Mubi: Boko Haram ist weg, das Trauma bleibt
28. Oktober 2015Je näher man der Stadt Mubi kommt, desto mehr schiebt sich einem der Terror ins Bewusstsein: Rechts und links von der Hauptstraße zeugen zahlreiche ausgebrannte Ruinen von den massiven Zerstörungen, die die Terroristen hier angerichtet haben. Ende des vergangenen Jahres kämpfte die nigerianische Armee und Boko Haram tagelang um die Vorherrschaft in diesem Gebiet. Die Fernstraße ist nur noch eine Abfolge von Schlaglöchern.
Mubi ist das wirtschaftliche Zentrum der Region im Norden des nigerianischen Bundesstaats Adamawa. Dichter Verkehr und eine rege Geschäftigkeit - auf den ersten Blick überrascht das Stadtbild. Doch an der Hauptstraße fallen dann mehrere große, schwer zerstörte Gebäude in den Blick: Banken. Die Terroristen haben sie nicht nur geplündert, sondern auch gesprengt.
Flucht in letzter Minute
Ein paar Meter weiter befindet sich eine der zahlreichen Kirchen der Stadt. Pfarrer Shawulu Auta Ndahi bereitet gerade einen Gottesdienst vor. Rund 50 Frauen in bunten Gewändern haben sich auf weißen Plastikstühlen niedergelassen. Die Wände rußgeschwärzt, das Dach wurde erneuert.
Der Pastor erinnert sich noch gut an jenen 29. Oktober vor einem Jahr, als plötzlich die Nachricht die Runde machte, Boko Haram sei in Mubi einmarschiert. Er holte noch seine Kinder aus der Schule und versuchte, die Stadt mit dem Auto zu verlassen. Überall waren Schüsse und Explosionen zu hören, erzählt Ndahi. Auf dem Rücksitz schrien die Kinder vor Angst. Mit Vollgas suchte er einen Weg aus der Stadt, bis er plötzlich eine Gruppe Kämpfer vor sich sah. "Ich habe zu mir selbst gesagt, dass wohl ein Engel mein Steuer übernommen habe", erzählt er. "Ich habe sie gesehen, ich gab Gas und sie machten den Weg frei. Als ich vorbei gefahren war, fingen sie an zu schießen. Ich fürchtete, dass sie mir die Reifen zerschossen hatten. Aber Gott hat uns beschützt."
Pfarrer Ndahi floh über Kamerun nach Yola, die Hauptstadt von Adamawa. Nur zwei Wochen später brachte die Armee Mubi wieder unter ihre Kontrolle. Ndahi traute sich aber erst drei Monate später wieder in seine Heimat zurück. Seine Kirche war ausgebrannt, sein Wohnhaus direkt daneben liegt noch heute in Trümmern, sein ganzer Besitz war vernichtet. "Ich war sehr wütend, denn alles, wofür ich viele Jahre lang gearbeitet hatte, war in wenigen Momenten verloren gegangen", berichtet er.
Der Terror spaltet die Religionen
So wie Pfarrer Ndahi erging es vielen Menschen in Mubi. Während die Fanatiker von Boko Haram nur wenige Moscheen zerstörten, überstand fast keine Kirche den Ansturm. Der örtliche Vorsitzende des christlichen Dachverbandes CAN, Anointing Bitrus, berichtet, dass von den knapp 150 Kirchen in seinem Bezirk nur zehn nicht angezündet worden seien. "Wir sehen es so: Wer hat das gemacht? Wessen Kinder waren das?", fragt er. "Man macht sich da so seine Gedanken. Auf jeden Fall waren es keine Christen. Deshalb sind wir skeptisch, was die Religion der Täter angeht."
Inzwischen würden sich die Christen in der Stadt Mubi zwar wieder sicher fühlen, sagt Bitrus. Doch weiter nördlich gebe es immer noch Überfälle auf Dörfer. Neben Sicherheit wünscht er sich vor allem Anerkennung für die Schäden, die die Christen erlitten haben: Nicht nur materiell, auch psychisch habe der Einmarsch von Boko Haram Spuren hinterlassen. Doch die Landesregierung in Yola zeige ihnen die kalte Schulter, klagt Pastor Bitrus. "Wir haben hier noch keinen Vertreter der Landesregierung gesehen. Keiner ist nach Mubi gekommen, um sich mit uns zu treffen, um sein Mitleid zum Ausdruck zu bringen. Kein einziger."
Begrenzte Ressourcen
Ein paar Straßenzüge weiter empfängt Emir Abubakar Ahmadu an diesem Freitag die Würdenträger seines Herrschaftsgebietes zur wöchentlichen Audienz in seinem Palast, einem weißgetünchten, modernen Betonbau. Er findet, dass sich das Leben in Mubi längst normalisiert habe. Nur die geschlossenen Banken würden noch stören, denn für jede Finanztransaktion müsse man in das vier Autostunden entfernte Yola reisen. Aber zwischen Muslimen und Christen gebe es aus seiner Sicht keine Probleme. "Hier in Mubi kann man nicht erkennen, wer Christ und wer Muslim ist, denn wir sind hier eine intakte Gemeinschaft", sagt er. "In einer Familie kann der jüngere Bruder ein Muslim sein und der ältere ein Christ. Würden die sich bekämpfen? Mubi ist einzigartig."
In der Landeshauptstadt Yola sieht Informationsminister Ahmad Sajoh die Lage in Mubi nicht ganz so gelassen. Sajoh stammt selbst von dort und weiß, dass es seit den Verwüstungen durch Boko Haram verschärftes Misstrauen zwischen den Religionsgemeinschaften gibt. Dieses Misstrauen abzubauen sei das Ziel der Landesregierung, so Sajoh. Dafür arbeitete man eng mit den Dachverbänden von Christen und Muslimen auf Landesebene zusammen. Für die Klagen der Christen in Mubi hat er deshalb kein Verständnis. "Wahrscheinlich erwarten sie, dass wir Geld für den Wiederaufbau von Kirchen geben. Das wollen wir auch tun. Aber wir haben begrenzte Ressourcen." Daher habe der Wiederaufbau von Schulen und anderer staatlicher Gebäude höhere Priorität.
"Rache ist die Sache Gottes"
Die Christen und Muslime in und um Mubi müssen also wohl erst einmal weiter alleine versuchen, ihr Misstrauen gegeneinander zu überwinden. Pfarrer Ndahi hat sein eigenes, christliches Rezept dafür, um seine muslimischen Nachbarn davon zu überzeugen, dass sie von den zurückgekehrten Christen nichts zu befürchten hätten: "Sie dachten, wir würden uns rächen. Aber die Botschaft, die wir predigen, lautet: Rache ist die Sache Gottes. Niemand soll das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Die Menschen sollen Geduld haben und auf den Herren vertrauen."
Mitarbeit: Adrian Kriesch und Muntaqa Ahiwa