1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das neue Tunesien bauen

Sarah Mersch30. September 2013

23 Jahre Diktatur haben Spuren in Tunesien hinterlassen. Vielen jungen Menschen wurde damals eingeimpft, im System zu funktionieren. Heute fehlt daher vielen der Unternehmergeist. Eine Konferenz soll diesen wecken.

https://p.dw.com/p/19nwj
Der Austragungsort der TEDx-Konferenz 2013 in Tunis (Foto: Mourad Ben Cheikh)
Bild: Mourad Ben Cheikh Ahmed

Sonntagmorgen 8.30 Uhr: vor dem Kongresspalast von Tunis windet sich eine lange Schlange bis fast auf die Straße. Zwei Kleinwagen der Polizei sind angerückt, um für Ordnung zu sorgen und aufzupassen, dass der Verkehr nicht behindert wird. Doch die Polizisten haben heute nicht viel zu tun. 1500 vor allem junge Leute warten geduldig auf den Einlass zu TedX Carthage. Das Thema dieser Großkonferenz lautet "Vertrauen als neue Währung?".

Seif hat sich an diesem Wochenende früh aus dem Bett gequält und steht jetzt mit Zigarette und Kaffeebecher in der einen, Smartphone in der anderen Hand vor dem Kongressgebäude. Der Informatiker will vor allem "Freunde aus dem Netz treffen, interessante Reden hören, networken."

Ideen austauschen, Vertrauen fördern

Durch den Saal, wo normalerweise die großen tunesischen Parteien ihre Parteitage abhalten, wabert elektronische Musik, auf einer großen Leinwand läuft der Konferenz-Trailer. Moderator Haythem El Mekki jongliert zwischen Arabisch, Französisch und Englisch, stellt die Redner vor, die nicht nur aus Tunesien kommen, sondern auch aus Kanada, Brasilien, Spanien und Belgien eingeflogen sind.

Auf der Bühne stehen heute Künstler, Juristen, Gründer und Wirtschaftswissenschaftler. Was sie gemeinsam haben: Sie sprechen über das Thema Vertrauen. Denn das fehlt in Tunesien gerade auf allen Ebenen, zwischen politischen Akteuren ebenso wie in der Gesellschaft - und vor allem fehlt das Vertrauen der Menschen in sich selbst.

Moderator Haythem El Mekki bei der TEDx-Konferenz 2013 in Tunis (Foto: Mourad Ben Cheikh Ahmed)
Der Blogger Haythem El Mekki moderierteBild: Mourad Ben Cheikh Ahmed

Den Austausch zwischen den Teilnehmern voranbringen, neue Ideen vorstellen, aber auch die vor allem jungen Zuhörer ermutigen, mehr Vertrauen in sich und ihre großen und kleinen Projekte zu haben, das ist die Idee von TedX Carthage. Die Konferenz ist ein unabhängiger tunesischer Ableger der amerikanischen Ted-Konferenz. Unter dem Motto "Ideas worth spreading" (Ideen, die es wert sind, geteilt zu werden) halten dort Redner einen Tag lang im 15-Minuten-Rhythmus kurze Vorträge zu einem Überthema.

Selbstvertrauen und Vertrauen in Tunesien

In den USA existieren diese Konferenzen seit den 80er Jahren, in Tunesien fand die erste im September 2010 statt, nur drei Monate vor dem Beginn der Aufstände, die zum Sturz der Regierung von Machthaber Zine el Abidine Ben Ali führten. Damals war es für die Organisatoren, die der Opposition nahestanden, noch ein Wagnis, so viele junge Leute auf einmal zusammenzubringen. Heute geht es einfacher, inzwischen finden vor allem an den tunesischen Universitäten immer mehr Veranstaltungen dieser Art statt.

Moderator Haythem, der von Anfang an bei TedX Carthage dabei war, ist vielleicht das beste Beispiel, wie weit man es mit Selbstvertrauen bringen kann. Der Blogger wurde nach dem Umsturz 2011 schnell zu einem der gefragtesten politischen Kolumnisten und Moderatoren in den tunesischen Medien. "In meinem Beruf hängt alles von Vertrauen ab. Wenn meine Leser und Zuhörer mir nicht vertrauen, dann kann ich dicht machen", erzählt er. “Nur wenn wir uns selbst vertrauen, schaffen wir es, in so schwierigen Zeiten voranzukommen.”

Der Saal des Kongresspalastes ist bei der TEDx Konferenz 2013 in Tunis prall gefüllt (Foto: Mourad Ben Cheikh Ahmed)
Im Kongresspalast halten normalerweise die tunesischen Parteien ihre Parteitage abBild: Mourad Ben Cheikh Ahmed

Die Folgen von 23 Jahren Diktatur

Gerade bei den jüngeren Tunesiern sind die Folgen von 23 Jahren Diktatur noch deutlich spürbar, in denen Menschen schon in der Schule eingeimpft wurde, dass sie besser nicht selbst denken sollten, geschweige denn eigene Projekte zu entwickeln. Junge Menschen - rund die Hälfte der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt - trifft vor allem die Arbeitslosigkeit. Viele Hochschulabsolventen finden trotz Diplom in der Tasche keinen Job. Doch die wenigsten trauen sich zum Beispiel, selbst eine Firma oder eine NGO zu gründen.

Es war gerade der älteste Redner, der tunesische Theaterregisseur und Schauspieler Raja Farhat, den der Saal mit stehenden Ovationen bedachte, als er sich für eine Reform des Bildungssystems aussprach und gegen die erstarkenden radikalen Islamisten wetterte: "Wir sind doch keine Hinterwäldler, die sich von irgendwelchen Analphabeten zum Dschihad verleiten lassen." Tunesien sei nach der Unabhängigkeit durch seine Bildung stark geworden. "Ihr müsst das Land jetzt verteidigen, ihr müsst diese Herausforderungen annehmen, denn ihr werdet hier eines Tages leben", forderte er die Teilnehmer auf.

Raja Farhat spricht bei der TEDx-Konferenz 2013 in Tunis (Foto: Mourad Ben Cheikh Ahmed)
"Wir sind doch keine Hinterwäldler" - Schauspieler und Regisseur Raja FarhatBild: Mourad Ben Cheikh Ahmed

Der Informatiker Seif glaubt, dass diese Konferenzen ein wichtiger Schritt sind hin zu mehr Vertrauen, mehr Eigenitiative vor allem junger Leute. "Es ist der erste Schritt, und darf nicht der einzige bleiben, aber ich glaube schon, dass es etwas bewirken kann." Aber vielleicht gehe ja der eine oder andere Teilnehmer nach der Konferenz nach Hause, um auch im Kleinen seinen Beitrag zu leisten, ein Stückchen des neuen Tunesien zu bauen.