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Arktisexpedition MOSAiC startet

Liyang Zhao
19. September 2019

Ein Jahr lang wird das Forschungsschiff Polarstern eingefroren durch das Nordpolarmeer driften. Forscher wollen den Einfluss der Arktis auf das Klima besser verstehen, sagt Fahrtleiter Christian Haas im DW-Interview.

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Polarstern-Winterexperiment
Die Polarstern beginnt ihre Reise am 20. SeptemberBild: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann

Deutsche Welle: Am 20. September startet eine großangelegte Expedition des Alfred-Wegener-Instituts mit dem Forschungsschiff Polarstern zur Arktis. Worum wird es da gehen? 

Christian Haas: Auf der Expedition wollen wir die Prozesse und Energieflüsse zwischen der Luft, dem Ozean und dem Eis besser verstehen. Dafür werden wir uns mit unserem Forschungseisbrecher Polarstern ein ganzes Jahr in der Arktis einfrieren lassen.

Die Prozesse und Verhältnisse dort verändern sich stark im Verlauf der Jahreszeiten. Im Winter untersuchen wir die Faktoren, die sich auf das Gefrieren und Wachsen des Eises einwirken. Im Sommer kehren sich die Verhältnisse um. Dann schmilzt das Eis und die Eisdecke bricht auf, um Eisschollen zu formen.

Da das Eis mehrere Jahre alt wird, muss man das Wechselspiel zwischen winterlichem Gefrieren und sommerlichem Schmelzen kennen, um beurteilen zu können, ob das Eis dicker oder dünner wird. 

Mehr dazu: Klimaforschung auf dem Ozean: Wildes Meer und warmes Wasser

Christian Haas Alfred-Wegener-Institut
Der Geophysiker Christian Haas möchte herausfinden, wie sich das Meereis im Laufe des Jahres verändert. Bild: mosaic-expedition.org

Die Polarstern wird mit dem Eis durch das Nordpolarmeer driften. Wie genau funktioniert das? 

Das Meereis der Arktis wird nur wenige Meter dick. Weil es so dünn ist, kann es leicht brechen und von Winden und Strömungen vertrieben werden, sodass es ständig in Bewegung ist. Wir nutzen diese Bewegung, die sogenannte Eisdrift, um von Sibirien über den Nordpol bis nach Grönland zu treiben.

Es hat auch einen entscheidenden Vorteil mit dem selben Eis mitzutreiben, weil wir nur so beurteilen können, wie das Eis den ganzen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist und sich verändert.

Es gab ja schon einige Expeditionen in die Arktis. Was macht MOSAiC so besonders?

Das Besondere an MOSAiC ist, dass wir wirklich im Verlauf eines Jahres, also über die gesamte Gefrier- und Schmelzsaison da sind und die Prozesse in ihrer ganzen Vielfalt beobachten können. Wir sind zudem ein riesiges Team mit Forschern aus 19 Nationen. Es sind insgesamt 300 Wissenschaftler involviert.

Jeder wird aber nur zwei Monate an Bord sein. Wir wechseln uns ab und reisen mit russischen Eisbrechern zur Polarstern und wieder weg. Es gibt insgesamt sechs Fahrtabschnitte, bei denen immer jeweils 50 Wissenschaftler an Bord sind. Ich selbst werde von Dezember bis Februar dabei sein. 

Arktis-Eis untersucht vom Alfred Wegener Institut
Meereis ist nur wenige Meter dick. MOSAiC ist die erste echte Langezeit-Forschungsreise in die Arktis.Bild: AWI/Stefan Hendricks

Und was wird Ihre Aufgabe vor Ort sein?

Ich bin der Fahrtleiter der Expedition für meinen Fahrtabschnitt. Das heißt ich übernehme die Gesamtverantwortung für das ganze Unternehmen während der zwei Monate. Unsere Gruppe beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Eises, mit einem Fokus auf Eisdeckenmessung.

Um die Dicke des Eises zu messen musste man früher Löcher bohren, was sehr aufwändig ist. Wir haben dazu ein neues Verfahren am AWI entwickelt. Mithilfe von elektromagnetischen Sonden können wir die Leitfähigkeit des Untergrunds messen.

Das Eis ist ja fest und deshalb ein schlechter elektrischer Leiter während das Salzwasser darunter sehr gut leitet. So können wir den Abstand zur Grenze zwischen Eis und Wasser, also die Dicke des Eises, sehr genau bestimmen.

Die Daten werden wir dann mit Satelliten vergleichen, insbesondere mit dem europäischen CryoSat, der extra für die Eisdeckenmessung gestartet worden ist. So können wir dann beobachten, wie das Eis wächst und dünner wird.

Polarstern-Winterexperiment
Eine Vielzahl von Forschungsteams führen ganz unterschiedliche Experimente durchBild: Alfred-Wegener-Institut/Stephan Schön

Sie sprachen von einer Vielzahl an Prozessen, die untersucht werden. Was erforschen die anderen Gruppen?

Hauptsächlich geht es darum zu untersuchen, warum sich die Dicke des Eises ändert. Das hängt von einer riesigen Anzahl an Einflüssen ab, beispielsweise der Lufttemperatur und -feuchtigkeit der Winde, Sonnenstrahlung und auch davon, wie viel Wärme aus dem Wasser an das Eis gelangt.

All diese Faktoren werden gleichzeitig in hoher zeitlicher Auflösung gemessen – alles mit der Frage "Wie wirkt sich das auf die Dicke des Eises aus?". 

Mehr zur Polarforschung: Zehn Jahre Neumayer III: Forschung und Alltag in der Eiswüste

Polarstern-Winterexperiment
Neugierige besucher am Forschungseisbrecher. Wissenschaftlern könnten die Raubtiere gefährlich werden. Bild: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann

Arbeiten zuhause und in der Arktis ist sicherlich anders. Sie waren schon oft dort. Welche Arbeitsbedingungen herrschen dort?

Natürlich gibt es Risiken, die es bei uns nicht gibt. Man kann sich Erfrierungen zuziehen, ins Wasser einbrechen oder auf Eisbären treffen. Ich bin schon vielen Eisbären begegnet. Jeder, der sich in der Arktis bewegt, trägt eine Waffe mit sich.

Von der Polarstern wurde aber noch nie ein Schuss auf einen Eisbären abgegeben. Denn sie sind in erster Linie neugierig und kommen deswegen. Da sie auch sehr ängstlich sind, kann man sie mit Lärm leicht vertreiben. Das sind also keine Risiken, die große Gefahren mit sich bringen, wenn man sich richtig verhält.

Die weit größeren Herausforderungen liegen eher in der Extremsituation, so weit weg von Zuhause zu sein, für so lange Zeit. Vor allem im Winter arbeiten wir bei kompletter Dunkelheit. Darüber hinaus sind wir dort ständig mit vielen anderen Personen zusammen, da gibt es keine Privatsphäre mehr.

Außerdem sind alle Kommunikationsmittel, die wir hier gewohnt sind, also Internet, Satellitenkommunikation, Telefon nur sehr eingeschränkt möglich. Denn es gibt nur ein einziges Satelliten-Kommunikationssystem, das nördlich von 75 Grad Nord noch funktioniert. 

Mehr dazu: Immer mehr Plastikmüll in der Arktis

Polarforschung - 30 Jahre Forschungsschiff Polarstern

Trotzdem ist diese Expedition sehr wichtig – Stichwort: Klimawandel?

Die ganze Welt macht sich Sorgen über die Klimaveränderungen. Die Arktis ist der Hotspot, oder auch das Epizentrum des globalen Klimawandels. Denn in der Arktis beobachten wir die stärksten Klimaveränderungen.

Diese sind durch den Rückzug des Eises außerdem besonders gut zu beobachten. Die Arktis erwärmt sich schneller als der Rest der Welt. Deshalb muss man in die Arktis gehen, um zu verstehen was dort passiert und um Vorhersagen für die Welt machen zu können.

Und wie geht es dem Meereis momentan?

Die Fläche des arktischen Eises im Sommer hat sich in den letzten 40 Jahren um mehr als 50 Prozent verringert. Jetzt gerade, also im September, zieht sich das Eis jährlich am stärksten zurück bevor es sich dann im Herbst und Winter wieder ausdehnt.

Dieses Jahr beobachten wir die zweitkleinste Meereisausdehnung in der Arktis, die je beobachtet worden ist. So gesehen ist es günstig, dass MOSAiC dieses Jahr startet. Damit sind die Anfangsbedingungen mit am extremsten und wir wollen ja gerade untersuchen, wie sich die Arktis in den letzten Jahren verändert hat und was der Zustand der 'neuen Arktis' ist. 

Prof. Dr. Christian Haas, ist Geophysiker und Leiter der Meereissektion am Alfred-Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Im Rahmen der MOSAiC-Forschungsfahrt des Forschungsschiffes Polarstern übernimmt er für die Monate Dezember bis Februar die Fahrtleitung und führt auch selbst Experimente durch.