HRE Milliardenprozess
3. Februar 2014Der Streit über milliardenschwere Schadenersatzklagen früherer Aktionäre der Krisenbank Hypo Real Estate (HRE) geht in eine heiße Phase. In einem Musterprozess verhandelt das Oberlandesgericht München von Montag (10.00) an erstmals öffentlich über Forderungen von Anlegern, die sich von der früheren HRE-Führung unter Vorstandschef Georg Funke über die desolate Lage der Bank vor dem Beinahe-Zusammenbruch 2008 getäuscht fühlen. Funke, der gemeinsam mit der HRE verklagt wird, soll am Donnerstag vor Gericht auftreten.
Das Fiasko der einst größten deutschen Immobilienbank war eines der dramatischsten Kapitel der Finanzmarktkrise und löste etliche Rechtsstreitigkeiten aus. Mit weit über 100 Milliarden Euro an Garantien und Geldspritzen stützte die Bundesregierung die HRE, die im Jahr 2008 ins Wanken geriet und weitere Banken in den Abgrund zu reißen drohte.
Verstaatlichung im Jahr 2009
Über Milliardenschäden klagen auch zahlreiche Anleger. Institutionelle Investoren und Kleinaktionäre sehen sich in zwei Phasen der Krise um ihr Geld gebracht: Durch die Misere der Bank im Jahr 2008, woraufhin der Aktienkurs abstürzte, und durch die vom Bund erzwungene Verstaatlichung im Jahr 2009. Während die quasi enteigneten Aktionäre mit ihren Klagen auf höhere Abfindungen mehrfach vor Gericht scheiterten, ist die Hoffnung der ersten Anlegergruppe noch groß.
"Sie sind von der HRE falsch informiert worden", sagt Rechtsanwalt Andreas Tilp, der stellvertretend für Hunderte andere die Musterklage durchfechten will. Auf mehr als eine Milliarde Euro beläuft sich allein die von ihm vertretene Forderung an die verstaatlichte Bank - der Steuerzahler soll nun auch für ihre Verluste bluten.
Risiken nicht korrekt bewertet
Tilp wirft der HRE vor, sie habe Risiken ihrer Wertpapierbestände nicht korrekt bewertet und die Anleger darüber im Unklaren gelassen. Auch über die Risiken, die sich die HRE mit der Übernahme der Staatsfinanzierungsbank Depfa im Jahr 2007 aufgehalst habe, seien die Anleger getäuscht worden. Die HRE hatte am 15. Januar 2008 völlig unerwartet Abschreibungen auf strukturierte Wertpapiere in Millionenhöhe bekannt gegeben, nachdem die Bank ihre Lage zuvor noch schöngeredet habe. Mit dem Absturz der damals im Dax gelisteten HRE-Aktien um 35 Prozent begann an diesem Tag die Talfahrt des Leitindex.
Endgültig ins Straucheln geriet die HRE, als in der Finanzkrise das Geschäftsmodell der Depfa versagte: Die Konzerntochter bekam an den Kapitalmärkten kein Geld mehr, um ihre langfristig ausgegebenen Kredite durch kurzfristige Schulden zu finanzieren, und drohte deswegen pleite zu gehen. Der Sturzflug der HRE-Aktie am 29. September 2008 um 75 Prozent war der bisher größte Kursverlust eines Dax-Werts an einem Tag.
Besonderer Ablauf des Verfahrens
Der Ablauf des Gerichtsverfahrens ist für Deutschland eine Besonderheit, die erst vor einigen Jahren eingeführt wurde: Damit nicht die Klagen sämtlicher Anleger einzeln vor dem Landgericht ausgebreitet werden müssen, befasst sich stattdessen das Oberlandesgericht mit nur einer einzigen Klage. Wenn nach Monaten oder Jahren ein Urteil fällt, gilt das auch für alle anderen. So sieht es das so genannte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor, das bereits in einem Prozess von Anlegern gegen die Deutsche Telekom eine Rolle spielte. Im HRE-Prozess ist der von Tilp vertretene Musterkläger ebenfalls Rechtsanwalt: Christian Wefers hat sich die Forderungen mehrerer Investoren abtreten lassen und kommt so auf eine Summe von 900 Millionen Euro plus Zinsen.
Der Bund steckt nun in der Rolle, die Informationspolitik des 2008 aus dem Amt gedrängten HRE-Chefs Funke rechtfertigen zu lassen, um Steuergelder zu verteidigen: "Nach Überzeugung der HRE war die Kommunikation zu jedem Zeitpunkt angemessen. Diese Position werden wir vor Gericht vertreten", sagt ein Sprecher der bundeseigenen Bank. Die Anwaltskanzlei des früheren HRE-Chefs Funke lässt ausrichten, dass man sich zu dem Fall nicht äußere.
Prozess läuft seit Jahren
Formal läuft der Musterprozess bereits seit drei Jahren - allerdings nur über die Schreibtische der Beteiligten. Nachdem sie umfangreiche Briefe und Dokumente ausgetauscht und gewälzt haben, soll nun im Gerichtssaal verhandelt werden. Den Vorsitz des Zivilsenats führt Richter Guido Kotschy, der bereits im Schadenersatzprozess der Kirch-Erben gegen die Deutsche Bank bekannt wurde. Von Kotschy verspricht sich Tilp in den ersten drei Tagen einen Fahrplan für den weiteren Prozessverlauf, bevor dann am Donnerstag und Freitag Funke und mehrere Zeugen aussagen sollen.