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Migration: Kanaren-Route ist eine der tödlichsten der Welt

Kate Hairsine
13. Juli 2023

Zahlreiche Migranten sind in den vergangenen Wochen beim Versuch ertrunken, von Westafrika zu den Kanarischen Inseln zu gelangen. Spanien und Marokko ernten Kritik für ihre ineffektiven Rettungsaktionen.

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Rettungskräfte in weißen Anzügen mit einer Trage, auf der ein Körper in weißem Tuch liegt, auf einem Schiff in Arguineguin in Gran Canaria (18.11.2021)
Rettungskräfte bringen die Leiche eines Migranten in Arguineguin in Gran Canaria an Land (2021)Bild: AFP via Getty Images

Die vielen Todesfälle, Schiffbrüche und Rettungsaktionen sind erschütternd: Immer wieder verunglücken Menschen, die die Kanarischen Inseln von der Nordwestküste Afrikas aus über den Atlantischen Ozean erreichen wollen. Diese Woche Dienstag startete wieder ein Suchflugzeug zum Einsatz im Gebiet zwischen Afrika und den Kanaren. Die Seenotretter halten Ausschau nach bis zu drei kleinen Booten mit möglicherweise 300 Senegalesen an Bord. Die Flüchtlinge sollen bereits am 23. und 27. Juni Hals über Kopf in Richtung der 1700 Kilometer entfernten spanischen Inselgruppe aufgebrochen sein. Seitdem werden sie vermisst, wie Nachrichtenagenturen melden. Schiffe in der Region sind alarmiert.

Anfang Juli starben mindestens 51 Menschen bei dem Versuch, vom Süden Marokkos aus auf die Kanaren überzusetzen. Ein Motorschaden hatte dazu geführt, dass ihr Schlauchboot mehr als eine Woche lang manövrierunfähig im Atlantik trieb. Rettungskräfte fanden nur vier Überlebende vor. Unter den Toten waren drei Kinder. Einen weiteren Todesfall gab es, als ein Boot voller junger Männer vor der Küste der größten Kanareninsel Teneriffa kenterte. 65 Menschen konnten gerettet werden.

Ein anderes Boot, das in Dakhla aufbrach, einer Stadt in der von Marokko kontrollierten Westsahara, kenterte Ende Juni auf dem Atlantik. Von den geschätzt 60 Menschen an Bord konnte Marokkos Marine nur 24 retten.

Spanien: Ein Salvamento-Maritimo-Schiff  im Hafen von Arguineguin bei der Rückkehr von einem Rettungseinsatz (10.07.2023)
Salvamento-Maritimo-Schiff im Hafen von Arguineguin nach einem Rettungseinsatz (am Montag)Bild: DESIREE MARTIN/AFP/Getty Images

Die Kanarischen Inseln liegen Luftlinie nur etwa 100 Kilometer von der Nordwestküste Afrikas entfernt und sind zur Hauptroute für Migranten und Flüchtlinge geworden, die versuchen, Spanien auf dem Seeweg zu erreichen. Mehr als die Hälfte der irregulären Migranten, die im Jahr 2022 nach Spanien gelangten, kamen über die Kanaren-Route.

Migrantenrechtsorganisationen und Einwohner der Kanaren werfen sowohl den spanischen als auch den marokkanischen Behörden vor, die Rettungsaktionen nicht ausreichend zu koordinieren. Dies führe zu vielen zusätzlichen Todesfällen auf der Migrationsroute, die ohnehin zu den gefährlichsten der Welt zählt.

Viel Kritik an unkoordinierten Rettungsmaßnahmen im Atlantik

So war das Boot aus Dakhla von einem Aufklärungsflugzeug in den Gewässern vor der Westsahara nach einem Notruf lokalisiert worden, wie der spanische Seenotrettungsdienst Salvamento Maritimo mitteilte. Die marokkanischen Behörden, deren Such- und Rettungsbereich sich in diesem Gebiet mit dem Spaniens überlappt, erklärten, sie würden die Verantwortung für die Rettungsaktion übernehmen.

Ihr Patrouillenboot brauchte jedoch zwölf Stunden, um bei den in Seenot geratenen Migranten anzukommen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche Menschen ertrunken. "Die Menschen in diesem Schlauchboot hofften seit mehr als zwölf Stunden auf Rettung in spanischen Gewässern", so Helena Maleno Garzon, Gründerin der spanischen Migrationsüberwachungsorganisation "Caminando Fronteras", in einem Social-Media-Post.

Spanien: Gerettete Schiffsbrüchige im Hafen von Las Palmas (14.02.2023)
Gerettete Schiffsbrüchige in Las Palmas (im Februar)Bild: Europa Press/abaca/picture alliance

"Man kann sagen, Du rettest, oder ich rette selbst - aber man kann nicht einfach stehenbleiben und warten", kritisiert auch der kanarische Journalist und Migrantenaktivist Txema Santana im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Man lässt kein Boot mitten auf dem Ozean zurück, in dem sich schreiende Menschen, darunter Frauen und Kinder, befinden. Das geht nicht!"

"Spanien sollte die Seenotrettung in die Hand nehmen"

Anfang 2022 vollzog Spanien eine politische Kehrtwende und erkannte Marokko als Verwaltungsmacht des umstrittenen Gebiets der Westsahara an. Das führte zwar zu einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den Regierungen in Rabat und Madrid .

Doch seitdem, so berichtet Txema Santana, überlässt Spanien die Reaktion auf SOS-Signale vermehrt der marokkanischen Seite. Und das sei falsch, meint der Aktivist. Um weitere Tragödien auf See zu verhindern, müsse die spanische Regierung die Verantwortung für Rettungsaktionen übernehmen.

"Die Seenotrettung von Salvamento Maritimo ist einer der fortschrittlichsten und kompetentesten Rettungsdienste in Europa", so Santana. "Sie rettet jedes Jahr Tausende von Menschen mit professionellen Rettungsschiffen." Während die spanische Seenotrettung die Migranten in sichere Häfen bringe, schicke Marokko Kriegsschiffe. "Und die schicken die Menschen zurück in ein Land, aus dem sie fliehen."

Die Menschenrechtsgruppe "Alarm Phone" äußert ebenfalls Bedenken, dass Marokko seinen Such- und Rettungsbereich bis vor die Küste der Westsahara ausdehnt. "Dies ist sehr besorgniserregend, denn die marokkanischen Behörden haben sich wiederholt unwillig gezeigt, eine sichere und schnelle Rettung durchzuführen - oft auf Kosten von Menschenleben", heißt es in einem Bericht der Organisation vom September 2022.

Warum wählen so viele Migranten die Kanaren-Route?

Die "Beliebtheit" der Fluchtroute in Richtung der Kanarischen Inseln steigerte sich während der Corona-Pandemie beträchtlich. Die Überfahrten beginnen größtenteils in Marokko, der Westsahara, Mauretanien und Senegal sowie - seltener - in Gambia und Guinea.

Da Marokko entlang seiner Küste aber mittlerweile verstärkt militärische Kontrollen durchführt, sank die Zahl der Ankommenden auf den Kanaren im laufenden Jahr deutlich. Bis zum 25. Juni kamen 5914 Migranten auf dem spanischen Archipel an - verglichen mit 15.682 im gesamten Jahr 2022.

In den vergangenen Wochen gab es allerdings einen deutlichen Anstieg - mit durchschnittlich 100 Neuankömmlingen pro Tag zwischen dem 15. und 25. Juni. "Im Vergleich zu Juni 2022 haben sich die Ankünfte im Juni 2023 auf allen Inseln erheblich erhöht, insbesondere gegen Ende des Monats", berichtet José Antonio Rodriguez Verona vom Roten Kreuz der spanischen Zeitung "El Mundo".

Was macht die nordwestafrikanische Route so gefährlich?

"Aufgrund verstärkter Kontrollen in Nordmarokko, Libyen und Tunesien wählen Migranten aus den Ländern Nordwestafrikas vermehrt die Route über die Kanarischen Inseln", berichtet Mehdi Lahlou, Migrationsexperte und Professor am Nationalen Institut für Statistik und angewandte Wirtschaft in Marokko. Allerdings erwarte die Menschen auf dem Atlantik eine weitaus gefährlichere Seereise als auf dem Mittelmeer.

Nach Angaben der spanischen Hilfsorganisation "Caminando Fronteras" starben oder verschwanden zwischen 2020 und 2022 mehr als 7500 Menschen auf dem Seeweg zu den Kanarischen Inseln. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) registrierte weniger Todesfälle, gibt jedoch zu, dass dies "nur eine vorsichtige Schätzung der Opferzahlen" ist. Selbst wenn man von niedrigeren Zahlen ausgehe, so die IOM, zähle die Kanaren-Route zu den tödlichsten Migrationsreisen weltweit.

Die Länge der Überfahrt, die zumeist fehlende Seetüchtigkeit der Boote und die Wucht und Tücke des Atlantiks machten die Route gefährlich. Die Fahrten könnten je nach Länge zwischen einem und zehn Tagen dauern, und es sei "üblich, dass Migranten nach nur wenigen Tagen mit erheblichen Problemen wie Nahrungsmittel-, Wasser- und Treibstoffmangel konfrontiert seien", wie es in einem Bericht der Europäischen Union über die westafrikanische Route heißt.

Viele Migranten stechen in sogenannten Cayucos in See, Fischerbooten aus Holz, die in Westafrika üblich sind. Sie bieten mehr als hundert Personen Platz. Aber auch kleinere Holzboote, im Spanischen Pateras genannt, und sogar Schlauchboote werden zunehmend genutzt. Doch all diese Boote sind nicht für Fahrten auf dem offenen Atlantik mit seinen starken Strömungen, unberechenbaren Winden und Wellen geeignet.

"Der Ozean an diesem Abschnitt von Marokkos Küste ist sehr gefährlich", sagt Migrationsexperte Lahlou. Angesichts dieser Gefahren sei eine professionelle Seenotrettung zwischen Afrika und den Kanaren umso wichtiger, meint Aktivist Txema Santana. "Es ist nicht fair, dass Tausende von Menschen sterben und wir einfach wegsehen."

Adaptiert aus dem Englischen von Antonio Cascais