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Muslime gegen den Dschihadismus

Kersten Knipp23. Juni 2015

Immer mehr muslimische Theologen versuchen der Radikalisierung junger Gemeindemitglieder entgegenzutreten. Jetzt hat der pakistanische Islamgelehrte ul-Qadri in London einen Text gegen den Dschihadismus vorgestellt.

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Muhammad Tahir-ul-Qadri präsentiert in london sein Curriculum, 23.06.2015 (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP/M. Dunham

Die beiden Männer ringen um Fassung, kämpfen mit den Tränen. Sie sollten doch zurückkommen, flehen Akhtar Iqbal und Mohammad Shoaib, ihre Ehefrauen, die Schwestern Sugra und Khadija Dawood, in einer Pressekonferenz an. Diese hatten sich im Mai zusammen mit einer weiteren Schwester, Zohra Dawood, nach Syrien abgesetzt. Ende April hatten sie sich auf die Hadsch, die muslimische Pilgerfahrt nach Mekka begeben. Am 11. Mai hätten sie zurück im heimatlichen Bradford in Großbritannien sein sollen. Doch am 9. Mai brach der Kontakt zu ihnen ab. Mitte Juni traten ihre Männer mit ihrem Appell vor die Kameras.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die drei Schwestern auf einem Zwischenstopp in der Türkei ihr Flugzeug verlassen, sich dann an die türkisch-syrische Grenze begeben und diese in Richtung des kriegsgeplagten Landes überquert. Dort, vermutet man, schlossen sie sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) an. Die drei Schwestern waren nicht allein. Bei sich hatten sie ihre insgesamt neun Kinder im Alter zwischen drei und fünfzehn Jahren. Die drei Frauen folgten offenbar der Einladung eines Bruders, der bereits in den Reihen des IS kämpft. Wo genau sie sich derzeit in Syrien aufhalten, ist unbekannt.

Akhtar Iqbal und Mohammad Shoaib appellieren an ihre Ehefrauen, 16.06.2015 (Foto: Reuters)
Akhtar Iqbal und Mohammad Shoaib appellieren an ihre EhefrauenBild: Reuters/A. Yates

Eine Fatwa gegen den IS

Die Schwestern Dawood sind kein Einzelfall. Über 700 britische Staatsbürger sind bislang nach Syrien aufgebrochen, um auf Seiten der Dschihadisten zu kämpfen. 350 von ihnen sind inzwischen nach Großbritannien zurückgekehrt. Ein britischer Staatsbürger mit dem Spitznamen "Dschihadi John", mutmaßlich 1988 in Kuwait geboren, hatte im vergangenen Sommer zwei Geiseln des IS vor laufender Kamera enthauptet.

Die britische Diskussion über die Radikalisierung ist der im übrigen Europa vergleichbar. Als wesentliche Ursachen gelten Diskriminierung und Perspektivlosigkeit junger Muslime. Auch eine als brüchig erfahrene Identität, das Leben in oder zwischen zwei Kulturen, wird als Grund für die Hinwendung zu einem fundamentalistischen oder gar dschihadistischen Islam genannt.

Selbstmordattentäter "für die Hölle bestimmt"

Immer stärker haben sich in den vergangenen Monaten und Wochen auch führende Imame in diese Diskussion eingeschaltet. Bereits im September 2014 hatten eine Reihe von ihnen eine Fatwa, ein Rechtsgutachten, gegen den IS erlassen. "Der IS ist eine häretische, extremistische Organisation, und es ist religiös verboten (haram), sie zu unterstützen oder sich ihr anzuschließen", heißt es dort. Für britische Muslime sei es eine Pflicht, sich dieser "giftigen Ideologie" aktiv entgegenzustellen.

An diesem Dienstag (23.06.2015) hat der pakistanische Islamgelehrte Muhammad Tahir ul-Qadri in London ein "Curriculum" vorgestellt, mit dem er dazu beitragen will, junge Muslime vor der Radikalisierung zu bewahren. Ul-Qadri ist Gründer und Vorsitzender der Organisation "Minhaj ul-Quran International". Diese hat sich dem Kampf gegen den islamistischen Extremismus verschrieben. Bereits im Jahr 2010 hatte er in einer Fatwa Selbstmordattentäter als Ungläubige und Feinde des Islams in scharfen Worten verurteilt. Selbstmordattentäter seien "für die Hölle bestimmt", heißt es in der Schrift.

Zeitung mit einer Titelstory über die Dawood-Schwestern, 16.06.2015 (Foto: Peter Byrne/PA Wire URN:23315883)
Der Fall der Dawood-Schwestern bewegt die ÖffentlichkeitBild: picture alliance/empics

Nun legt ul-Qadri nach. Drei Seiten seiner Schrift widmet er dem IS. Im islamischen Rechtssystem, erklärt er, gebe es für den IS und andere Terrorgruppen "absolut keine" Legitimation. Gruppen wie der IS stellten einen bewaffneten Aufstand gegen muslimische Staaten und die öffentliche Ordnung dar. "Der IS ist ein Feind der Menschheit."

De-Radikalisierung als Schulfach

Im Radioprogramm der BBC erläuterte ul-Qadri das Curriculum. Vertreter von "Minhaj-ul Quran" sollten an britischen Schulen und Universitäten für einen friedlichen Islam werben und Stellung gegen den Terrorismus beziehen. Zugleich sprach er sich dafür aus, Radikalisierung als Thema im Schulunterricht aufzugreifen. "Frieden und Friedensstudien sollten als Thema in den Unterricht kommen.

Auch De-Radikalisierung sollte ein Thema werden, ebenso auch der Kampf gegen den Terrorismus. Außerdem sprach ul-Qadri sich dafür aus, die Radikalisierung auf mehreren Ebenen zu diskutieren. "Das Problem ist, dass wir das Thema bislang nicht auf theologischer und ideologischer Ebene diskutiert haben. Bislang haben wir es nur als politisches, ökonomisches und soziales Thema aufgegriffen." Die Themen, schlug ul-Qadri vor, sollten für Muslime Pflichtfach werden. Nicht-Muslime könnten dem entsprechenden Unterricht freiwillig beiwohnen. Muslime hofft ul-Qadri mit theologischen Argmenten zu erreichen.

Straßenszene aus Bradford, der Heimatstadt der Dawood-Schwestern, 16.06.2015 (Foto: Getty Images)
Szene aus Bradford, der Heimatstadt der Dawood-SchwesternBild: Getty Images/N. Roddis

Selbstkritik britischer Muslime

Die Präsentation des Curriculums fällt in eine Zeit, in der islamische Gemeinden sich für die Radikalisierung junger Muslime zunehmend selbst verantwortlich machen. Die Muslime müssten aufhören, "mit dem Finger auf andere zu zeigen", wenn einer der Ihren sich radikalisiere, zitiert die Zeitung "Daily Telegraph" in ihrer Ausgabe vom 17. Juni dieses Jahres einen namentlichen nicht genannten Vorsteher einer muslimischen Gemeinde. Auch sollten sie nicht den britischen Behörden die Verantwortung zuschieben. Auch Manzoor Moghal, der Vorsitzende des "Muslim Forum" in Großbritannien, übte Kritik an seinen Glaubensbrüdern. Radikalisierung sei ein "muslimisches Problem", schrieb er in der Zeitung "Daily Mail". Natürlich sei es für muslimische Eltern schlimm, ein Kind an den IS zu verlieren. "Aber es bereitet mir Sorgen, dass wir von diesen Familien immer wieder die gleiche Geschichte hören: Dass diese Entwicklung immer der Fehler von anderen Leuten ist."