Mit Deutsch nach Europa
Unbewegt glänzt das Asowsche Meer in der Sonne, am Strand nahe der Stadt tummeln sich ein paar Badegäste – ein seltsames Bild. Denn wer den Blick nach links wendet, sieht die Schlote eines gigantischen Stahlwerks, rechts sind die Kräne des Hafens sichtbar. Eigentlich, so sagen die Einheimischen, sollte man hier nicht schwimmen gehen.
Im Schatten der Kombinate
Mariupol – eine Stadt im ehedem sowjetischen Industrierevier "Donbass", eine Stadt im Schatten der Kombinate und Fabriken, wo die städtischen Magistralen "Straße der Metallurgen" oder "Straße der Bauarbeiter" heißen und das größte Werk "Iljitsch" – nach Wladimir Iljitsch Lenin.
Das Meer ist verschmutzt, das Leitungswasser nicht trinkbar, die Luft schlecht – es grassieren Allergien und Atemwegserkrankungen. Die Straßen jenseits des großen "Lenin-Prospekts", vor allem aber die Häuser, sind in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Hauptstadt Kiew ist weit, Geld fließt nur spärlich in den Osten des Landes. In Mariupol fühlen sich viele regelrecht abgehängt, von der Politik erwarten die Menschen hier nichts mehr.
Ressource Bildung
Umso überraschender sind die kommunalen Anstrengungen im Bereich der Bildung. "Wir setzen alle verfügbaren Ressourcen für Schulen, Kindergärten, Sport und Kultur ein", sagt Zinovia Dmitrieva, die Leiterin der zuständigen Behörde. "Aber natürlich müssen wir jede Kopeke umdrehen". So hat man jetzt die Herbstferien vorverlegt, die Heizperiode in den Schulen wird erst danach und damit zwei Wochen später beginnen - und die Stadt spart knappe und teure Energie. Ohne die gelegentlichen Zuschüsse der Sponsoren aus der Geschäftswelt käme das städtische Bildungsangebot aber wohl kaum über die Runden.
PASCH für Mariupol
Am Lenin-Prospekt Nummer 76 liegt das "Städtische Lyzeum". Die Schule ist der lebende Beweis dafür, wie man trotz allem mit Fleiß und Enthusiasmus eine kreative Atmosphäre schaffen und hervorragende Leistungen erzielen kann. Seit kurzem hat sich die Schule mit dem Fremdsprachen-Schwerpunkt für das Partnerschulprogramm des Auswärtigen Amtes – kurz PASCH – qualifiziert. Schuldirektorin Tatjana Akulschina ist stolz: "Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft". Der Deutsch-Unterricht hat dadurch einen enormen Aufschwung genommen. Deutschlehrerin Elena Rapina sagt: "Dieses Programm hat uns geholfen, die deutsche Sprache hier in unserer Region als eine wichtige Sprache neben Englisch zu etablieren. Ich freue mich, dass immer mehr Schüler kommen und Deutsch als Hauptfach wählen". Die Teilnahme an PASCH hat sich nach ihrer Auffassung schon jetzt gelohnt. Begeistert ist man auch vom neuen Computer, von den Büchern, Filmen und Unterrichtsmaterialien, die das Goethe-Institut zur Verfügung gestellt hat.
Die Deutschen sind lustig
Elena legt Wert auf einen lebendigen Unterricht, immer wieder hält sie ihre Schüler dazu an, sich in kleinen Dialogen in der fremden Sprache zu verständigen. Für Gesprächsstoff sorgen dabei auch Aufenthalte der Jugendlichen in Deutschland und eigene Erfahrungen mit "den Deutschen": "Die Deutschen sind immer sehr lustig", sagt Julia. Und Marina: "Wenn du auf der Straße stehst und nicht weiter weißt, helfen sie dir gern." Große Heiterkeit herrscht im Klassenraum bei der Frage nach den deutschen Jungs. Fazit von Katja: "Sie lächeln immer. Und sie sind sehr attraktiv – nicht so wie unsere."
Wettbewerb der Besten
Draußen im Flur hängen Erinnerungen an die letzte Deutschlandreise, die Elena Rapina mit einer Gruppe unternommen hat. Eine große Tafel zeigt die Ergebnisse eines schulinternen Wettbewerbs. Auf Fotos im Eingangsbereich präsentieren sich die besten Lehrkräfte und Absolventen. Das Kräftemessen in naturwissenschaftlichen Wettbewerben und bei Spracholympiaden steht hier hoch im Kurs. Und die Schule ist stolz auf die Erfolge der Jugendlichen.
In den Klassen wird der traditionelle Frontalunterricht erteilt, die Mädchen und Jungen wirken äußerst diszipliniert, konzentriert, fleißig und ein wenig brav. Vielleicht trägt dazu auch die obligatorische Schuluniform bei. Nur wenige offenbaren, dass sie den Samstag genießen, an dem sie in ihrer eigenen Kleidung zum Unterricht kommen dürfen. Disziplin, sagt Direktorin Akulschina, ist ein wichtiges Erziehungsinstrument: "Ohne sie gibt es keine Leistungen."
Perspektive Europa
Wie weit man mit Fleiß und Begabung kommen kann, zeigt das Beispiel der 16jährigen Vlada Dubinkova. Vom Partnerschul-Programm hat sie schon profitiert: "In diesem Jahr war ich mit Jugendlichen aus vielen Ländern drei Wochen zum Deutschlernen in Norddeutschland. Das war eine Reise im Rahmen des PASCH-Programms." Für ihre Zukunft hat sie schon ziemlich klare Vorstellungen: "Ich möchte in Frankfurt am Main Marktforschung studieren."
So weit wie Vlada ist die zwei Jahre jüngere Ira noch nicht. Sie gehört zu den Neulingen im ersten Kursjahr, hat schon etwas Englisch gelernt, aber auch auf ihrem Stundenplan steht künftig Deutschunterricht. Ihre Mutter Viktoria sagt, die Familie habe als zweite Sprache Deutsch ausgesucht, "weil es hier dieses gute Programm gibt und dazu eine wunderbare Lehrerin".
Viele dieser Jugendlichen sehen ihre Perspektive im westlichen Europa. Studieren und arbeiten in England, Frankreich oder Deutschland – für ihre Eltern oder Großeltern war das noch pure Utopie. Heute erscheint es als ein realistisches Ziel. Mag der Himmel über Mariupol also manchmal düster erscheinen – Lichtblicke gibt es auch hier.
Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Aya Bach