Musikunterricht in der Krise?
26. Februar 2014Voller Eifer blasen Mikka und Luisa in ihre Blockflöten. Zwar sitzt noch nicht jeder Ton perfekt, aber Lehrerin Barbara Latz ist zufrieden mit dem Fortschritt der beiden. An ihrer Grundschule gebe es nur einmal pro Woche eine Musikstunde, erzählen die Mädchen. Unterrichtet werden sie dann von der Klassenlehrerin."Aber da lernen wir keine Noten und auch kein Instrument." Stattdessen sollen die Kinder zum Beispiel Musik im Bild festhalten: "Wenn die Musik schön war, habe ich einen gelben Klecks gemacht, und wenn sie hart klang, alles schwarz gemalt", erklärt die 8-jährige Mikka.
Schulfach zweiter Klasse?
Es sei sehr bedauerlich, dass Musikunterricht in der Schule eher ein stiefmütterliches Dasein führe, klagt Dorothee Pflugfelder, Geschäftsführerin des #link:http://www.vds-musik.de:Verbands Deutscher Schulmusiker# angesichts solcher Zustände. 82 Prozent der Musikstunden fallen aus oder werden von fachfremden Lehrern gegeben. Manchmal müssen Mütter mit Gitarrenkenntnissen einspringen, damit die Kinder ein paar Lieder lernen.
An den Haupt- und Realschulen liegt die Ausfallquote bei 63 Prozent und an Gymnasien bei 36 Prozent, so die Zahlen der letzten Erhebung des Verbands. Sie stammen zwar aus dem Jahr 2006, doch die Situation habe sich eher verschlimmert als verbessert, meint Pflugfelder. Bei Stundenmangel werde das Fach häufig ganz gestrichen, außerdem würden Musik und Kunst oft im Wechsel unterrichtet. Viele Schüler wüssten gar nicht mehr, wie guter Musikunterricht aussehen könnte.
An Schulen, aber auch in der Gesellschaft, haben es die schönen, aber scheinbar nutzlosen Künste schwer, mit den Naturwissenschaften zu konkurrieren. Mit ein bisschen Musik komme keiner dem Abitur näher, so die gängige Meinung. Hinzu kommt gerade in diesem Fach ein akuter Lehrermangel. Wer seinem Kind eine gute musikalische Ausbildung zukommen lassen will, schickt es längst zum privaten Musikunterricht.
Blockflöte als Exot?
Hier dürfen auch Mikka und Luisa ein Instrument spielen - wenn auch eines, das zunehmend an Popularität verliert: Seit 1995 hat sich die Schar der unter 18-Jährigen Flötenschüler auf 52.000 halbiert, stellte der #link:http://www.musikschulen.de:Verband Deutscher Musikschulen# fest. Wird das Holzblasinstrument, das Generationen von Kindern den stolzen Verwandten unterm Weihnachtsbaum vorspielten, zum Exoten?
"Nicht ganz", lacht Barbara Latz, Leiterin des Bonner Musikateliers Sinn & Sein. Zwar erlebt auch sie bei den Anmeldungen für die Blockflötenkurse einen deutlichen Rückgang, aber Grund zur Sorge sieht sie nicht. "Die Flöte ist nach wie vor ein ideales Einstiegsinstrument", ist die Musiklehrerin überzeugt. Sie habe einfach ein biederes Image, das es zu entstauben gelte. "Wir geben in unserer Musikschule Konzerte, wo auch schon mal Schlagzeug mit Blockflöte kombiniert wird. Die Flöte wird über das Mikrofon verstärkt, dann klingt sie gleich ganz anders", erzählt Latz – und prompt würde auch wieder das Interesse an dem Instrument steigen. Ein bisschen sei das wie mit der Geige, die von David Garrett wieder salonfähig gemacht wurde. Der langmähnige Teufelsvirtuose entlockt seinem Instrument Klassik wie Rock und stellt alle Klischees auf den Kopf.
Mehr Auswahl als früher
Platz eins auf der Beliebtheitsskala der Instrumente belegt allerdings seit Jahren unangefochten das Klavier. Auf Platz 2 behauptet sich die Gitarre. Dabei haben die jungen Leute heutzutage beim Instrumentarium viel mehr Auswahl als früher. "Kindgerechte Schlagzeuge, E-Pianos oder Gitarren gab es früher nicht", sagt Barbara Latz. "Viele meiner Schüler probieren bei uns gleich mehrere Instrumente aus, bis sie ihren Favoriten finden."
Latzs Musikatelier läuft gut; deutschlandweit ist die Zahl der Musikschüler in den letzten zehn Jahren kontinuierlich von 802.000 auf 920.000 gestiegen. Für Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern ist Privatunterricht aber unerschwinglich. Die Schule bleibt so der einzige Zugang zur Musik. In der fünften Klasse, so erzählen Lehrer aus Haupt- und Sonderschulen, habe ein Großteil ihrer Schüler nie bewusst klassische Musik gehört, geschweige denn selbst musiziert.
Nur Appetithäppchen
Deswegen schreiben sich Prominente wie der verstorbene Dirigent Gerd Albrecht oder die Violinistin Sophie Mutter bewusst die Nachwuchsförderung auf die Fahnen und gründen gemeinnützige Stiftungen. Auch Opernhäuser starten immer wieder Aktionen, um Schülern die Klassik näherzubringen. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen unterstützt die Initiative #link:https://www.jedemkind.de/:"Jedem Kind ein Instrument"'# Grundschulkinder des Ruhrgebiets dabei, ein Musikinstrument zu erlernen. Ganz neu ein Projekt der ARD: #link:http://schulkonzert.ard.de:"Das Dvořák-Experiment - Ein ARD-Konzert macht Schule"# soll Schüler in ganz Deutschland für klassische Musik begeistern.
All diese Initiativen - von den Politikern mit viel Applaus bedacht - sind gut gemeint, aber eben oft nur Appetithäppchen, die das eigentliche Problem kaschieren. Die große Masse der Schüler geht leer aus. Luisa und Mikka können sich ein Leben ohne Musik gar nicht mehr vorstellen. Gut, dass ihre Eltern sich den privaten Unterricht leisten können.