Muskelspiel im Südchinesischen Meer
10. Juni 2016Rückblick: 01. April 2001, 9:07 Uhr Ortszeit. Über dem Südchinesischen Meer, etwa 110 Kilometer südlich vor der Küste der Insel Hainan, begegnen zwei chinesische Kampfjets einem US-Spionageflugzeug. Die Flieger kommen sich so nah, dass ein chinesisches Jagdflugzeug vom Typ Finback (J-8) mit der US-Lockheed EP-3 in der Luft kollidiert. Dabei stürzt die J-8 ab. Der Pilot kommt ums Leben. Die beschädigte EP-3 muss um 9:33 auf einem Flughafen in Hainan notlanden. 24 US-Soldaten an Bord werden festgehalten.
Großes Misstrauen
Der Zwischenfall zeigt: das amerikanische Militär ist über dem Südchinesischen Meer seit Jahren aktiv. Im Einsatz sind neben Kampfflugzeugen auch Kriegsschiffe und U-Boote. Militärisch herrscht noch großes Misstrauen zwischen beiden Ländern. Es wird spekuliert, dass China in absehbarer Zeit auch eine Luftraumüberwachungszone über dem Südchinesischen Meer einrichten könnte. Jedes Flugzeug müsste sich dann vor dem Überflug identifizieren, sonst drohten unter Umständen militärische Gegenmaßnahmen.
Um die Militärpräsenz auszubauen, ließ China in den Gewässern künstliche Inseln und darauf Einrichtungen bauen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, wie Start- und Landebahnen, Häfen, Radarstationen. China streitet mit den Philippinen, Brunei, Malaysia, Vietnam und Taiwan um die fisch- und rohstoffreichen Gewässer der Paracel- und Spratly- Inselgruppe im Südchinesischen Meer.
Urteil vom UN-Gericht erwartet
Die Philippinen haben Klage gegen China beim Ständigen Schiedshof in Den Haag eingereicht. Das Gericht wurde unter anderem gebeten, die rechtliche Basis für die chinesischen Ansprüche in dem Seegebiet zu klären. Nach ersten Anhörungen 2015 erklärte der Schiedshof die Zuständigkeit, eröffnete das Verfahren und löste große Empörung in Peking aus. China ließ mitteilen, dass es das Verfahren nicht akzeptiert.
Der Schiedsspruch wird in den nächsten Wochen erwartet. Auch die Abschlusserklärung der G7 in Japan hatte Pekings Entscheidungsträger gereizt. Darin hieß es, alle Parteien sollten von "einseitigen Maßnahmen" absehen, die die Spannungen erhöhen, und "keine Gewalt oder Zwangsmaßnahmen ergreifen, um ihre Ansprüche durchzusetzen". Dabei wurde China nicht namentlich genannt.
Medienwirksame Diplomatie
Nun geht China in die Offensive. Am Rande des sicherheitspolitischen Shangri-La-Dialogs in Singapur am vergangenen Wochenende sprach Chinas Delegationsleiter, Admiral Sun Jianguo, mit hochrangigen Militärvertretern der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meer. "Wir machen keine Probleme, haben aber keine Angst vor Problemen", so Sun.
Zuvor hatte US-Verteidigungsminister Ash Carter gewarnt, dass die USA "Schritte unternehmen" würden, wenn China auf dem umstrittenen Scarborough-Riff, auf das auch die Philippinen Anspruch erheben, Anlagen bauen sollte. "Auch in den kommenden Jahrzehnten werden die USA der Garant der regionalen Sicherheit bleiben und maßgeblich zum regionalen Sicherheitsnetzwerk beitragen", so Carter weiter.
Ende Mai 2016 lud Peking Journalisten zum Hintergrundgespräch ins Außenministerium über Chinas Position ein. So etwas hatte es vorher nicht gegeben. Auch die Botschaften Chinas in den europäischen Ländern starteten eine Medienoffensive. So schrieb zum Beispiel Chinas Botschafter in Deutschland, Shi Mingde, in der Frankfurter Allgemeiner Zeitung Ende Mai: China vertrete "auf der Basis der völkerrechtlichen Berechtigung den Standpunkt der Nichtakzeptanz, Nichtanerkennung und Nichtbeteiligung" gegenüber dem laufenden Verfahren in Den Haag. Und "die wiederholte Endsendung von Kriegsschiffen zur Verletzung der Souveränität Chinas durch die USA stellt die wahre Ursache für die Verschärfung der Spannung in der Region und Militarisierung der Lage dar."
Anfang Juni folgte die Antwort der philippinischen Botschafterin, Melita S. Sta. Maria-Thomeczek, in derselben Rubrik der FAZ. Darin warf Maria-Thomeczek China "einseitig aggressive Aktionen im Streben nach praktisch dem gesamten Südchinesischen Meer" vor. "Der Streit ist ein multilaterales Anliegen und bedarf einer multilateralen Lösung."
Kampf um Einflussphäre
Weder die USA noch China wollen Krieg. Aber beide Großmächte kämpfen um Einfluss im Pazifik. Dabei rüstet insbesondere China massiv auf. Das erhöht das Risiko eines ernsthaften Zwischenfalls wie 2001. Damals wurden die 24 US-Soldaten für zwölf Tage in China gegen ihren Willen festgehalten. Washington musste sich offiziell entschuldigen, bevor die Soldaten freikamen. Die USA wollten das Flugzeug selber instand setzen. Peking lehnte ab. Das US-Spionageflugzeug wurde von China auseinandergebaut. Eine russische Firma übernahm den Transport nach Hawaii. Ob alle Teile ankamen, dazu wollte das US-Militär keine Angaben machen.