Neue Gutsherren stoppen Landflucht
7. Juni 2019Einen Zaun, Mauern oder Gartentore wird es rund um das Herrenhaus Vogelsang bei Güstrow nicht geben. Und das nicht nur, weil zwei Pfaue vor und hinter dem Tudorbau aus dem 19. Jahrhundert ihr buntes Rad schlagen und die Kinder auf der Freitreppe spielen und im Garten reiten.
Robert und Isabel Uhde, Gutsbesitzer seit 2010, öffnen regelmäßig das große schwere Portal ihres neugotischen Gemäuers, das zuvor fast Ruine war. Heute geben sie Krimi- und Barockdinner in der Beletage, Hochzeiten im Park.
Das Haus mit dem elisabethanischen Vintage-Charme ist beliebte Kulisse für Mode-Shootings und Filmaufnahmen. Nachbarn, Kulturinteressierte und Touristen aus aller Welt kommen zu Pferdeshows und zur Mittsommerremise, einer Art Tag der offenen Tür Ende Juni in das nordöstliche, dünn besiedelte Bundesland. "Herrenhäuser wie Vogelsang sind die Gesichter dieser Kulturlandschaft. Wir mussten es retten", erklärt Robert Uhde sein Engagement.
Schule der Landentwicklung
2000 Herrenhäuser und Schlösser stehen in Mecklenburg-Vorpommern. Nirgendwo sonst auf der Welt ballen sich so viele Gutshöfe auf einer überschaubaren Fläche wie im Nordosten Deutschlands. Rund 1000 davon sind restauriert, als Hotel, Museum, Wohn- oder Gästehaus, ihre Ländereien werden landwirtschaftlich genutzt. 30 Jahre nach dem Mauerfall hat eine neue Generation von Gutshausbesitzern mit kreativen Geschäftsideen Dynamik aufs Land gebracht und Arbeitsplätze geschaffen.
"Kulturelles Erbe, unberührte Natur und die Nähe zu Hamburg und Berlin sind unsere Trümpfe", erklärt Professor Henning Bombeck. Regelmäßig lädt er Dorfbewohner und Politiker zum Erfahrungsaustausch, genannt "Schule der Landentwicklung". Immer mehr Städter ziehe es aufs Land. Der Tourismus sei Phase 1: "Wenn dann noch 5G-Internet und Elektro-Tankstellen das Pendeln und Arbeiten im Grünen erleichtern, werden noch mehr kommen", ist Bombeck überzeugt.
Aus Fehlern gelernt
Deutlich mehr Anfragen hat Manfred Achtenhagen, Makler und Gutshausbesitzer in Ludorf an der Müritz, in den vergangenen drei Jahren erhalten. "Durch den Kauf eines historischen Gebäudes wollen viele ein Stück Geschichte weiterschreiben." Seine Kunden gehen mit viel Idealismus und Gestaltungswillen ans Werk. EU-Fördertöpfe können dabei helfen.
Noch wichtiger als eine wasserdichte Finanzierung sei es, die Nachbarn und Politiker ins Boot zu holen. "Viele mussten aus Fehlern lernen", gibt der Wahl-Mecklenburger zu bedenken. Heute gehe man offener aufeinander zu, spreche miteinander.
Aufs Pferd gekommen
Nicht nur die Fassaden der einst grauen Gemäuer sind heute sorgsam verputzt und hübsch gestrichen. Auch im Inneren der Gutshäuser florieren die Geschäfte. Ein paar Beispiele: Gestresste Manager zieht es in das Tagungs- und Eventhotel Gut Gremmelin nur eine Pferdekutschfahrt entfernt vom Herrenhaus Vogelsang.
"Der Pferdetourismus ist unser jüngstes Baby", erklärt Inhaber Stefan Leue. Seit mehr als 20 Jahren kommen Hotelgäste. Ein Reitplatz wurde angelegt, derzeit entstehen zwölf mobile Boxen für Wanderreiter-Pferde. Berater und Manager-Gruppen erreichen mit dem Auto von Berlin und Hamburg das Gut in Gremmelin in 90 Minuten - auch für pferdegestütztes Training.
Das hell und freundlich sanierte Haus mit Park war früher Kindergarten und Party-Location. Im Dorf herrschte lange Skepsis. Leue: "Heute kommen die Nachbarn zum Spazierengehen in unseren Garten, viele sind stolz auf das hübsche Gutshaus."
Tradition und Öko-Landwirtschaft
50 Kilometer weiter nördlich liegt das Öko-Gut Dalwitz (s. Artikelbild) mit historischer Hofstruktur und 2000 Hektar Weide- und Ackerland. "Wir sind mecklenburgische Aborigines", konstatiert Heino von Bassewitz.
1945 waren seine Vorfahren in den Kriegswirren geflohen. Er kehrte 1992 aus Uruguay nach Dalwitz zurück. Er führte Gauchos und deren Criollo-Pferde in Mecklenburg ein. Das Gutshaus war heruntergekommen, der Hof ungepflegt, das Land aufgeteilt. Familie Bassewitz restaurierte und bewirtschaftete "step by step": 24 Ferienwohnungen, 120 Gästebetten, Gastronomie, Forst- und Landwirtschaft - alles bio, Viehzucht in Freilandhaltung, die erste Criollo-Pferdezucht in Deutschland und eine Biogasanlage mit Ladestation für E-Autos.
Für die Kinder entstand eine Schule im Dorf. 30 Mitarbeiter, im Sommer sind es mehr, leben inzwischen in der Nähe. Bassewitz: "Wir bauen derzeit unser Torhaus mit Hotelzimmern aus, die Nachfrage ist groß."
Engpässe durch Hochzeiten
Der Ferien- und Pferdehof Gut Klein Nienhagen bei Kühlungsborn "ist an Wochenenden im Sommer komplett ausgebucht", erzählt Gutsinhaber Jan Glöe. Gemeinsam mit seiner Frau Bianca führt er seit 1997 den Betrieb mit 15 Ferienwohnungen. Für Tagungen und Führungskräfte-Seminare haben die Glöes viel Platz im 86 Meter langen Marstall geschaffen.
Im Konfliktmanagement und bei der Teambildung kommen ebenfalls Pferde zum Einsatz. "Viele Nachbarn vermieten inzwischen auch Ferienwohnungen", erzählt Bianca Glöe. "Weil oft Besucher in der Nähe übernachten wollen, wenn wir ausgebucht sind."
Die Glöes wollen ihren Hof weiter ausbauen. "Das Gutshof-Dasein klappt nur mit Leidenschaft", erläutert Bianca Glöe. Die Familie sei von Anfang an täglich von morgens abends im Einsatz. Inzwischen sind auch ihre Tochter und ihr Bruder mit in das Gutshof-Business eingestiegen.
Schiffscontainer im Dorf
Auf den Weiden rund um das Schlosshotel Wendorf bei Schwerin grasen rund 70 Pferde. Reittourismus ist in der Region ein wichtiger Trend. Einst Ritterburg, dann Jagdschloss, später Kinderheim - heute will die Nobel-Herberge "mehr Gäste mit eigenem Pferd ansprechen", sagt Hotelchefin Maja Kilgore.
"Mecklenburg ist ein Paradies für Reiter und Pferde", schwärmt die passionierte Freizeit- und Geländereiterin, die nach mehreren Jahren Arbeit in China und in der Südsee ins Mecklenburgische zurückkam und auch zwei eigene Pferde mitbrachte.
Neben dem Schlosshotel trainiert der Springreiter Thomas Kleis seine Sportpferde: "Saftige Weiden, große Außenplätze und beste Ausreitmöglichkeiten. Das sind perfekte Bedingungen auch für Profisportler." Schlossherr Udo Chistée aus Österreich investiert weiter: Im Dorf entstehen Ferienhäuser aus Schiffscontainern: echte Hingucker. "Damit für jeden etwas dabei ist", erklärt Maja Kilgore.