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Mutiert Tsipras zum Sozialdemokraten?

Konstantinos Symeonidis 29. August 2016

Der griechische Linkspremier Alexis Tsipras hat schon an mehreren Spitzentreffen der europäischen Sozialdemokraten teilgenommen. Dahinter steckt eine neue Strategie, meint Politikwissenschaftler Lazaros Miliopoulos.

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Tsipras (l.) und der französische Präsident Francois Holland beim Spitzentreffen der europäischen Sozialdemokraten in Paris (Foto: AFP)
Tsipras (l.) und der französische Präsident Francois Hollande beim Spitzentreffen der europäischen Sozialdemokraten in ParisBild: Getty Images/AFP/S. de Sakutin

Deutsche Welle: Die Athener Zeitung "To Proto Thema" scheibt, der griechische Premier und Vorsitzende der linken Syriza, Alexis Tsipras, "mutiert langsam zum Sozialdemokraten". Teilen Sie diese Einschätzung?

Lazaros Miliopoulos: Ja, das könnte man überspitzt so formulieren. Die Frage lautet nur: Was bedeutet das?

Was bedeutet das also Ihrer Meinung nach? Was sind die Absichten von Tsipras?

Hierzu gibt es zwei Lesarten: Die Öffnungen gegenüber den Sozialdemokraten werden einerseits als Versuch verstanden, die politische Linke Europas unter Einschluss der Sozialdemokraten (wie die französische PS, die deutsche SPD, die Demokratische Partei Italiens, portugiesische und spanische Sozialisten) und Linkssozialisten (wie die spanische Partei Podemos oder der portugiesische Linksblock) auf eine gemeinsame anti-neoliberale Europapolitik einzuschwören und somit die europäische Sozialdemokratie politisch-ideologisch ein Stück weit neu zu ordnen. Auf der anderen Seite sind die Schritte von Tsipras nicht ideologisch zu verstehen, sondern rein parteipolitisch-strategisch und innenpolitisch bedingt. Hinter der Öffnung gegenüber den Sozialdemokraten steht der Versuch, eine sozialdemokratische Sammlungsbewegung unter der Führung des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei Pasok, Fofi Genimata, zu unterlaufen. Eine "anti-neoliberale" Front gegen den Konservativen Kyriakos Mitsotakis unter Einschluss aller gemäßigten und unter Ausschluss aller radikalen Kräfte der politischen Linken soll nur unter Führung von Tsipras möglich werden, notfalls auch in Zusammenarbeit mit konservativen Kräften wie im Fall der Partei Anel.

Dr. Lazaros Miliopoulos, Politikwissenschaftler an der Uni Bonn (Foto: privat)
Dr. Lazaros Miliopoulos von der Universität BonnBild: privat

Glauben Sie, dass Tsipras eine noch engere Kooperation mit der ehemaligen Regierungspartei, den griechischen Sozialisten der Pasok, plant?

Es geht ihm eher um die weitestgehende Überwindung der Pasok. Er will sie durch eine linke Sammlungsbewegung unter seiner Führung ersetzen.

Alle Umfragen deuten darauf, dass Tsipras' Hauptgegner, der Konservative Kyriakos Mitsotakis, im Fall von Neuwahlen gewinnen würde. Glauben Sie, dass Tsipras noch eine Wende herbeiführen kann?

Eine Wende wird Tsipras ohne einen wirtschaftlichen Aufschwung und merkliche Strukturreformen meines Erachtens nicht herbeiführen können. Um beides zu erreichen, ist aber zu viel Zeit ungenutzt verstrichen, und dies war auch vor dem politisch-ideologischen Hintergrund von Syriza auch nicht anders zu erwarten. Die Politik von Tsipras erscheint den Wählern zudem als zutiefst widersprüchlich - und sie ist es im Grunde genommen auch. Nicht nur das sozialpolitische Kalkül, das einige mit ihm verbanden (er werde das Schlimmste verhindern), sondern auch die Hoffnungen, die er bei anderen erzeugt hat, musste er enttäuschen.

Dazu kam es spätestens als er sich im vergangenen Jahr entschied, an der Macht zu bleiben und Verantwortung zu übernehmen. Das Einzige, worauf Tsipras jetzt noch bauen kann - und worauf er tatsächlich hinarbeitet - ist, dass die konservative Partei Nea Dimokratia (ND) im griechischen Parteiensystem isoliert wird. Tsipras spielt dabei in die Hände, dass das griechische Parteiensystem jenseits der ND von populistischen, linken und etatistisch ausgerichteten Kräften dominiert wird.

Mögliche Koalitionspartner der ND liegen allesamt unter der Schwelle von drei Prozent. Auf Dauer setzt Tsipras auch auf die Veränderung des griechischen Wahlsystems: Die ND wäre wahrscheinlich jetzt schon nicht mehrheitsfähig, auch wenn sie einen relativen Wahlsieg erringen sollte. Bei einem reinen Proporzsystem wäre dies dann erst recht der Fall. Ob er sich allerdings am Ende mit dieser Strategie an der Macht halten kann, bleibt abzuwarten. Es ist wohl seine einzige Chance.

Dr. Lazaros Miliopoulos ist Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Seine Spezialgebiete sind unter anderem Extremismus- und Parteienforschung, politische Ideologien sowie Europa-Forschung.

Das Gespräch führte Konstantinos Symeonidis.