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KonflikteSyrien

Nach dem Sturz von Baschar al-Assad: Wie geht es weiter?

Veröffentlicht 8. Dezember 2024Zuletzt aktualisiert 8. Dezember 2024

Der syrische Gewaltherrscher Baschar al-Assad ist gestürzt. Das Land steht vor einem Neuanfang. Wohin es sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab.

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Ein Syrer reißt ein Plakat des Gewaltherrschers Baschar al-Assad nieder
Sturz in jeder Hinsicht: Ein Syrer reißt ein Plakat des Gewaltherrschers Baschar al-Assad nieder Bild: Mohammed Al-Rifai/AFP/Getty Images

Baschar al-Assad soll sich nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen mittlerweile in Moskau aufhalten. Die staatlichen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti berichteten am Sonntag unter Berufung auf eine Quelle im Kreml, Russland habe "auf Grund humanitärer Erwägungen" Asyl gewährt.  

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte soll Assad Damaskus am Samstagabend gegen 22 Uhr in einem Privatflugzeug verlassen haben. Syrische Militärkreise bestätigten die Meldung: Assad habe das Land per Flugzeug verlassen.

Und Syriens noch amtierender Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali teilte mit, er habe keinen Kontakt mehr zum geflohenen Machthaber Baschar al-Assad. 

Dass er weg ist, dokumentieren auch zahlreiche Aufnahmen und Videos in den sozialen Medien: Sie zeigen wie die Bevölkerung in den Palast des gestürzten Diktators eindringt und feiert.

Derweil stellt sich die Frage, wie es in Syrien weitergeht. Am Sonntagmorgen hatte die islamistische Allianz "Haiat Tahrir al-Scham" (HTS) eine erste Erklärung veröffentlicht.

"An die Vertriebenen aus aller Welt, das freie Syrien erwartet Euch." Bilder im Netz zeigen die Befreiung mehrerer Gefängnisse des Regimes, unter anderem dem berüchtigten Saidnaya-Gefängnis nördlich von Damaskus, in dem tausende von Regimegegnern gefoltert und getötet wurden. 

Gemäßigte Islamisten?

Doch wie frei wird Syrien tatsächlich sein? Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei vor allem auf den Führer der islamistischen HTS-Miliz, Abu Mohammed al-Dschulani, der das Land nun weitgehend kontrolliert.

Wie stellt er sich die Zukunft Syriens vor? Dazu gibt es verschiedene Einschätzungen. HTS habe eine längere Entwicklung durchlaufen, sagte der Syrien-Experte André Bank vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg vor einigen Tagen der DW.

So habe sich Dschulani bereits vor Jahren von Al-Kaida distanziert. Auch gelte er als Gegner der Dschihadisten-Organisation Islamischer Staat. Das bedeute, dass er sich nicht auf einer Mission gegen den Westen befinde, sondern sich auf Syrien konzentriere. Denkbar ist, dass er nun auf eine salafistische Ordnung hinarbeitet. 

Al-Dschulani selbst sendet derweil Zeichen der Mäßigung. So rief er bei der Offensive auf Aleppo dazu auf, Christen und Minderheiten zu schonen.

Im Gespräch mit dem US-amerikanischen Nachrichtensender CNN erklärte er, er wolle staatliche Institutionen aufbauen, die alle gesellschaftlichen Gruppen des Landes umfassen sollten. Dass es bislang nicht zu Gewalt gegen Minderheiten kam, sei ein "hoffnungsvolles Zeichen", sagt der Syrienexperte James Dorsey vom Middle East Institute in Washington der DW. 

Skeptischer äußerte sich hingegen der ehemalige deutsche Botschafter in Damaskus, Andreas Reinicke. HTS sei weiterhin in der Ideologie von Al-Kaida verwurzelt. Deshalb sei die Zukunft der christlichen und kurdischen Minderheiten in Syrien gefährdet, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). 

Der Islamistenführer Abu Muhammad al-Dschaulani bei einer Ansprache, März 2024. Er hält ein Mikrophon in seiner linken Hand
Wie wird er sich verhalten? Der Islamistenführer Abu Muhammad al-DschaulaniBild: OMAR HAJ KADOUR/AFP/Getty Images

Die Rolle der Syrischen Nationalen Armee

Neben der HTS haben noch andere Gruppen Einfluss in Syrien. An der Seite der HTS kämpft die Syrische Nationale Armee (SNA). Sie ist aus der Free Syrian Army (FSA), einem Verbund gegen Assad kämpfender Milizen nach Beginn des Aufstands 2011 hervorgegangen und soll eine große Nähe zur Türkei haben.

Der SNA wurden wiederholt Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. So soll sie wiederholt Kurden gefoltert haben. Zugleich gebe es innerhalb der Gruppe aber auch Mechanismen, die derartige Verbrechen verhindern sollen, sagte der Syrien-Experte Omer Ozkizilcik vom Think Tank Atlantic Council dem Nahost-Magazin Middle East Eye. 

Nun kommt es darauf an, welche Kräfte innerhalb der SNA sich durchsetzen und welches Verhältnis sie zu der als Konkurrenz gesehenen HTS finden.

Bei all dem spielen aber auch die Anti-Assad-Milizen aus dem Süden des Landes eine Rolle. Mit der HTS verbindet sie nur die Gegnerschaft zu dem gestürzten Diktator; weltanschaulich unterscheiden sich diese überwiegend säkular motivierten Gruppen von den Islamisten aber erheblich.

Und im Norden wiederum werden sich die Kurden gegen die SNA und die hinter ihr stehende Türkei zu behaupten versuchen. Auch dieser Konflikt birgt erhebliches Gewaltpotential. 

Drei junge Männer recken die Arme nach oben und machen das Victory-Zeichen auf einer gestürzten Statue von Hafiz al-Assad, dem Vater Baschar al-Assads in Hama am 7.12.2024,
Triumph: Junge Syrer auf einer gestürzten Statue von Hafiz al-Assad, dem Vater Baschar al-Assads, in der Stadt Hama am 7. DezemberBild: IMAGO/ZUMA Press Wire

Russland, Iran, Türkei: die Rolle der ausländischen Akteure

Ganz wesentlich kommt es für die Zukunft Syriens auch auf das Verhalten der internationalen Akteure an. Erheblich an Einfluss gewinnen dürfte die Türkei. Sie sei potenziell ein "Königsmacher" in Syrien sagt James Dorsey.

Sie könnte auf eine islamistisch geprägte Regierung setzen. Herausforderungen für Ankara seien aber ein möglicher Konflikt mit den Kurden und Dezentralisierungsbemühungen von HTS.

Großer Verlierer des Umsturzes ist der Iran. Er hatte über Jahre an der Seite Assads gegen die Aufständischen gekämpft und erheblich zu dessen Sieg beigetragen.

So konnte Teheran sich in Syrien militärisch festsetzen - für das Regime in Teheran eine ideale Gelegenheit, näher an Israel heranzurücken und zugleich die ihm verbundene, ebenfalls gegen Israel gerichtete Hisbollah mit Waffen zu versorgen. Beide, der Iran und die Hisbollah, haben sich in den vergangenen Tagen aus Syrien zurückgezogen. 

Blick in die von Syrern gestürmte iranische Botschaft in Damaskus am 8.12.2024. Zu sehen sind umgestürzte Tische, Stühle und Regale und haufenweise verstreutes Papier auf dem Boden
Chaostage in Damaskus: Blick in die von Syrern gestürmte iranische Botschaft in Damaskus, 8.12.2024Bild: OMAR HAJ KADOUR/AFP/Getty Images

Der Fall des Assad-Regimes dürfte auch Rückwirkungen auf Irans Glaubwürdigkeit im Rahmen der gesamten sogenannten "Achse des Widerstandes" haben, sagte Marcus Schneider, Projektleiter "Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten - Nordafrika" der Friedrich-Ebert-Stiftung, vor einigen Tagen der DW.

"Darum wäre eine Niederlage in Syrien für Teheran vergleichbar mit der Niederlage in Afghanistan für die Sowjets. Sie könnte auch das Ende des islamistischen Regimes in Teheran selbst einläuten." 

Betroffen von dem Aufstand ist auch Russland, das das Assad-Regime von 2015 an im Kampf gegen die Aufständischen unterstützt. Im Gegenzug sicherte sich der Kreml eine Marinebasis bei Tartus und den Luftwaffenstützpunkt Hmeimim bei Latakia an der Mittelmeerküste. Diese dürfte er unter allen Umständen verteidigen. Auch hier könnte es zu erheblicher Gewalt kommen.

Islamistische Rebellen gegen Assad-Regime

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika