Nächste Runde im Kampf um Koalition und Kanzlerschaft
28. September 2005Union und SPD haben auf dem steinigen Weg zu einer
großen Koalition trotz der ungeklärten Kanzlerfrage erste
Fortschritte erzielt. Anderthalb Wochen nach der Bundestagswahl zeigten sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel nach dem zweiten Sondierungsgespräch am Mittwoch überraschend zuversichtlich, dass eine gemeinsame
inhaltliche Basis für ein stabiles Bündnis gefunden werden kann.
Weitgehend ausgeklammert wurde der Machtkampf um das Kanzleramt. Beide Seiten hielten nach dpa-Informationen lediglich zu Beginn des zweieinhalbstündigen Gesprächs ihren Anspruch aufrecht, die Regierung zu führen. Danach wurde aber die Diskussion über den Haushalt, den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme aufgenommen, hieß es.
Am kommenden Mittwoch sollen die Gespräche fortgesetzt werden. Weitere Treffen in der kommenden Woche können sich anschließen.
"Dass es gelingen kann"
Die CDU-Vorsitzende Merkel zeigte sich wie die übrigen Gesprächsteilnehmer "angenehm beeindruckt" von der Gesprächsatmosphäre, die sie vor zwei Wochen zum Wahlkampfende "so nicht für möglich gehalten hätte". Sie bat die Bürger um Geduld: "Niemand kann erwarten, dass das alles in zwei Tagen gelöst werden kann." Bei dem ersten Treffen am vergangenen Donnerstag hatten beide Seiten lediglich vereinbart, die Kontakte fortzusetzen.
Schröder sagte: "Ich gehe davon aus, dass es gelingen kann, ja gelingen wird, eine stabile Konstruktion zustande zu bringen." Diese werde dann auch über vier Jahre halten. Müntefering meinte: "Es gibt keinen Senior- und keinen Juniorpartner." Es sei auf gleicher Augenhöhe gesprochen worden.
CSU-Chef Edmund Stoiber verlangte aber nach dem Treffen mehrmals, dass die SPD Merkels Anspruch auf das Kanzleramt akzeptieren müsse, bevor es zu echten Koalitionsverhandlungen komme. Merkel machte aber
deutlich, dass trotz der Haltung der SPD, darauf momentan nicht einzugehen, weiter geredet werden könne. Über die Voraussetzungen für ein Bündnis könne parallel gesprochen werden. "Das ist kein Problem."
Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus forderte aber von der SPD im Streit um die Kanzlerschaft bis zum nächsten Sondierungstreffen eine Entscheidung. "Wir erwarten nächste Woche darauf eine Antwort", sagte er. Der Wille auf beiden Seiten sei sehr stark, sich grundsätzlich in den Inhaltsfragen zu einigen. "Es war sicherlich ein Schritt nach vorne."
Wer wird Bundestagspräsident?
Die Union hatte es zuvor trotz der sich abzeichnenden Annäherung abgelehnt, die Wahl des Bundestagspräsidenten bei der konstituierenden Sitzung am 18. Oktober zu verschieben. Die Parlamentarischen Geschäftsführer von Union, FDP, Grünen und Linkspartei lehnten nach dpa-Informationen den Vorstoß aus rechtlichen Gründen ab. In den Fraktionen halten sich Spekulationen, dass CDU und CSU auf ihren Anspruch auf den Parlamentspräsidenten zu Gunsten der SPD verzichten könnten, wenn es zur Koalition kommt, um so die Sozialdemokraten zur Wahl einer Bundeskanzlerin Merkel zu bewegen.
Nach Worten Münteferings und Merkels wurde über die
Föderalismusreform, die sozialen Sicherungssysteme sowie über die Themen Arbeit und Haushalt gesprochen. Schröder wies auf die mit der Agenda 2010 eingeleiteten Reformschritte hin, die fortgeführt werden müssten. Dazu gehörten die Betreuung von Kindern und Investitionen in Wissenschaft und Forschung. Themen wie der zwischen der Union und SPD strittige EU-Türkei-Beitritt wurden ausgespart. Konkrete Absprachen über Projekte gab es nicht.
Stoiber will nach Berlin
Union und SPD trafen sich erstmals in größerer Runde. Außer Merkel, Stoiber und Althaus nahm auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sowie CSU-Landesgruppenchef Michael Glos für die Union teil. Die SPD entsandte neben Schröder und Parteichef Müntefering Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
CSU-Chef Stoiber bekräftigte seine Absicht nach Berlin zu wechseln, wenn es zur großen Koalition komme. Zu seiner persönlichen Zukunft sagte der bayerische Ministerpräsident: "Wenn es zu einer großen Koalition kommt und die Konstellationen stimmen, bin ich dabei." (kas)