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Musik-Festival: Was ist jüdische Musik?

Cristina Burack
8. August 2022

Klezmer, klar! Aber Tango? Das Festival "Shalom-Musik.Koeln" hält einige Überraschungen bereit und geht der Frage nach, was jüdische Musik ausmacht.

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Trompeter Avishai Cohen bläst in seine Trompete.
Der israelische Jazztrompeter Avishai Cohen, ein Headliner des Festivals, stellte sein neues Album "Naked Truth" vorBild: Ziv Ravitz

Zu einem pulsierenden Beat singt Ramona Kozma melancholisch von einem wertlosen Leben, dem durch ein dunkles Augenpaar ein Sinn verliehen wird. Zum Tango-Rhythmus mischt sich jiddischer Gesang.

Kozma spielt Akkordeon und singt beim Trio Picon, einem deutschen Ensemble, das jiddischen Tango spielt. Die Band ist eine von zahlreichen Gruppen, die bei der Eröffnung des Festivals Shalom-Musik.Koeln auftreten. Die einwöchige Veranstaltung, ein Ableger der Feierlichkeiten der Stadt zu 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland , ist der Präsentation jüdischer Musik gewidmet.

Der jiddische Tango war in den 1920er- und -30er-Jahren ein beliebtes Genre, in dem Dichter aus Lateinamerika, den Vereinigten Staaten und Osteuropa zur gefühlsbetonten argentinischen Musik Texte in der Sprache der aschkenasischen Juden schrieben. Dennoch ist es kein Musikstil, an den die meisten Menschen denken, wenn es um jüdische Musik geht.

Jüdische Klänge von Klezmer bis Klassik

"Ich habe festgestellt, dass es eine relativ große Wissenslücke gibt", sagt Kozma. "Zum Beispiel wird oft Balkanmusik oder rumänische Musik mit jüdischer Musik in Verbindung gebracht. Aber das ist einfach nicht richtig."

Der jiddische Tango ist eines von vielen Genres, die auf dem Festivalprogramm stehen. Die Palette reicht vom klassischen Kunstlied über zeitgenössischen Jazz und Clubmusik bis hin zu synagogalen Orgelwerken. Die musikalische Vielfalt spiegelt die Vielfalt der jüdischen Erfahrungen wider. Nur: Was ist denn nun "jüdische Musik"?

Keine übergreifende Klammer

Jean Goldenbaum, Professor am Europäischen Zentrum für Jüdische Musik in Hannover, ist mit dieser Frage sehr vertraut - sie ist meist die erste, die ihm gestellt wird. "Das erste, was ich erkläre, ist, dass es keine endgültige Antwort gibt. Und es gibt auch keine konkrete Antwort", sagt Goldenbaum.

Es gebe keine übergreifende Klammer, die die jüdische Musik eine, erklärt er. Vielmehr komme es darauf an, welche Parameter gesetzt würden und welche Elemente dann entsprechend vorhanden seien. "Bringt sie etwas mit, das uns im [jüdischen] kulturellen Universum verortet?"

Eine sehr restriktive Auslegung kann jüdische Musik als liturgische Musik auf Hebräisch definieren, die für die Synagoge bestimmt ist. Im Fall des jiddischen Tangos gehen die Elemente über die Sprache hinaus. "Der jiddische Tango ist definitiv in der 'typischen' Tonalität der Synagogenmusik geschrieben, die auch in der Klezmer-Musik zu finden ist", sagt Ramona Kozma.

Auch Kompositionen nicht-jüdischer Komponisten, die jüdische Elemente verwenden, können in die Kategorie der jüdischen Musik fallen. Am Eröffnungsabend des Shalom-Musikfestivals wurde ein bekanntes Beispiel aufgeführt: "Kol Nidrei" von Max Bruch. Der protestantische Komponist schrieb das Stück auf der Grundlage jüdischer Melodien in den frühen 1880er-Jahren für die jüdische Gemeinde in Liverpool. Der Titel verweist auf ein Gebet, das am Vorabend von Jom Kippur rezitiert wird.

Das Trio Picon spielt auf einer Bühne, die Akkordeon-Spielerin singt dabei im Sitzen.
"Ich habe festgestellt, dass es eine relativ große Wissenslücke gibt": Ramona Kozma spielt AkkordeonBild: C. Burack

Identitäten und Historie

Das umgekehrte Szenario - ein Werk eines Komponisten jüdischer Herkunft, das keine offensichtlichen Elemente der jüdischen Musiktradition enthält- ist vielleicht das umstrittenste, wenn es um die Definition von jüdischer Musik geht, erklärt Jean Goldenbaum: "Wenn das Stück keine jüdischen musikalischen Elemente und auch keine jüdischen Texte enthält, der Komponist aber Jude ist - wie gehen wir damit um?"

Meinungsverschiedenheiten sind vorprogrammiert, fügt er hinzu - und das sei gut so: "Denn es geht um Perspektiven und Konzepte. Wie wollen Sie Musik verstehen? Und es geht um Identität."

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die mit Fragen der Identität verbunden sind, ist die Musik des österreichischen Komponisten Gustav Mahler. Er wurde als Jude geboren, konvertierte für eine Anstellung am habsburgischen Hof aber zum Katholizismus. Seine Kompositionen greifen nicht offensichtlich auf jüdische Elemente zurück. Beim Eröffnungskonzert des Shalom-Musikfestivals erklangen klassische Lieder, in denen Mahler traditionelle deutsche Volksdichtung verwendete.

Zentralafrikanische Einflüsse

Der Künstlerische Co-Leiter des Festivals, Thomas Höft, unterstreicht, dass es mehr als einen Blickwinkel gibt, durch den Mahlers Musik betrachtet werden kann. "Dieses Repertoire hat viel mehr Charakteristika", sagt er. "Gibt es etwas spezifisch Jüdisches an Gustav Mahler? Wird das verleugnet? Hat er es selbst verdrängt?"

"Electric Counterpoint", ein Werk des zeitgenössischen US-amerikanischen Komponisten Steve Reich, ist ein weiteres Beispiel für eine mehrdeutige Komposition. Während andere Werke auf sein jüdisches Erbe verweisen, verwendet dieses Loop-Stück aus E-Gitarre und Samples zentralafrikanische Horn-Elemente.

Das Team des Festivals "Shalom-Musik.Koeln" hält Schilder hoch, auf denen ein Judenstern, ein Peace-Zeichen, ein Herz und eine Kerze abgebildet sind.
Das Team des Festivals "Shalom-Musik.Koeln"Bild: Shalom-Musik.Köln

Und dann ist da noch die selbst beschriebene "sexuell geladene Freakparty" der Band "The White Screen". Es gebe nichts besonders "Jüdisches" an der Musik des Duos, sagt Thomas Höft. Die Band verbindet Art-Rock, Gospel-Punk und Psychedelic-Pop, immer versehen mit der Perspektive des Außenseiters. "Ist das jüdische, israelische oder sogar total bunte Weltmusik? Ist das jetzt queere Musik aus einem Dancefloor-Kontext?"

Mit seinem breit gefächerten, inklusiven Ansatz hat das Shalom-Musikfestival ein Programm zusammengestellt, das vom Mittelalter bis in die Gegenwart reicht, unzählige Musikstile umfasst und das Publikum dazu anregt, über seine eigene Vorstellung von jüdischer Musik nachzudenken. 

Adaption aus dem Englischen: Torsten Landsberg