Morde im Namen der Ehre
25. Februar 2005Wäre die junge Deutsch-Türkin Hatin Sürücu in Berlin von Rechtsextremen erschossen worden, hätte es in der deutschen Öffentlichkeit einen Aufschrei der Empörung gegeben. Der blieb aber aus. Denn Hatin Sürücu ist von ihren drei Brüdern ermordert worden, weil sie sich von ihrer Familie gelöst hatte. Weil sie, die mit 16 Jahren zwangsverheiratet worden war, inzwischen ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führte. Deswegen starb Hatin Sürücin im Namen der Ehre. Ebenso wie fünf weitere junge Frauen in Berlin innerhalb weniger Monate.
Erst jetzt, nachdem sechs Frauen innerhalb kurzer Zeit Opfer sogenannter Ehrenmorde geworden sind, wacht die deutsche Öffentlichkeit auf. Angefacht wurde die Diskussion vor allem durch den offenen Brief des Direktors einer benachbarten Berliner Schule, der entsetzt schilderte, dass zahlreiche türkisch-stämmige Jungen an seiner Schule den Mord mit dem Hinweis gebilligt hätten: "Sie hat sich ja auch benommen wie eine Deutsche!" Nach dem Motto: selbst schuld! Aber zu leben wie eine Deutsche, emanzipiert und frei, darauf steht in Deutschland bekanntlich nicht die Todesstrafe.
Nach Schätzungen der UNO werden jedes Jahr weltweit 5.000 Frauen ermordet, weil sie angeblich die Ehre der Familie "beschmutzt" haben. Unter ihnen auch Frauen in Deutschland - wie viele es sind, darüber gibt es keine offizielle Statistik. Aber die jüngsten Fälle lassen deutsche Soziologen und engagierte junge Türkinnen und Türken Alarm schlagen. Sie äußern - völlig zu recht - massive Kritik an falsch verstandener Rücksichtnahme auf sogenannte "kulturelle Unterschiede". Warum nimmt es der Staat hin, dass türkische Mädchen unter Hinweis auf islamische Moralvorschriften nicht am Biologie- und Schwimmunterricht oder Klassenfahrten teilnehmen dürfen? Warum besteht der Staat nicht darauf, dass unsere Grundwerte - wie die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau - auch von der jungen Migrantengeneration akzeptiert wird?
Die steigende Akzeptanz der Bluttaten bei der jungen Migrantengeneration wirft ein Licht auf eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung. Das breite Verständnis unter den jungen Migranten läßt wenig Zweifel daran, dass die Integration alles andere als reibungslos verläuft. Soziologen sprechen sogar von einer gefährlichen Re-Islamisierung, die nur deshalb kaum thematisiert wird, um der Ausländerfeindlichkeit nicht Vorschub zu leisten.
Es hilft aber nicht, die Augen davor zu verschließen, dass sich ein großer Teil der türkisch-stämmigen Migranten eine Parallelwelt aufgebaut hat, in der eine schleichende religiöse und kulturelle Regression um sich greift. Innerhalb der vergangenen drei Jahre ist die Anzahl der türkischen Schülerinnen in Berlin, die Kopftuch tragen, sprunghaft angestiegen. Wohl auch, weil viele von ihren türkischen Mitschülern gemobbt werden, wenn sie keines tragen.
Während die ersten beiden Migrantengenerationen ihr Fremdsein in Deutschland zumeist als Ausgrenzung empfanden, hat die dritte Ausländergeneration zu einem neuen Selbstbewußtsein gefunden. Unter vielen jungen Deutsch-Türken gilt es als "cool" Ausländer zu sein, und sie unterstreichen dies - mit Hinweis auf den Islam - mit kulturellen Versatzstücken wie dem Kopftuch oder dem Ehrenmord. Mit dem Islam, der Zwang ablehnt, hat das herzlich wenig zu tun.
Hatin Sürünci ist brutal ermordet worden. Diese Tatsache darf nicht durch sensible Erläuterungen kultureller Unterschiede relativiert werden. Spätestens jetzt sind die türkischen Meinungsführer in Deutschland, die Prediger in den Moscheen und die Journalisten verpflichtet, diesen Auswüchsen entgegenzutreten. Und so schnell wie möglich muss in Deutschland ein Gesetz her, das Zwangsheirat unter Strafe stellt. Der Anlass für die öffentliche Debatte ist erschütternd, aber der Tod von Hatin Sürünci hat zumindest bewirkt, dass Ehrenmord endlich zum Politikum wird.