Tyson: "Kämpfen aus einem bestimmten Grund"
24. November 2020"Ich war der jüngste Schwergewichts-Champion in der Geschichte des Boxens. Ich war ein Titan, die Reinkarnation von Alexander dem Großen", schreibt Mike Tyson in seiner Autobiografie "Undisputed Truth". "Mein Stil war ungestüm, meine Abwehr uneinnehmbar und ich war wütend. Es ist erstaunlich, wie ein geringes Selbstwertgefühl und ein riesiges Ego einen Größenwahn hervorrufen können."
Mike Tyson hätte eine lebende Legende sein können: Mit 20 Jahren schon Champion. Dank unverwechselbarer Schlagkraft, dazu die Schnelligkeit eines Leichtgewichts, kombiniert mit hoher Beweglichkeit und makelloser Deckung - so erobert "Iron Mike" 1986 den Thron im Schwergewicht. Er wird WBC-Champion, ein Jahr später hält er zusätzlich die Titel der Verbände WBA und IBF. Damit ist Tyson der erste Dreifach-Weltmeister im Schwergewicht. Bis zu seinem 37. Profikampf bleibt er ungeschlagen, die ersten 19 gewinnt er allesamt durch K.o. Erst in seinem 38. Kampf geht er im Februar 1990 gegen James "Buster" Douglas selbst das erste Mal in seiner Laufbahn K.o.
Cus D'Amato: Entdecker, Mentor, Ziehvater
Michael Gerard Tyson wird am 30. Juni 1966 in Brooklyn in schwierige familiäre Verhältnisse hineingeboren. Seinen Vater, der die Familie früh verlassen hat, kennt er nicht. Als er 16 ist, stirbt seine alleinerziehende drogensüchtige Mutter. Tysons damaliger Box-Trainer und Mentor Cus D'Amato, der eine liebevolle und enge Bindung zu seinem Schützling pflegt, nimmt den jungen Boxer, in seine Obhut und wird dessen gesetzlicher Vormund. Schon als Jugendlicher hat Tyson oft Ärger mit der Polizei und ist auf dem besten Wege, ein Krimineller zu werden.
D'Amato sieht in Tyson, der eigentlich zu klein für das Schwergewicht ist, früh das Talent und die Besessenheit, die ihn später zum Weltmeister macht. "Ich habe einen Grund zu leben - für Mike. Ich werde zusehen, wie er ein Erfolg wird und werde nicht gehen, bevor das passiert", erklärt D'Amato in alten Videos, doch er stirbt im Alter von 77 Jahren - gut ein Jahr vor Tysons erstem WM-Kampf.
"Cus D'Amato, mein Mentor, Freund und General. Deinetwegen hat mein Leben Höhen erreicht, die ich mir nie hätte vorstellen können. Ohne dich wüsste ich nicht, wo ich heute wäre. Meine Dankbarkeit dir gegenüber ist unermesslich." schreibt Tyson später in seiner Autobiografie.
Grandioser Boxer mit Fehltritten
Im Ring steht Mike Tyson für pure Kraft, wilde Entschlossenheit und tadellose Technik - im Leben begeht er dagegen viele Fehltritte. Gewalt und Brutalität, Alkohol- und Drogenexzesse, Verurteilungen, Haftstrafen, ein angebissenes Ohr, ein Doping-Skandal und Schulden - auch das ist Tyson. Er ist 25 Jahre alt als er im März 1992 wegen der Vergewaltigung einer Kandidatin der Miss-Black-America-Wahl angeklagt und verurteilt wird: sechs Jahre Gefängnis, davon drei auf Bewährung.
Nach seiner Entlassung kehrt Tyson erfolgreich in den Boxring zurück. Im März 1996 ist er nach einem Sieg durch technischen K.o. gegen Frank Bruno wieder WBC-Weltmeister. Im September desselben Jahres besiegt er Bruce Seldon und hält nun auch wieder den WBA-Titel. Durch eine Niederlage gegen Evander Holyfield im November 1996 verliert er seinen WBA-Gürtel wieder, hat aber acht Monate später im Rückkampf die Chance, ihn zurückzugewinnen.
Doch das Rematch gegen Holyfield wird zum Desaster: Tyson beißt Holyfield in der dritten Runde ins Ohr: der legendärste Biss der Sportgeschichte. Er vergibt damit nicht nur die Chance auf den WM-Titel, er wird disqualifiziert, für 15 Monate gesperrt, die Boxlizenz wird ihm aberkannt und er muss eine Geldstrafe von drei Millionen US-Dollar zahlen.
Nach Holyfield-Debakel: Gefängnis, Drogen, Niederlagen
Tysons Reputation ist beschädigt, in seinem Leben und seiner Box-Karriere geht es in den folgenden Jahren auf und ab. Nachdem seine Sperre abgelaufen ist und er wieder eine Box-Lizenz hat, gewinnt er gegen Francois Botha, wird allerdings direkt danach erneut verurteilt und muss wegen Körperverletzung für ein Jahr ins Gefängnis. Er sitzt dreieinhalb Monate ab und kommt dann auf Bewährung frei.
Danach steht Tyson - mittlerweile 33 Jahre alt - nur noch neun Mal im Ring. Seinen größten Kampf in dieser Zeit verliert er im Juni 2002 gegen Dreifach-Weltmeister Lennox Lewis. Gebeutelt von finanziellen Schwierigkeiten, gerät er in die Insolvenz. 2004 wagt Tyson den verzweifelten Versuch eines Comebacks, verliert aber gegen den recht unbekannten Danny Williams durch K.o. Im Juni 2005 - nach der Niederlage gegen Kevin McBride - gibt Tyson seinen Rücktritt vom Profisport bekannt.
Langer Weg zum Comeback
Tyson hat danach in Filmen mitgespielt, ein Buch herausgebracht und eine eigene Fernsehshow gemacht. . Er hat aber auch seine Alkoholsucht eingestanden, eine Entziehung hinter sich, ernährt sich mittlerweile vegan und trainiert seit diesem Jahr wieder. Heute wirkt Tyson rehabilitiert: "Mein Ego erlaubt es mir, gütig zu anderen zu sein, denn gütig zu anderen zu sein, erlaubt es mir, gütig zu mir selbst zu sein, und das ist das Ziel meines Egos ohne den Kampf", twittert Tyson im April 2020.
Damals gibt er auch bekannt, dass er gegen den Mehrfach-Weltmeister Roy Jones Jr. sein Comeback geben wird. Der Kampf sollte eigentlich Mitte September stattfinden, verschob sich dann aber wegen der Corona-Pandemie auf Ende November. Tyson geht zuversichtlich und siegessicher in den Fight und kündigt den "Berserker-Modus" an. "Man wird 100 Mal niedergeschlagen, man steht 100 Mal auf, man lernt 100 Lektionen", twittert er. Und: "Ich verliere vielleicht manchmal im Leben, aber ich werde an diesem Tag im Ring nicht verlieren."
Tyson ist 54 Jahre alt. Mit seiner jetzigen Frau Lakiha Spicer ist er seit elf Jahren verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter Exodus ist 2009 bei einem Unfall tragisch ums Leben gekommen. "Jeder kämpft aus einem bestimmten Grund", verkündete Mike Tyson kürzlich in den sozialen Medien. Ob er den nächsten Kampf seiner verstorbenen Tochter widmet?