffen, dass Österreich wenigstens neutral bleibt? Oder wird Österreich der russisch-preußischen Allianz beitreten? Das hätte ein Bündnis geschaffen, das man zu Recht als Weltkriegsbündnis hätte bezeichnen können. Dem wäre dann auch Napoleon unterlegen - einfach weil die Übermacht, die durch den Kriegseintritt Österreichs geschaffen würde, zu groß war.
Über was wurde dann in Dresden verhandelt?
Die Standpunkte waren klar. Das achteinhalbstündige Gespräch hat letztlich nicht entschieden über Krieg und Frieden - die Entscheidungen waren vorher gefallen. Die Bedeutung dieses magischen Moments liegt in der Tatsache, dass verschiedene politische Möglichkeiten damals sichtbar wurden. In meinem Buch geht es darum, diesen Moment herauszuarbeiten. Was macht Schwäche aus? Metternich hat sich durchgesetzt und den Sieg in diesem Duell davongetragen, weil auf der anderen Seite ein allmächtiger Diktator saß, der über keine ausreichende Legitimität verfügte.
Nun gab es keine Zeugen des Gesprächs, keine direkten Aufzeichnungen. Wie schreibt man ein historisches Buch über ein ganz bestimmtes, noch dazu kurzes Ereignis?
Sicher, es gibt keine unmittelbare, bis ins Zitat hinein verlässliche Quellengrundlage. Es gab keine Ohrenzeugen. Die ungewöhnliche Länge des Gesprächs war ja auch nicht geplant. Es wurde kein Essen serviert, es wurde nur geredet, geredet, geredet. Man muss auch unterstellen, dass die Darstellungen sowohl von Metternich als auch von Napoleon interessenbedingt gefärbt waren. Aber wenn man die Dokumente, die man hat, nebeneinander stellt, wird man feststellen, dass sie im Kern doch sehr nahe beieinander liegen. Man erfährt nicht nur, warum es ging, man erfährt auch wie temperamentvoll das Gespräch geführt wurde. Napoleon hat es eindeutig dominiert, das kam auch seiner Stellung zu. Metternich konnte im Grund ruhig dasitzen und abwarten.
Wäre ein solches Gespräch in der heutigen politischen Landschaft noch möglich?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ich neige dazu, den menschlichen Faktor auch in der heutigen Politik hoch zu veranschlagen. Das spielt schon eine Rolle. Aber es ist keineswegs zu vergleichen mit den objektiven Möglichkeiten, die die handelnden Akteure damals hatten.
Günter Müchler: Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden, Theiss Verlag 2012, 272 Seiten, ISBN 978 3 8062 2623 2.