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Licht und Lärm: Schutz vor Wildtieren in Indien

Anupama Chandrasekaran Chennai
18. März 2022

Der Klimawandel und das Vordringen der Menschen in die Natur haben in Indien dazu geführt, dass immer mehr Wildtiere auf den Feldern nach Nahrung suchen. Mit Lärm und Licht wollen die Farmer sie fernhalten.

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Ein an einem Baum befestigtes Gerät, um Affen zu vertreiben
Lärm aus diesem Gerät soll hungrige Affen fernhaltenBild: SR Ayan

Schon seit sechs Jahren betreibt Raghavendra Bhat seinen Bio-Bauenhof. Der liegt mitten im Wald, ganz in der Nähe von Bengaluru in Südindien. Die Stadt gilt als die Technologiehochburg des Landes. Als er 2014 seinen Büro-Job an den Nagel hängte, um sich als Öko-Landwirt selbstständig zu machen, ahnte er nicht, was auf ihn zukommen würde.

Denn auf dem sechs Hektar großen Anwesen treiben Affen ihr Unwesen. Anfangs war er ihnen noch wohl gesonnen.

"Irgendwann jedoch kamen Hunderte von ihnen und machten sich über die Bananenplantagen her. Schließlich drangen sie sogar ins Haus ein und stürzten sich auf die Arbeiter", erzählt Bhat. Die Angriffe wurden schließlich immer häufiger. "Das war auch der Punkt, an dem wir begriffen, dass wir es hier mit einer richtigen Bedrohung zu tun haben und etwas tun müssen."

Eine indische Familie bei der Ernte
Raghavendra Bhat mit seiner Familie und ihrer Ernte in IndienBild: Raghavendra Bhat

Inzwischen kommen die Affen so oft auf die Felder, dass Bhat einzelne Tiere schon von weitem erkennt. "Einer der Affen hat keinen Schwanz. Er ist wohl der Anführer. Jedes Jahr kommt er mit einer größeren Gruppe hier auf die Felder", erzählt Bhat.

Wildtiere auf Nahrungssuche

Weil der Klimawandel voranschreitet und der Mensch immer weiter in den Lebensraum der Tiere vordringt, wird es für Wildtiere immer schwerer, in ihrem ursprünglichen Lebensraum ausreichend Nahrung zu finden. Deshalb führt sie ihre Suche nach Essbarem längst bis auf die Felder der Menschen.

Für die Landwirte ist das eine Katastrophe. Wegen unregelmäßiger und dann teils heftiger Regenfälle haben sie ohnehin schon erhebliche Ernteausfälle zu beklagen. Noch mehr ihrer Ernte durch die Wildtiere zu verlieren, können sie sich schlichtweg nicht leisten.

Mit Feuerwerkskörpern, Elektrozäunen und sogar Gift versuchen einige Farmer verzweifelt, die Tiere von den Feldern fernzuhalten. Aber Affen und Elefanten sind schlau. Ihnen versuchen manche Landwirte mit sanfteren Mitteln beizukommen.

Affenjagd: Fangen und wieder freilassen

Inzwischen verliert Bhat mindestens ein Fünftel seiner Einnahmen durch Affen und Elefanten auf Nahrungssuche. Aber es könnte viel schlimmer sein. Als vor rund fünf Jahren die Angriffe der Affen beinahe unerträglich wurden, entschied er sich zunächst für einen mühsamen Weg, um die Plagegeister wieder loszuwerden: Mit Hilfe von Ködern fing er nacheinander etwa 25 Tiere ein und setzte sie rund 100 Kilometer entfernt in einem Wald wieder aus.

"Es würde mich nicht weiter stören, wenn sie sich einfach satt essen und wieder verschwinden würden", sagt Bhat. "Aber die Affen pflücken bis zu zehn Früchte, egal ob Bananen, Guaven, Mangos oder Sapoten, beißen in alle nur einmal hinein und werfen sie dann weg. Manchmal essen sie eine Frucht komplett, manchmal auch nicht."

Ein an einem Baum befestigtes Gerät, um Affen zu vertreiben
Ein Gerät zum Vertreiben von Affen, das in einem Baum auf einem Bauernhof angebracht istBild: SR Ayan

Ständig fragt sich Bhat, wie die Landwirte hier mit der Doppelbelastung zurechtkommen sollen: Die Angriffe der Wildtiere und die Auswirkungen des Klimawandels. Fast 90 Prozent seiner letzten Erbsenernte sind verdorben. Es hat zu ungewöhnlichen Zeiten viel zu viel geregnet. Die Ernte ist einfach verfault.

"Stellen Sie sich vor, das Gleiche würde einem Kleinbauern passieren, der allein von diesem Einkommen abhängig ist. Viele der Farmer mit den kleinen Höfen finanzieren ihre Ausgaben mit Krediten vor. Die müssen sie jedoch zurückzahlen, auch wenn sie Ernteverluste einfahren", erzählt Bhat. "Man stelle sich nun vor, das Affen oder andere wilde Tiere die verbliebenen zehn Prozent der Ernte vernichten. So ein Bauer wird nicht in der Lage sein, das darauffolgende Jahr wirtschaftlich zu überleben."

Im Dezember vergangenen Jahres war ein Gast zu Besuch auf Bhats Farm. Als er die Affenplage sah, erzählte er Bhat von einem bioakustischen Gerät, das in Nordindien getestet wurde, um Affen zu vertreiben. Der solarbetriebene Apparat hat Bewegungssensoren. Tauchen die Affen auf, spielt er das Brüllen von Löwen, Tigern, Leoparden oder sogar Gewehrschüsse ab, um die Tiere zu verscheuchen.

Bath setzte sich daraufhin mit S.R. Ayan von der Firma Katidhan in Verbindung. Das Unternehmen hat die Technologie zum Vergrämen der Wildtiere entwickelt. Firmengründer Ayan hatte sich einst gefragt, wie man das Verhalten der Tiere ändern könnte, ohne sie dabei zu verletzen. "Indem man seine Sinne angreift", sagt Ayan. 

Während der Entwicklungsphase hatte das Unternehmen auch Sprinkleranlagen getestet. Sobald die Bewegungsmelder anschlagen, sollte Wasser die Eindringlinge vertreiben. Der gewünschte Effekt blieb jedoch aus. "Als wir damit starteten, waren die Affen tatsächlich etwas aufgeregt. Sie dachten, das Wasser kommt ihnen direkt entgegen. Aber nach ein, zwei Tagen fingen sie schon an, mit dem Wasser zu spielen", erzählt Ayan.

Erst danach begannen die Entwickler, mit Geräuschen zu experimentieren. Da sie um die Intelligenz der Tiere wussten, programmierten sie die Geräte so, dass wöchentlich ein anderer Ton zum Vergrämen der Tiere abgespielt wird.

Indiens Landwirtschaft unter Druck 

Mit 130 Dollar ist ein solches Gerät teuer. Bhat kann es sich aus den Rücklagen aus seinem Bürojob zwar leisten. Vielen anderen Landwirten fehlen die Mittel dafür. Mehr als die Hälfte der indischen Arbeitskräfte ist finanziell von der Landwirtschaft abhängig. Und es gibt kaum Alternativen. Die meisten besitzen weniger als zwei Hektar Land. Das entspricht in etwa der Größe zweier Fußballfelder. Diese Bauern haben Mühe, überhaupt über die Runden zu kommen.

 Seit 1980 hat es in Indien wegen des Klimawandels 59.000 Suizide gegeben. In einerStudie der University of California, Berkeley, aus dem Jahr 2017 heißt es, die Bauern hätten wegen der schlechten Ernten keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Weiter prognostizieren die Wissenschaftler für jeden Temperaturanstieg um ein Grad Celsius in jeder Erntesaison 67 zusätzliche Selbstmorde.

Eine Bäuerin schaut nach den Setzlingen auf einem Feld
Malan Raut prüft die Setzlinge auf ihrem kleinen Stück LandBild: Malan Raut

Malan Raut wohnt im westindischen Bundesstaat Maharashtra. Die 35-Jährige besitzt zwei Hektar Land, gleich in ihrem Dorf. Vor zwei Jahren verlor sie ihre gesamte Ernte durch Überschwemmungen. Im vergangenen Jahr hatte sie Bockshornklee angebaut und hoffte, sich finanziell vom Schock des Vorjahres erholen zu können. Zwar blieben die Überschwemmungen aus. Nun kamen jedoch die Rehe, die ihre Ernte bedrohten.

"Die Rehe rupften einfach alles ab und ließen nur die Stängel übrig", erzählt sie. So verlor sie im vergangenen August umgerechnet 1000 Dollar. Also holte auch sie sich technische Hilfe ins Beet; ebenfalls entwickelt von Ayans Unternehmen.

Eine Vogelscheuche wacht seither über einen Hektar ihres Landes. Statt eines Kopfes aus Stroh oder Lehm sitzt bei diesem Exemplar ein kleiner Kasten auf dem Hals. Die ganze Nacht über blinkt das Gerät und soll so die Tiere vergrämen. Fürs Erste hat das funktioniert. In diesem Jahr hat Rauts Bockshornklee überlebt. Betrieben wird die Technik mit Solarstrom. Raut hatte Glück: Eine landwirtschaftliche Frauenkooperative hatte ihr das Gerät gespendet.

Licht und Geräusche: Gewöhnungseffekte

Die Technik hat aber auch Nachteile. So vergrämen Rauts Nachbarn die tierischen Eindringlinge auf ihren Feldern ebenfalls mit Geräuschen, ganz ähnlich wie Bhat.

Das jedoch störe den Frieden und die Ruhe, klagt Raut. Außerdem meinen Kritiker, dass sich die Tiere an Licht und Lärm gewöhnen können.

Shaurabh Anand untersucht für das World Resources Institute, einer Umweltorganisation aus den USA, die Konflikte zwischen Mensch und Tier in Indien. Er sagt, dass die Affen zwar anfangs durchaus erschrocken sind, aber mit der Zeit die schrillen Geräusche ignorieren und schamlos weiter Farmen überfallen. "Wir haben festgestellt, dass akustische Abschreckungsmittel die Affen nicht wirksam vergrämen können", berichtet Anand.

Vorerst hat Bhat seinen Affenschreck an einem drei Meter hohen Strommast am westlichen Ende seiner Farm angebracht. Damit ist das Gerät weit genug von seinem Haus entfernt, damit der Lärm ihn selbst nicht stört. Aber auch Bhat hat festgestellt, dass sich die Affen an die Geräusche gewöhnen. "Ich habe die Affen kommen sehen, der Lärm ging los und sie sind davon gelaufen", erzählt er. "Aber da die Affen schlau sind, meiden sie nun diesen Zugang, sie kommen jetzt einfach aus anderen Richtungen auf mein Feld."