Nahost aktuell: Hamas verzögert weitere Geiselfreilassung
25. November 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Hamas schiebt weitere Geiselfreilassung auf
- Israel droht mit Fortsetzung der Bodenoffensive
- US-Präsident Biden setzt sich für längere Feuerpause ein
- Kanzler Scholz: Freilassung erster Geiseln "kann nur ein Anfang sein"
- Israelische Armee: Freigelassene nicht in Lebensgefahr
Eigentlich sollten an diesem Samstagnachmittag 14 weitere israelische Geiseln freikommen, die die militant-islamistische Palästinensergruppe Hamas bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober in den Gazastreifenverschleppt hatte. Für den zweiten Tag der Feuerpause in Nahost hatte die Hamas nach israelischen Angaben zugesagt, 14 Geiseln freizulassen. Israel hatte nach eigenen Angaben eine Liste mit den Namen erhalten. Acht von ihnen sollen demnach Kinder sein, meldete das israelische Portal "Ynet.
Im Gegenzug sollten 42 weitere palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Das berichteten israelische Medien unter Berufung auf die Gefängnisbehörde des Landes. Wie der Sender Al Jazeera meldet, soll es sich um 18 Frauen und 24 männliche Jugendliche handeln.
Hamas wirft Israel Wortbruch vor - Israel droht offenbar mit Angriffen
Doch nun soll sich die Übergabe der zweiten Gruppe von Geiseln aus dem Gazastreifen nach Angaben der Al-Kassam-Brigaden, des militärischen Arms der Hamas, verzögern. Die Terrororganisation warf Israel vor, weniger als die Hälfte der vereinbarten Hilfslieferungen auch für den nördlichen Teil des Gazastreifens ermöglicht zu haben.
Israel hat Medienberichten zufolge ein Ende der Feuerpause um Mitternacht (Ortszeit) angedroht, sollte die islamistische Hamas die zweite Gruppe von Geiseln nicht wie geplant freilassen. "Die Hamas ist sich bewusst, dass das israelische Militär die Bodenoffensive im Gazastreifen fortsetzen wird, wenn die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden", sagte ein israelischer Sicherheitsbeamter der Nachrichtenseite "ynet" - und warf der Hamas vor, bereits am Vortag "dasselbe Spiel" gespielt zu haben.
So seien kurzfristig die Reiseroute und der Transport der Geiseln geändert worden sein. Dem Beamten zufolge sollen auch, mehr der geplanten Hilfstransporte in den nördlichen Gazastreifen gelangt sein, als von der Hamas angegeben.
Auch mehrere weitere israelische Medien berichteten unter Berufung auf Sicherheitskreise von dem Ultimatum bis Mitternacht, eine offizielle Bestätigung stand jedoch zunächst aus.
Biden setzt sich für längere Feuerpause ein
Nach dem Inkrafttreten der viertägigen Feuerpause im Gazastreifen und der Freilassung der ersten israelischen Geiseln hat US-Präsident Joe Biden dazu aufgerufen, nach Auswegen aus dem Konflikt zu suchen. Die "Chancen sind real", die zunächst auf vier Tage angesetzte Feuerpause zwischen Israel und der Hamas zu verlängern, sagte Biden in Nantucket im US-Bundesstaat Massachusetts. Zudem sprach er sich dafür aus, die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt zu "erneuern".
Die Feuerpause zwischen der Hamas und Israel war am Freitagmorgen in Kraft getreten. Als Teil der Vereinbarung wurden am ersten Tag 13 Israelis freigelassen, die von Mitgliedern der Terrororganisation Hamas bei deren Angriff auf Israel vor knapp sieben Wochen in den Gazastreifen verschleppt worden waren. Nach Angaben der israelischen Regierung gehören zu den Freigelassenen vier Doppelstaatler mit deutschem Pass. Im Gegenzug entließ Israel 39 palästinensische Gefangene.
Außerdem kamen zehn thailändische Landarbeiter und eine philippinische Geisel frei. Die Freilassung der Thailänder war einem Insider zufolge nicht Teil der Waffenruhe-Vereinbarung, sondern wurde unabhängig davon ausgehandelt - ebenfalls unter Vermittlung Katars sowie Ägyptens. Während der mehrtägigen Feuerpause sollen insgesamt 50 der schätzungsweise 240 Hamas-Geiseln freikommen. Im Gegenzug sollen insgesamt 150 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen werden.
US-Präsident Biden zeigte sich nach der Freilassung erster Geiseln erleichtert und betonte, dass dies erst "der Beginn eines Prozesses" sei. Er erwarte dieses Wochenende und Montag die Freilassung weiterer Entführter. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen Dutzende von Geiseln zu ihren Familien zurückkehren werden."
Er stehe weiter in Kontakt mit den politischen Spitzen in Katar, Ägypten und Israel, "um sicherzustellen, dass alles nach Plan verläuft und jeder Aspekt der Vereinbarung umgesetzt wird", so Biden. Nach Angaben der Regierung in Washington gehören zu den 50 Geiseln, die noch freikommen sollen, mindestens drei US-Bürgerinnen - ein vier Jahre altes Mädchen und zwei Frauen. Insgesamt gelten noch zehn US-Amerikaner als vermisst.
Scholz: Freilassung erster Geiseln "kann nur ein Anfang sein"
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Freisetzung einer ersten Gruppe von Hamas-Geiseln als eine "gute Nachricht" bezeichnet und betont, dies könne "nur der Anfang" sein. "Wir können kaum ermessen, was sie und ihre Angehörigen in den letzten Wochen haben durchmachen müssen", ließ Scholz verlauten. Der Kanzler bezeichnete die Freilassung als "das Ergebnis unermüdlicher Diplomatie". "Unser Dank gilt allen, die sich dafür engagiert haben." Zugleich forderte er, die Hamas müsse "alle Geiseln bedingungslos freilassen".
UNFIL-Truppen im Libanon offenbar unter israelischem Beschuss
Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, ist eine Patrouille der Beobachtermission der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL) von israelischem Geschützfeuer getroffen worden. Nach Angaben der UNIFIL habe sich der Vorfall in der Nähe von Aytaroun im Südlibanon ereignet. Menschen seien nicht verletzt worden.
Die UNIFIL verurteilte demnach den Angriff auf ihre Friedenssoldaten und bezeichnete ihn als "zutiefst beunruhigend". "Wir erinnern die Parteien nachdrücklich an ihre Verpflichtung, die Friedenstruppen zu schützen und die Männer und Frauen, die an der Wiederherstellung der Stabilität arbeiten, nicht zu gefährden", hieß es laut Reuters in einer Erklärung.
Die United Nations Interim Force in Lebanon -UNIFIL - wurde im Jahr 1978 gegründet. Die Beobachtermission hatte ursprünglich die Aufgabe, den Abzug der israelischen Truppen zu überwachen.
Während des Libanonkrieges 2006 wurde das UNIFIL-Mandat grundlegend erweitert. Seitdem soll die UN-Friedenstruppe im Süden des Libanon die von Israel während des Krieges besetzten Stellungen übernehmen und sicherstellen, dass in dem Gebiet keine bewaffneten Milizen aktiv werden. Als bewaffnete Blauhelmmission dürfen die UNIFIL-Truppen ihre Aufgaben im Rahmen des Mandats mit Gewalt durchsetzen.
Armeesprecher: Freigelassene nicht in Lebensgefahr
Die 24 Menschen, die am Freitag im Gazastreifen freikamen, sind nach Angaben der israelischen Armee in einer guten gesundheitlichen Verfassung. Die 13 Israelis und 11 Ausländer seien ersten medizinischen Tests unterzogen worden, sagte Militärsprecher Daniel Hagari. Ihr Leben sei nicht in Gefahr. Fast alle Betroffenen seien zunächst zu einem Luftwaffenstützpunkt in der Negev-Wüste gebracht worden. Danach wurden sie mit Hubschraubern in Krankenhäuser geflogen, wo sie ihre Angehörigen trafen.
Vier Kinder, drei Mütter und eine Großmutter seien "in den besten und fürsorglichsten Händen" im Schneider Children's Medical Center in Petah Tikva bei Tel Aviv angekommen, zitierte die Zeitung "Haaretz" die Direktorin Efrat Baron Har Lev. "Ihre körperliche Verfassung ist gut", berichtete sie. Fünf weitere israelische Ex-Geiseln trafen im Wolfson Medical Center bei Tel Aviv ein.
Freude über die Heimkehr der Gefangenen
Nachdem 39 palästinensische Frauen und Minderjährige aus israelischer Haft entlassen worden waren, feierten Landsleute im israelisch besetzten Westjordanland die Ankunft von 28 der Freigelassenen mit Feuerwerk. Das berichtet ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP. Elf weitere Ex-Häftlinge wurden in den von Israel annektierten Ostteil Jerusalems gebracht.
Bei den insgesamt 39 von Israel freigelassenen palästinensischen Gefangenen handele es sich um 24 Frauen und 15 männliche Teenager, heißt es von palästinensischer Seite. Nach Informationen der Zeitung "Times of Israel" saßen die meisten Jugendlichen wegen Aufruhrs und Steinwürfen im Westjordanland oder Ostjerusalem in israelischer Haft. Die palästinensischen Frauen seien wegen versuchter Messerattacken im Gefängnis gewesen.
EU lobt Waffenruhe im Gazastreifen
Die Europäische Union hat die Waffenruhe zwischen Israel und der militant-islamistischen Hamas begrüßt. In einer Stellungnahme in Brüssel sprach der Außenbeauftragte Josep Borrell von einem "Waffenstillstand", der als erster Schritt zur Beendigung der "schrecklichen humanitären Lage im Gazastreifen" vollständig umgesetzt und ausgedehnt werden solle.
Zugleich kündigte er für Montag Gespräche über eine Friedenslösung im Rahmen einer Konferenz der Union für den Mittelmeerraum an. Zu den Beratungen in der spanischen Metropole Barcelona, die von der EU und Jordaniens Außenminister Ayman Safadi geleitet werden, seien auch Vertreter der Arabischen Liga und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit eingeladen, sagte Borrell.
200 Lastwagen mit Hilfsgütern eingetroffen
Die Feuerpause soll auch für eine Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen genutzt werden. Am frühen Samstagmorgen passierten vier Lkw mit Treibstoff von Ägypten aus den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Seit Freitag trafen nach israelischen Angaben insgesamt 200 Lastwagen mit Hilfsgütern dort ein. Es war der größte humanitäre Konvoi, der seit Kriegsbeginn in das Palästinensergebiet gelangte. Nach Informationen der Vereinten Nationen sind schätzungsweise 1,7 Millionen der 2,4 Millionen Einwohner des Gazastreifens durch die Kämpfe vertrieben worden.
Der Krieg in Nahost war durch einen Angriff der Hamas auf Israel ausgelöst worden. Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Hunderte Hamas-Terroristen waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten dort Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt, darunter zahlreiche Kinder. Nach israelischen Angaben hatten die Hamas-Terroristen etwa 1200 Menschen getötet. Rund 240 Menschen wurden von ihnen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Daraufhin startete Israel einen großangelegten Militäreinsatz, bei dem es Ziele im Gazastreifen aus der Luft, zu Boden und vom Meer aus angriff. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seitdem mehr als 14.800 Menschen im Gazastreifen getötet, rund 40 Prozent davon seien Kinder, hieß es.
kle/ack/AR/jj/al/cw/qu/as (dpa, rtr, afp)