1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Künstlerisch wertvolle Aldi-Tüte verschwindet

2. September 2018

Das Logo des Discounters Aldi kennt jeder. Aber kaum jemand kennt den Künstler, der das blau-weiße Streifenmuster der Plastiktüte von Aldi Nord entworfen hat. Das kleine Kunstwerk wird bald endgültig Geschichte sein.

https://p.dw.com/p/340WK
Aldi wird 100 Jahre alt Aldi Tüte Designer Günter Fruhtrunk
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Man glaubt es kaum, zumindest nicht auf den ersten Blick: Die Aldi-Tüte ist ein echtes Kunstwerk. Und längst Kult. Genauer gesagt: die fast schon historische Plastiktüte des deutschen Discounters "ALDI-Nord".

Die beiden Unternehmen "ALDI-Süd" und ALDI Nord" sind getrennte Unternehmen, mit getrennten Konzernzentralen, jeweils verschiedenen Logos und Werbeträgern sowie unterschiedlicher Produktpalette.

Deutschland ist nämlich streng aufgeteilt: Mitten durch die BRD verläuft der sogenannte "Aldi-Äquator". Als einer der größten Handelskonzerne der Welt hat Aldi mittlerweile mehr als 8000 Filialen rund um den Globus - von Amerika, über die Schweiz und Ost-Europa, bis nach Australien. ALDI ist weltweit inzwischen als Billigmarke mit Qualität bekannt.

Behutsamer Kulturwandel 

Aldi Süd- Logo
Relaunch: Das neue Logo von Aldi SüdBild: Imago/Jan Huebner

In diesem Jahr gibt es bei Aldi allerdings einen Kulturwandel: Die klassische Tüte von Aldi-Nord mit dem blau-weißen Streifenmuster, die sogar von Malern und Grafikern als Symbol verarbeitet wurde, wird es bald nicht mehr geben. Der Konzern ersetzt sie derzeit durch umweltfreundliche Tragetaschen; im Herbst soll die Umstellung abgeschlossen sein. Und: Das klassische Logo von Aldi Süd hat einen grafischen Relaunch verpasst bekommen.

Geschaffen und entworfen hatte die markante Plastiktüte von Aldi-Nord der deutsche Künstler Günter Fruhtrunk. 1970 bekam er den Auftrag, ein unverwechselbares Logo für die Tüten des Discounters Aldi Nord zu entwerfen. Im Kunstbetrieb galten Werbung und PR-Aufträge damals als etwas anrüchig.

Aufstieg vom Krämerladen zum Weltkonzern

1962 hatten die beiden Brüder Theo und Karl Albrecht ihren ersten Aldi-Laden in Dortmund eröffnet. 1976 expandierten die Firmenchefs bereits in die USA. Logo und Werbemittel für den "ALDI Markt" wurden auch in ausländischen Discounter-Läden verwendet. Das Wort "Markt" wird bis heute in die jeweilige Landessprache übersetzt. In Frankreich heißen die Filialen "ALDI Marché".

Bildergalerie Aldi Aldi in Frankreich
Das Logo von Aldi Nord ist international, nur das Wort "Markt" wird übersetztBild: picture-alliance/dpa

Die billige Plastiktüte im blau-weißen Streifenlook und dem einprägsamen Schriftzug machten den Aldi-Konzern weltweit bekannt. Wiedererkennbarkeit, Orientierung und Disziplin gehören zu den Grundprinzipien des Konzerns. Der Wechsel des Logos kommt deshalb einer kleinen Kulturrevolution gleich.

Zunächst wurde das neue Firmenlogo von "ALDI Süd" 2017 in China ausprobiert - ergänzt durch chinesische Schriftzeichen für das Wort "Markt". Dort kennt man den alten Schriftzug aus den 1970er Jahren nicht. Die Buchstaben des Schriftzugs haben außerdem lautmalerisch positive Bedeutungen, was der neuen Markenstrategie des Konzerns sehr entgegenkommt.

Schlichte Gebrauchskunst

Fruhtrunk, der in den 1960er Jahren auch als Professor an der Münchner Kunstakademie arbeitete, soll sich damals bei seinen Studenten für seinen Ausflug in die profane Welt der Werbekunst entschuldigt haben, erzählte Christine Vogt, Kuratorin der Ausstellung "Let's buy it" (2017) in der Ludwigsgalerie Oberhausen, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Kunst als Massenware war verpönt in Künstlerkreisen, obwohl bereits im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Maler und Schriftsteller ihre Kreativität zu Werbezwecken vermarkten ließen. Selbst berühmte Dichter und Bühnenautoren wie Bertolt Brecht und Frank Wedekind verdienten sich mit Werbetexten etwas dazu.

"Alles Wohl beruht auf Paarung. Wie dem Leben Poesie/Fehle Maggi's Suppen-Nahrung/Maggi's Speise-Würze nie." (Frank Wedekind)

Flash-Galerie 125 Jahre Auto Jeff Koons
Künstler verdienen mit Werbung viel Geld: hier das BMW Art Car von Jeff Koons (2010)Bild: BMW Group

Von ihrer oft brotlosen Kunst konnten die Wenigsten leben. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert: Nur drei Prozent der Künstler in Deutschland können von ihrer Kunst leben.

Kunst für die Kantine

In der Werbung wurde einfach mehr Geld verdient, da auch die Lizenzen unter Umständen ein regelmäßiges Einkommen sichern konnten. Künstler wie Andy Warhol oder Damien Hirst, die ihre Kunst als Werbemittel extrem lukrativ und erfolgreich vermarkteten, kamen erst später.

Eines der berühmtesten Beispiele ist der in Ungarn geborene Op-Art-Künstler Victor Vasarely (1906-1997), ein Star unter den europäischen Künstlern seiner Zeit. Er entwarf unter anderem das Logo für den französischen Automobil-Konzern Renault - eine schlichte Raute, passend zum kantigen Image der Fahrzeuge.

Vasarely arbeitete in seiner Anfangszeit in Paris als Werbegrafiker und wurde später zum international bekannten Pionier der Op-Art, geprägt von konstruktivistischen Künstlern wie Oskar Schlemmer, Piet Mondrian und vom Bauhaus-Gedanken.

Er entwarf auch andere Gebrauchskunst, beispielsweise 1972 das komplette Interieur des Speisesaals der Deutschen Bundesbank in Frankfurt, der zu repräsentativen Zwecken genutzt wurde. Inzwischen ist die in Op-Art-Manier gestaltete Innenarchitektur als kunsthistorisch wertvolle "Rauminstallation" ins Museum umgezogen.

Imageschaden für die Künstler

Manchmal kann das Image eines Künstlers nach seinen Ausflügen in die Werbewelt auch Schaden nehmen. Victor Vasarely, der kunstvoll und futuristisch Behörden, öffentliche Räume, Universitäten in Bonn, Basel, Paris und Caracas ausstattete und in Hunderttausender-Auflage als Grafik gedruckt wurde, bekam keinen Zugang zu den großen Museen, die sich weigerten seine Arbeiten auszustellen. So eröffnete er 1976 mit Hilfe der "Vasarely-Stiftung" sein eigenes Museum im südfranzösischen Aix-en-Provence.

Die streng geometrischen Arbeiten von Günter Fruhtrunk, der als Maler abstrakter Kunst bekannt und anerkannt war, wurden nach dem Aldi-Werbeauftrag etwas despektierlich als "Aldi-Kunst" bezeichnet. Dabei war Fruhtrunk 1968 sogar auf der documenta in Kassel und vertrat die Bundesrepublik Deutschland auf der Kunstbiennale in Venedig.

Alditüte als Armuts-Symbol

Der Klassiker unter den markanten Plastiktüten wird im Herbst 2018 "abgewickelt". Dann wird die Alditüte endgültig aus den Filialen verschwinden. Schon jetzt sieht man sie nur noch vereinzelt in der Öffentlichkeit.

Als wegweisendes Design ist sie aber längst in die Kunstgeschichte eingegangen: Die Abbildung findet sich in Nachschlagewerken zu Grafik und Design des 20. Jahrhunderts.

"HJM, Fruhtrunk Redelivered" Malerei von Hans-Jörg Mayer (Galerie Nagel, Berlin/Simon Vogel)
Gemälde von Hans-Jörg Mayer: "Fruhtrunk Redelivered" (2013)Bild: Galerie Nagel Draxler, Berlin/Simon Vogel

Der Berliner Maler Hans-Jörg Mayer hat seiner gemalten Reihe der blau-weißen Alditüte den beziehungsreichen Titel "Fruhtrunk Hartz IV" gegeben. Ein gutes Bild für die Geschichtsbücher als Symbol für die "Aldisierung" - 2005 das Wort des Jahres - der deutschen Gesellschaft. Heute gehen längst Kunden aller Einkommensklassen dort einkaufen.