Mit Hightech gegen Minen
20. September 2016Ein neuer Arbeitstag beginnt. Wie immer fährt Chen Komsan zu seinem Acker in der westkambodschanischen Provinz Battambang. Der 41-jährige Bauer bewirtschaftet das Land seit sieben Jahren mit einem alten Ford-Traktor. Nie ist etwas passiert. Doch an diesem Tag im September erwischt ihn eine Landmine. Durch die gewaltige Explosion verliert er seine Beine. Auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt er, weil es den Sanitätern nicht gelingt, die Blutung zu stillen.
Chen ist eines von vielen Landminenopfern in Kambodscha, einem der am stärksten verminten Länder der Welt. Ende der 60er Jahre geriet Kambodscha in den Vietnamkrieg, später herrschten die Roten Khmer. Ende der 70er Jahre kamen vietnamesische Soldaten ins Land. Alle setzten Landminen als Kampfmittel ein.
Schätzungen zufolge starben seit 1979 mindestens 64.000 Menschen an Landminen. Laut amtlichen Angaben verloren in der ersten Hälfte 2016 59 Menschen das Leben oder wurden durch Minenexplosionen verletzt. Nach Angaben des Aktionszentrums gegen Landminen in Kambodscha (CMAC) wurden seit 1992 mehr als 5 Millionen Minen mit Hilfe von Spenden und Hilfsorganisationen entdeckt und vernichtet. Doch noch immer lauern Millionen im Boden.
Testfeld für Hightech
Das verminte Kambodscha ist ein ideales Testfeld für neue Techniken zur Minenräumung. Auch Tiere können helfen. Die gemeinnützige Organisation APOPO aus Belgien setzt zum Beispiel Riesenhamsterratten ein, die Sprengstoffe wie TNT aufspüren können. Die Ratten sind so leicht, dass die Minen von ihnen nicht ausgelöst werden. Erste Pilotversuche wurden im Juni erfolgreich abgeschlossen.
Ein junges Unternehmen aus Kanada probt derzeit in Kambodscha eine vollautomatische Maschine, die ohne menschliche Unterstützung Landminen entdecken und entschärfen kann. "Wir wollen keinen Etappensieg", sagt Firmeninhaber Richard Yim, der selber aus Kambodscha stammt. "Wir wollen einen technischen Durchbruch."
Autonome Minenräumung
Die Minen kontrolliert zur Explosion zu bringen, ist im Moment die gängigste Methode der Minenräumung. Aber das Grundstück sei danach zerstört und die Ortung und Bergung weiterer Minen schwieriger, so Yim. Seine Maschine kann die Mine entschärfen, ohne dass sie dabei gesprengt wird. Der 36 Zentimeter hohe "Entschärfer" kann autonom oder über Fernsteuerung die Landmine öffnen und den Zünder binnen 15 Sekunden unschädlich machen. Yims Firma hat auch einen zweiten Prototyp im Test, den sogenannten "Gräber". Das kann menschliche Minenräumer ersetzen und die gefährliche Arbeit des Freilegens von Minen übernehmen.
"Wir werden in Zukunft vollautomatische Technologien besitzen, die die Menschen von den gefährlichen Einsätzen befreien", sagt Allan Dodgson Tan von der Golden West Humanitarian Foundation, die auch schon bei der Räumung von Wasserminen aktiv war. Die kanadische Erfindung finde er großartig. "Wir brauchen junge ambitionierte Ingenieure, die sich der Aufgabe annehmen." Ein bisschen misstrauisch ist dagegen der Generalsekretär vom Aktionszentrum gegen Landminen in Kambodscha (CMAC) Phat Phearak. Er will abwarten, wie die Prototypen arbeiten. "Aber wir begrüßen den Einsatz von allen verfügbaren Technologien und Methoden."
Teurer Einsatz ab 2018?
Laut Firmenvorgaben wird das junge Unternehmen aus Kanada bis Januar 2018 offiziell eine oder möglicherweise auch zwei Minenräummaschinen vorstellen. Bis Dezember wollen sie in Kambodscha testen. "Wir haben ehrgeizige Ziele, um Menschenleben zu retten", sagt Yim. Doch die neuesten Geräte werden nicht billig sein. Allein der "Entschärfer" würde bei Markteinführung 50.000 US-Dollar kosten, der "Gräber" bis zu 40.000 US-Dollar.
"Natürlich ist es eine Herausforderung, diese Maschinen bezahlbar zu machen", sagt Tan, "Geräte, die für humanitäre Einsätze gebaut werden, müssen robust und relativ preiswert sein." Das Aktionszentrum gegen Landminen in Kambodscha glaubt, dass sich die Investitionen in die Hightech lohnen könnten, denn die Leistungsfähigkeit könne im Gegensatz zu manueller Räumung um das Zehnfache gesteigert werden.
Doch das Ganze muss die Regierung in Phnom Penh finanzieren. Als es mit der Wirtschaft im Lande aufwärts ging, zogen sich viele Spender zurück. CMAC-Generalsekretär Phat sagt: "Die Finanzierung hängt vom Wirtschaftswachstum ab." Außerdem müssten trotzdem Minenräumer rekrutiert und ausgebildet werden. Die bisherigen Räumer seien Soldaten im Ruhestand und es mangele an Nachwuchs für ihren Beruf.
Noch sind 2000 Quadratkilometer in Kambodscha vermint. Das ist eine Fläche zwei Mal so groß wie die Bundeshauptstadt Berlin. Es besteht dringender Handlungsbedarf, so Yim. "Ich weiß nicht, wen die nächste Mine trifft. Ich kann nachts nicht schlafen. Uns läuft die Zeit davon." Sein Engagement hängt auch mit seiner eigenen Lebensgeschichte zusammen. Er weiß, dass elf Prozent der Minenopfer in Kambodscha unter 18 Jahren alt. "Einer von ihnen hätte ich sein können", sagt der 22-jährige. Seine Tante kam bei einem tödlichen Minenunfall ums Leben. Er war damals acht Jahre alt. Minen waren das beherrschende Thema am Esstisch. Mit 13 Jahren ist er nach Kanada ausgewandert. "Ich will der nächsten Generation die Freiheit geben, dorthin zu gehen, wohin sie wollen."