Mit Minecraft gegen Internetzensur
12. März 2020Das Internet ist nicht überall ein Ort des freien Informationsaustauschs. Das merken wir bei der Deutschen Welle an jedem einzelnen Tag. Unsere Angebote sind in vielen Ländern blockiert, längst nicht nur in China oder im Iran. Deshalb stellt die Deutsche Welle auch Techniken zur Zensurumgehung bereit wie die Software Psiphon.
Einen anderen Zugang zu verbotenen Informationen eröffnet zum Tag gegen Internetzensur die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Versteckt in den Tiefen des Computerspiels Minecraft öffnet dort die "Uncensored Library" ihre Tore.
Die Überlegung hinter der unzensierten Bibliothek: Selbst in Ländern, in denen keine freien Medien zugänglich sind, werden Computerspiele gespielt. Und Minecraft ist eines der erfolgreichsten davon. Mehr als 145 Millionen Menschen bewegen sich jeden Monat in dieser pixeligen, aus Blöcken aufgebauten virtuellen Welt.
Verbotene Texte aus fünf Ländern
Das hat sich Reporter ohne Grenzen zu Nutze gemacht und genau dort einen freien Kanal für unerwünschte Informationen aufgebohrt. Gefüllt ist die unzensierte Bibliothek mit Artikeln, die in ihren Herkunftsländern nicht zugänglich sind. Artikel von Journalisten aus Ägypten, Saudi-Arabien, Russland, Mexiko und Vietnam – für den Anfang. Denn die Bibliothek soll beständig wachsen, betont Kristin Bässe. "Die soll ja wirklich Einfluss haben". Bässe hat das Projekt für Reporter ohne Grenzen betreut. Die fünf Länder wurden unter anderem ausgewählt, weil es dort eine lebendige Minecraft-Community gibt, erläutert Bässe.
Die User können jetzt zum Beispiel Texte des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi lesen. Der Journalist der "Washington Post" war Ende 2018 in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul ermordet und zerstückelt worden. Veröffentlicht sind auch Texte des 2017 erschossenen mexikanischen Journalisten Javier Valdez. Einen Platz für seine Arbeit finden in der Minecraft-Welt aber auchNguyen Van Daiaus Vietnam oder die russische Journalistin Yulia Berezovskaia. Beide leben und arbeiten heute im Exil. "Es war uns wichtig, dass die Journalisten in Sicherheit sind", erklärt Bässe. "Wir wollen durch die Veröffentlichung natürlich niemanden in Gefahr bringen".
Geballte Faust mit Füller
Die Texte sind in der Bibliothek nicht nur auf English zu lesen, sondern auch in der Landessprache – für maximale Verbreitung. "Die beste Methode, die einzige Methode im Kampf gegen Zensur ist, zensierte Inhalte zugänglich zu machen", sagt James Delaney. Der junge Londoner ist Gründer und Direktor von Blockworks. Dieses Kollektiv von Designern, Künstlern und Entwicklern hat an ihren Bildschirmen die "Uncensored Library" entstehen lassen.
Über drei Monate hat das gedauert, mit 24 Mitarbeitern in aller Welt. Die Bibliothek steht auf einer eigenen Insel und ist für Minecraft-Verhältnisse riesig: Mehr als 12 Millionen Blöcke wurden für den Bau verwendet. "Weil es ein politisches Projekt ist, war die Symbolik des Baus wichtig. Wir konnten ja nicht irgendeine Bibliothek bauen. Wir haben lange über das Design nachgedacht und was es repräsentiert." Was entstand ist ein gewaltiger Kuppelbau mit weiten Hallen, Fluren und endlosen Bücherregalen. Im Park davor erhebt sich eine Skulptur: Eine Faust ballt sich um einen Füller, Symbol für die Kraft des Wortes.
Unterschätzte Gamer-Kultur
Die Nachricht von der Bibliothek, hofft Delayne, werde von Influencern und YouTubern verbreitet werden. Videospiele im allgemeinen und Minecraft im Besonderen seien längst keine Subkultur mehr. "Mittlerweile gibt es weltweit zweieinhalb Milliarden Gamer – und es wächst weiter. Es ist die größte kulturelle Entwicklung der letzten zehn Jahre", stellt der Minecraft Architekt aus London fest. "Deshalb sollten Videospiele als Medium Verantwortung übernehmen und auch schwierige Themen diskutieren, so wie wir das aus Film, Fernsehen oder Radio kennen", fordert Delayne.
Zumal mit Videospielen auch junge Zielgruppen erreicht werden. Wer zum Beispiel Minecraft spielt, ist im Durchschnitt 24 Jahre jung. Was den vietnamesischen Demokratieaktivisten Nguyen van Dai besonders freut: "Wenn wir die Zukunft verändern wollen, müssen wir die nächste Generation erreichen", sagt der Blogger, der wegen seiner Arbeit jahrelang im Gefängnis saß.
Mit der "Uncensored Library" nutzt Reporter ohne Grenzen bereits zum zweiten Mal ein Schlupfloch in der Internetüberwachung. Anfang 2018 stellte die Organisation bereits die "Uncensored Playlist" vor. Damals hatten zensierte Journalisten ebenfalls aus fünf Ländern kritische Texte als Songs aufgenommen und über Streamingdienste verbreitet. In der ersten Woche schaffte es die Playlist sogar auf Platz sieben der vietnamesischen iTunes-Charts.