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KunstMyanmar

Ohne Angst: Wie Künstler in Myanmar kämpfen

Nadine Wojcik
15. Februar 2021

Kunst unter einem Militärregime? Um keinen Preis: Mit Kreativität und neu gewonnener Stimme protestieren Myanmars Künstler gegen den Militärputsch.

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Ein Mann als Batman verkleidet steht auf einem Panzer. Er hält ein Schild in der Hand "End the Dictatorship".
Macht der Bilder: Generation Z kämpft mit ihren Mitteln gegen den MilitärputschBild: AP/dpa/picture alliance

Jeden Tag filmt Maung Sun in den Straßen Ranguns, dokumentiert die friedlichen Demonstrationen. Nachts schneidet er sein Material und lädt es in den sozialen Medien hoch. Die Filme heißen schlicht "Tag 1" oder "Tag 8" - entsprechend der neuen Zeitrechnung in Myanmar. Gezählt werden die Tage nach dem Militärputsch, dem Wendepunkt, an dem die Bevölkerung mit Entschiedenheit aufbegehrt. Einige Aktivisten haben sich gar das Datum bereits auf den Unterarm tätowieren lassen.

Mann mit Mundschutz und Kamera sitzt im Schneidersitz auf einer Straße und hat drei Finger in die Luft gestreckt.
Filmemacher Maung SunBild: Maung Sun

Für das DW-Telefoninterview hat Maung Sun sich eine ruhige Seitenstraße gesucht, zu laut sind die Proteste. "Als ich von dem Putsch hörte, war ich einfach nur im Schock", erzählt der Filmemacher. "Niemand hat das wirklich für möglich gehalten." Maung Sun hat gerade erst mit seinem Film "Money Has Four Legs" beim Busan International Film Festival, den größten Filmfestspielen in Asien, Premiere gefeiert. Ein mutiger Film über Zensur in seinem Land. Eigentlich hätte er nach den Corona-Maßnahmen in Myanmar starten sollen. Eigentlich. Jetzt steht sein Land Kopf. Nicht nur die Meinungsfreiheit steht auf dem Spiel.

Nach Militärputsch: Künstler im Ausnahmezustand

"Es ist so ermutigend, die vielen jungen Leute zu sehen und deren kreative Protest-Formen", sagt der 36-Jährige. Durch die Straßen ziehen verkleidete Geister und Cosplayer in farbenfrohen Kostümen, junge Frauen in Ballkleider mit Schildern wie "Ich will kein Militärregime, ich will einen Freund", selbstbewusste Drag Queens, Bodybuilder mit nackten Oberkörpern und Postern von Aung San Suu Kyi.

Htein Lin weiß, wofür er kämpft. Der bekannte Maler und Performance-Künstler war bereits bei dem Volksaufstand 1988 dabei, der mit einer blutigen Niederschlagung durch das Militär endete. Seit der Unabhängigkeit der ehemaligen britischen Kolonie regierte die Armee insgesamt fast fünf Jahrzehnte lang. Suu Kyi, Anführerin der damaligen Oppositionspartei Nationalliga für Demokratie (NLD), stand insgesamt 15 Jahre lang unter Hausarrest. Damals seien sie gegen den Terror der Militärherrschaft auf die Straße gegangen. Selbst Rot, die Farbe der NLD, war verboten, vom Abbilden Aung San Suu Kyi ganz zu schweigen. "Jetzt protestieren wir, weil wir das, was wir haben, nicht verlieren wollen." 

Als Vorsitzender der Association of Myanmar Contemporary Art (AMCA) ist Htein Lin mit zahlreichen Künstlern permanent im Einsatz. Täglich treffen sich Maler, Performance-Künstler, Schriftsteller, Musiker und Unterstützer vor dem Gebäude des Obersten Gerichts, blockieren die Straße davor, zeichnen Protest-Bilder und verkaufen diese. Die Einnahmen gehen an die landesweite Protestbewegung Civil Disobedience Movement (CMD). Der Verein zeitgenössischer Künstler AMCA hatte sich gerade erst gegründet. Ausgerechnet am 1. Februar sollte es eine Pressekonferenz dazu geben, genau an dem Tag des Militärputsches.

Wie hart das Militär durchgreifen kann, hat Htein Lin schon erfahren müssen: 1998 saß er für fast sieben Jahre als politischer Häftling im Gefängnis. Seine Kunst ließ sich der heute 54-Jährige nie verbieten, malte selbst in seiner Zelle trotz striktem Verbot mithilfe von Schüsseln und Tellern auf den Stoff von Häftlingsuniformen. "Die Proteste heute haben eine andere Dynamik als damals", schreibt Htein Lin der DW über einen Kurznachrichtendienst"Im Gegensatz zu 1988 gibt es nicht einige wenige Anführer, der Protest ist viel dynamischer. Jeder ist jetzt auf der Straße: Gewerkschafter, Homosexuelle, Golden Retriever-Hundehalter."

Generation Z in Myanmar: Neues Selbstbewusstsein

"Diese Revolution wird von der Generation Z angeführt", schreibt Moe Satt, Performance-Künstler, ebenfalls gemeinsam mit Htein Lin in der AMCA aktiv. "Die Generation Z weiß, dass eine normale Revolution nicht ausreicht. Sie hat verstanden, dass eine gewisse Aufmerksamkeit notwendig ist." In Windeseile hatten sich drei hochgestreckte Finger mit gekreuztem Daumen und kleinem Finger als Protestzeichen ausgebreitet. Eine Geste aus dem Blockbuster "Die Tribute von Panem", zuvor auch bereits bei den Protesten in Thailand verwendet.

Über Nacht ist der Protestgruß zur Ikonografie geworden. Zahlreiche Künstler malen die Drei-Finger-Hand, zeichnen sie an Häuserwände, projizieren sie nachts an Wohnhäuser. Moe Satt, Jahrgang 1983, ist unter der Militärdiktatur aufgewachsen.

Dank der Demokratisierung und Öffnung seines Landes unter Aung San Suu Kyi ist er heute international erfolgreich, konnte an Ausstellungen im Ausland teilnehmen oder selbst kuratieren. "Ich möchte nicht, dass mein Sohn so aufwachsen muss wie ich, in einem Zeitalter der Angst", erklärt Moe Satt entschieden.

Diese starke Entschiedenheit der Künstler nimmt auch Nathalie Johnston wahr: "Sie haben wirklich keinerlei Angst." Die US-Amerikanerin betreibt in Rangun die Galerie "Myanm/art". Ein Herzensprojekt, als Nathalie Johnston vor rund zehn Jahren im Anschluss an ihr Kunststudium in Singapur hierher zog. Heute ist "Myanm/art" eine der wichtigsten Adressen für zeitgenössische Kunst. "Natürlich können die Künstler auch unter einer Militärherrschaft bestehen. Sie sind Überlebenskünstler, kennen das von früher. Aber sie wollen es nicht mehr", sagt Johnston im DW-Interview.

Proteste in Rangun: "Neue Stimme"

Die Kunstkennerin staunt über die vielfältige Streetart mit frecher und scharfer Kritik am Militär, insbesondere am Machtinhaber General Min Aung Hlaing. "Das habe ich hier so noch nie gesehen." Es ist, als ob ein Knoten geplatzt sei: "Die Künstler haben sich oft selbst zensiert. Man wusste erst, wo die rote Linie ist, wenn man sie überschritten hatte."

Nahaufnahme von Händen von Protestanten in Myanmar, die drei Finger hochstrecken.
Laut, mutig und zahlreich: Myanmars Bürger begehren aufBild: AP/dpa/picture alliance

Denn abgeschafft wurde 2012 nur die sogenannte Vorzensur, kritische Veröffentlichungen wurden nachträglich dennoch bestraft, etwa bei "Stören der öffentlichen Ordnung". Daher sei die Kritik an Machthabern stets sehr subtil gewesen, eher zwischen den Zeilen. "Mir scheint, die Künstler haben gerade eine neue Stimme für sich entdeckt." Bei all den Schreckensnachrichten sei das sehr bemerkenswert.

Johnstons Galerie ist ein kreativer Treffpunkt. Sie fördere vor allem "verrückte Sachen und experimentelle Kunst." Jetzt bei den Straßenprotesten zu sehen, wie sich die Menschen frei und fantasievoll ausdrücken, bedeute ihr viel. "Darin haben wir die jungen Leute solange bestärkt. Ich bin so stolz auf sie. Und auf diese wunderschöne, kreative Anarchie." Nathalie Johnston wünscht, diese anarchische Kreativität könne für immer so bleiben. Ihre Galerie "Myanm/art" unter einem Militärregime weiterzuführen, ist für sie unvorstellbar.