Mexikos gescheiterte Energiereform
19. April 2022Es war die erste bittere Niederlage im Kongress für Mexikos linksnationalistischen Präsidenten Andres Manuel López Obrador in vier Jahren Amtszeit. In einer Marathondebatte am Ostersonntag versuchte seine Sammelbewegung Morena mit patriotischen Appellen und Drohungen den geschlossenen Widerstand aller Oppositionsparteien gegen die revisionistische Energiereform noch zu brechen. Doch letztlich scheiterte sie klar an der Zwei-Drittel-Mehrheit, die für ein verfassungsänderndes Gesetz nötig gewesen wäre. Nur 275 Parlamentarier stimmten für das vom Präsidenten eingebrachte Energiegesetz, das die Liberalisierung des Stromsektors und seine ökologische Transformation aus dem Jahr 2013 in weiten Teilen rückgängig gemacht hätte. Nötig wären 334 Stimmen gewesen.
Politischer Verrat oder Sturheit?
López Obrador kritisierte das Abstimmungsergebnis am Montag in seiner morgendlichen Ansprache scharf. Er sprach von Vaterlandsverrat. "Statt die Interessen des Volkes und der Nation zu vertreten, haben die Konservativen ausländische Firmen verteidigt, die uns ausrauben", so der Präsident. Ihm ging es um die Rezentralisierung des Sektors unter Kontrolle des parastaatlichen Stromanbieters CFE. Präsentiert wurde dies als "Wiedererlangung staatlicher Souveränität". Gerne zog der Staatschef historische Parallelen zur Nationalisierung des Erdöls 1938 und nährte damit den Nationalstolz.
Experten zufolge hätte es durchaus Sinn gemacht, die Liberalisierung von 2013 zu überarbeiten. "Der Schutz der Konsumenten war schwach", kritisierte beispielsweise Edna Jaime von der Nicht-Regierungs-Organisation "Mexico Evalua". Doch der Präsident habe keinerlei Verhandlungsbereitschaft gezeigt und seine Parlamentarier angewiesen, keinen einzigen Buchstaben seiner Vorlage zu verändern, bedauerte sie.
Aufatmen bei Ökonomen
In Wirtschaftskreisen wurde das Abstimmungsergebnis dagegen erleichtert aufgenommen. "Kein einziger Wirtschafts- oder Energieexperte hat auch nur einen positiven Punkt in der Regierungsvorlage gefunden", twitterte etwa Gabriela Siller vom Finanzdienstleister BASE.
Laut Octavio Aguilar, Unternehmensberater und ehemaliger Verwaltungsdirektor des staatlichen Erdölkonzerns Pemex, hätte das Vorhaben Kosten in Milliardenhöhe verursacht und Investoren abgeschreckt, da sie die Rechtssicherheit in Frage stellte. "Wenn wir Pemex und CFE wieder dem Staatshaushalt eingegliedert hätten, wäre die Staatsverschuldung auf einen Schlag um über 100 Milliarden US-Dollar gestiegen", gab Aguilar gegenüber der DW zu bedenken.
Sowohl Pemex als auch CFE hatten aufgrund der Liberalisierung des Energiesektors in den vergangenen Jahren gegenüber privaten Anbietern Marktanteile verloren. Die beiden Konzerne schreiben rote Zahlen und gelten als schwarze Wahlkampfkassen der jeweils regierenden Partei. Über Subventionen der Benzin- und Strompreise wurde zudem um Wählerstimmen gebuhlt - zu Lasten anderer staatlicher Investitionen.
Rechtssicherheit und Klimaschutz gewahrt
Nicht nur die Staatsfinanzen hätten gelitten, sondern auch die Umwelt und die Konsumenten, meint Aguilar. "CFE hätte gesetzlich Priorität auf dem Strommarkt genossen gegenüber den billigeren und saubereren Energien der privaten Anbieter", erläutert er. Die Erfüllung der Pariser Klimaschutzziele wären nach Ansicht von Umweltschützern dadurch gefährdet gewesen.
Auch wäre der mexikanische Staat mit hunderten von Klagen vor privaten Schiedsgerichten konfrontiert gewesen, kommentierte Aguilar. Private Unternehmen haben seit 2013 rund 40 Milliarden US-Dollar in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert. Zehn Milliarden davon stammen vom Freihandelspartner USA. Die US-Regierung hat bereits angedroht, im Falle einer Revision vor Gericht zu ziehen; die Reform hatte die bilateralen Beziehungen drastisch verschlechtert.
Wiederauferstehung der Opposition
Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch dürfte die Abstimmung Folgen haben. Max Kaiser, Politologe und Gründer des Zentrums für Integrität und Ethik von Unternehmen CIEN (Centro para la Integridad y la Ètica de Negocios) sprach in einer Videobotschaft von der "Wiederauferstehung der Opposition", die sich bislang schwer tat gegen den populären Präsidenten.
Bei Morena wächst derweil die Sorge um die schwindende Strahlkraft der Sammelbewegung - zumal die Partei eine Reihe von Rückschlägen erlebt. "Nicht alles ist die Schuld von externen Gegnern, Verrätern der Altparteien, der oligarchischen Medien oder falscher Demokraten in der Wahlbehörde", schrieb der parteinahe Kolumnist John Ackerman in der linken Zeitung "La Jornada". "Auch wir von Morena tragen dafür Verantwortung", mahnte Ackerman. Im Juni 2021 hatte Morena bei den Zwischenwahlen ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress verloren. Vor einer Woche waren nur knapp 18 Prozent der Mexikaner dem Aufruf von Präsident Lopez Obrador gefolgt, ihn in einem Plebiszit im Amt zu bestätigen. Videos über den luxuriösen Lebenswandel seines Sohnes hatten seinem Image als asketischer Korruptionsbekämpfer geschadet.