Ein Urteil, das die Menschen bewegt
21. April 2021Zahlreiche Menschen warten am Dienstag vor dem Gericht in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, bangen über Stunden, beten, schweigen - oder spekulieren über den Ausgang des Prozesses im Inneren des Gebäudes.
Dort wird über den ehemaligen Polizisten Derek Chauvin entschieden. Es geht um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd, der vor einem knappen Jahr bei einem Polizeieinsatz qualvoll erstickte. Chauvin hatte, obwohl Floyd um Luft rang, nicht von ihm abgelassen, sondern ihm - halb auf ihm sitzend - sein Knie weiter in den Nacken gedrückt. Die Tat wurde auf Videos dokumentiert.
Der gewaltsame Tod hatte nicht nur die gesellschaftliche Debatte um Polizeigewalt und Rassismus in den Vereinigten Staaten angeheizt, sondern war auch Katalysator der "Black Lives Matter"- Bewegung. Überall auf der Welt gingen Menschen auf die Straße.
Auch der Tag des Urteils ist für viele US-Amerikaner ein wichtiges Datum, um in Minneapolis und vielen weiteren US-Städten gegen Rassismus zu demonstrieren.
Schließlich die erlösende Botschaft: Schuldspruch für Chauvin - und Jubel und Tränen bei den Demonstranten. Viele liegen sich weinend in den Armen, andere skandieren "schuldig, schuldig, schuldig". "Es ist ein kleiner Sieg, aber ich fühle so viel Stolz und Freude über diesen Sieg", sagt eine Demonstrantin in einem Fernsehinterview. Eine andere Frau erklärt, sie hoffe, es werde nie "wieder einen Fall George Floyd" geben.
Den ganzen Tag hatten die zwölf Geschworenen beraten. Nach weniger als elf Stunden kamen sie zum Urteil und befanden Chauvin in allen drei Anklagepunkten für schuldig - einstimmig.
Der schwerwiegendste davon lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Das genaue Strafmaß steht jedoch noch nicht fest, in jedem Fall droht eine lange Gefängnisstrafe. Der 45-Jährige nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis. Direkt nach der Urteilsverkündung wurde er in Handschellen abgeführt.
"Der Familie von George Floyd ist endlich schmerzhaft verdiente Gerechtigkeit widerfahren" erklärt der Anwalt der Familie, Ben Crump im Anschluss. Das Urteil sei ein "Wendepunkt" in der Geschichte. Es sende die "klare Botschaft", dass Polizisten für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden müssten.
Floyds Bruder Rodney sagt der Nachrichtenagentur AFP, das Urteil sei für alle Schwarzen in den USA "sehr wichtig". "Wir brauchten einen Sieg in diesem Fall und wir haben ihn bekommen - und, hey, vielleicht können wir jetzt ein kleines bisschen besser atmen", fügt er hinzu.
US-Präsident Joe Biden begrüßte den Schuldspruch, rief aber zugleich zu weiterem Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt auf. Struktureller Rassismus sei "ein Schandfleck auf der Seele unserer Nation" Mit Blick auf Floyds Familie betonte er: "Nichts kann jemals ihren Bruder, ihren Vater zurückbringen. Aber dies kann ein riesiger Schritt vorwärts auf dem Marsch zur Gerechtigkeit in Amerika sein." Nötig dafür seien allerdings echter Wandel und echte Reformen.
Noch am Tag der Urteilsverkündung erschüttert ein möglicher neuer Fall "George Floyd" die USA. Wie die Polizei in der Stadt Columbus im US-Bundesstaat Ohio mitteilte, erschoss ein Polizist die 16-jährige Ma'Khia Bryant, die anscheinend eine andere Jugendliche mit einem Messer bedroht hatte. Die Behörden wollten "transparent mit dem Vorfall" umgehen, sagte Columbus' Polizeichef Michael Woods dazu. In der Stadt kam es nach dem Tod der Jugendlichen zu Demonstrationen.