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PolitikMexiko

Mexiko - die verheerende Bilanz von AMLO

26. Februar 2023

Mit dem Anspruch, alles besser machen zu wollen, trat Manuel Andrés López Obrador (AMLO) im Dezember 2018 sein Amt als mexikanischer Präsident an. Nun hat er sogar eine Meerjungfrau gegen sich.

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Der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador hinter einem Rednerpult
Die Kritik an Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador wächstBild: Henry Romero/REUTERS

Wenn schon die mexikanische Meerjungfrau gegen dich ist, dann muss es ziemlich schlecht laufen. Camila Jaber ist die Vorzeigeathletin Mexikos im Höhlen- und Tiefseetauchen, sie hält die landesweiten Rekorde mit stolzen 58 Metern ohne und 82 Meter mit Flossen. Knapp drei Minuten unter Wasser, ohne Sauerstoffgerät, nächstes Ziel ist die Weltmeisterschaft. Die 26-jährige taucht in eine völlig andere Welt ein, ihre Welt. "Unter Wasser zu sein, macht mich glücklich. Diese Ruhe, dieser unglaubliche Frieden, diese Stille."

Doch diese Welt ist nun gefährdet, ausgerechnet der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) stört diese Stille, und propagiert lautstark sein Prestige-Projekt: den "Tren Maya". Der "Maya-Zug" soll schon Ende 2023 über die Halbinsel Yucatán brausen, auf 1500 Kilometer Schienen von den Badeorten der Karibikküste zu versunkenen Maya-Stätten.

Die Höhlen- und Tiefseetaucherin Camila Jaber im Neoprenanzug halb im, halb über dem Wasser
Camila Jaber: "Gewinnen heißt für uns gegen das Projekt Widerstand leisten, kämpfen und opponieren" Bild: Daan Verhoeven

Jaber ist das prominenteste Gesicht der Gegner: "Dieses Projekt zerstört die Biodiversität und Ökosysteme mit einer Vegetation wie im Amazonasgebiet, alles auf Kosten der dort lebenden indigenen Völker, mit fatalen Konsequenzen auch für die ganze Welt."

Mexikanisches Tourismus-Projekt in der Kritik

Die Strecke des Zuges verläuft nur wenige Meter von ihrer Lieblingshöhle entfernt, dem türkisgrünen Paradies von Cenotes. Jaber wohnt seit acht Jahren nur einen Steinwurf entfernt, im Urlaubsort Playa del Carmen, bekannt für seine von Palmen gesäumten Strände und Korallenriffe.

Höhlentaucherin Camila Jaber steht senkrecht in einem Lichtstrahl im Wasser in der ansonsten dunklen Unterwasserhöhle Gran Cenote
Camila Jaber beim Höhlentauchen in Gran CenoteBild: Daan Verhoeven

Wenn die Taucherin allein schon den Begriff "Maya-Zug" hört, wird sie wütend. "Zum einen ist es vielmehr als ein Zug, denn dahinter steckt ein großes ökonomisches Monster, dass vielen Dörfern großen Schaden zufügt. Vor allem aber ist es nicht 'Maya‘, denn das Projekt verstößt gegen alles, was deren Kultur ausmacht, nämlich Kultur, Tradition und Lebensraum zu erhalten."

Jaber sieht die Maya künftig als billige und temporäre Arbeitskräfte in der Hotelbranche schuften, in den Hotels entlang der Strecke, wo die schwerreichen Touristen aus den USA und Europa sich beim abendlichen Mojito entspannen. Für die Sportlerin ist es zudem ein Angriff auf ihr Lieblingselement, das Wasser, welches durch Umweltverschmutzung und Pestizide sowieso schon kontaminiert sei.

Ein Mann und eine Frau, mit grünen Halstüchern vermummt, vor einem Transparent mit der spanischsprachigen Aufschrift: "El Tren no es Maya" - "Der Zug ist nicht Maya"
"Der Zug ist nicht Maya" - Proteste gegen das Großprojekt in Mexiko-StadtBild: NICOLAS ASFOURI/AFP

"Ich werde weiter protestieren, denn meine sportlichen Triumphe und Rekorde sind wertlos, wenn ich bei einem solchen Projekt nicht die Stimme erhebe. Meine Bekanntheit schützt mich, aber viele Gegner des 'Maya-Zuges' werden eingeschüchtert, angegriffen und mit dem Tod bedroht."

Mexiko: 150 Morde an Medienschaffenden in 20 Jahren 

Mexiko eilt nicht umsonst der traurige Ruf voraus, das gefährlichste Land Lateinamerikas für Umweltaktivisten und Journalisten zu sein. Jüngstes Opfer war vor zwei Wochen Abisai Pérez Romero, der neben seinem Fahrrad auf einer Schotterstraße in der Nähe der Stadt Tula leblos aufgefunden wurde. Der 29-Jährige hatte zu Umweltverbrechen recherchiert, die Behörden wollten seinen Tod als Unfall zu den Akten legen.

"Journalist in Mexiko zu sein, bedeutet, gleichzeitig Angst und Courage zu haben, und ständig auf der Flucht zu sein, wenn dir nichts anderes übrigbleibt, um dich und deine Familie zu schützen. Vor allem aber Straflosigkeit und Nichtstun seitens der Behörden, deren Pflicht es ja eigentlich sein müsste, dich zu schützen", sagt Balbina Flores.

Mitarbeiter des Forensikteams am Tatort auf einer Straße, der gerade mit einem gelben Band abgesperrt wird - nach dem Mord an dem Journalisten Fredid Roman
Forensische Untersuchungen nach dem Tod des Journalisten Fredid Roman in Chilpancingo im August 2022Bild: Lenin Ocampo/REUTERS

Die Journalistin ist seit fast 20 Jahren Repräsentantin der Organisation Reporter ohne Grenzen in Mexiko. In diesen zwei Jahrzehnten sind mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten ermordet worden, die Aufklärungsrate tendiert gegen Null. López Obrador hatte vollmundig versprochen, dies zu ändern. Stattdessen keilt die Regierung nun nicht mehr nur jeden Mittwoch, sondern täglich im Format "Wer ist wer bei den Lügen" gegen vermeintlich unprofessionelle Kritiker aus, prangert angebliche "Fake News" an und schürt die Stimmung gegen die Presse. Für AMLO ist sie schlichtweg "einseitig, ungerecht und eine Verschwendung von Journalismus".

Journalisten fordern Mäßigung von AMLO 

"Ich polarisiere nicht, ich politisiere!", ist der Leitspruch des Präsidenten und das war auch seine Antwort, als im Dezember eine Gruppe von 180 Schriftstellern und Journalisten forderte, die öffentlichen Wutattacken gegen die Presse einzustellen. "Praktisch alle Ausstrahlungen des Hasses gegen Journalisten werden im Nationalpalast ausgebrütet, geboren und verbreitet", prangerten die Medienschaffenden in ihrem Appell an.

Balbina Flores, Vertreterin von Reporter ohne Grenzen (ROG) in Mexiko, schaut in die Kamera
Balbina Flores: "López Obrador ist nachtragend, wenig kritikfähig und nicht bereit, sich helfen zu lassen"Bild: DW/E. Usi

Die Angriffe des Präsidenten könnten als Aufruf verstanden werden, unliebsame Kritiker aus dem Weg zu räumen, fürchten die Unterzeichner. Flores sagt über das Verhältnis von AMLO zur Presse: "Die Wahrheit kennt nur der Präsident, wir Journalisten und Journalistinnen sind für ihn Lügner und Fälscher von Informationen, López Obrador ist nachtragend, wenig kritikfähig und nicht bereit, sich helfen zu lassen. Und er sagt immer, was er denkt, und stürzt sich damit häufig in Probleme."

"Der Präsident hat keine klare Sicherheitsstrategie" 

Beim Motto seiner Wahlkampagne vor knapp fünf Jahren, "Abrazos, no balazos" - also: "Umarmungen statt Kugeln" -  hatte AMLO auch gesagt, was er dachte - und immerhin damit die Mehrheit der Mexikanerinnen und Mexikaner hinter sich geschart, welche Umarmungen Kugeln vorzogen, um die grassierende Gewalt im Land einzudämmen. Heute sind sich viele Experten einig, dass die Strategie, jedenfalls so, wie sie AMLO durchzog, hinten und vorne nicht funktioniert.

Mexiko: Mafia und Bauern liefern sich Limetten-Krimi

"Der Präsident hat keine klare Sicherheitsstrategie", sagt Tyler Mattiace von Human Rights Watch, "er hat die Bundespolizei aufgelöst, während das Militär nicht weiß, was es eigentlich tun soll. Und dann ist da noch die Justiz, die der Präsident für korrupt hält und der er nicht vertraut. Deswegen ist seine klare Strategie, alles möglichst an der Justiz vorbei zu machen."

Gefährlichste Orte der Welt liegen fast alle in Mexiko

85 Morde gab es in Mexiko 2022 jeden einzelnen Tag, was die Regierung sogar noch als Erfolg zu verkaufen versucht: Im Jahr zuvor seien es noch 91 täglich gewesen. López Obrador steuert in seiner Amtszeit bis zum Ende im September 2024 auf die unfassbare Zahl von 200.000 Morden zu. Und als ob das nicht genug wäre, wurde dieser Tage das 140.000-Einwohner-Städtchen Colima in einer Studie zur gewalttätigsten Stadt der Welt gekürt. Unter den zehn gefährlichsten Städten weltweit sind allein neun aus Mexiko.

Tyler Mattiace von Human Rights Watch, steht im T-Shirt und mit Mundnasen-Maske an einem Straßengitter, hinter der eine Menschenschlagen steht, und unterhält sich mit einem Mann, der ebenfalls einen Mundnase-Schutz trägt
Tyler Mattiace: "Es fehlt der politische Wille, kriminelle Netzwerke in Mexiko offenzulegen" - Tyler MattiaceBild: privat

"Hinzu kommt, dass in Mexiko tausende Menschen jährlich einfach so verschwinden. 110.000 Menschen werden derzeit als vermisst gemeldet. Systematische Folter wird weiterhin als Standardprogramm von den Sicherheitskräften angewandt. Und die meisten Straftaten bleiben ohne Konsequenzen: 98 Prozent aller Verbrechen werden niemals von den Behörden aufgeklärt", sagt Mattiace.

Ein Präsident, der den mexikanischen Alltag leugnet

Und der Präsident? Wolle die Realität nicht sehen, so der Human Rights Watch-Experte. Er leugne den mexikanischen Alltag, die Folter und die Gewalt gegen Migranten. Stattdessen erkläre AMLO, Morde an Journalisten würden aufgebauscht und Probleme übertrieben, mit dem einzigen Ziel, ihn schlecht aussehen zu lassen.

Kein Wunder, dass Tyler Mattiace wenig zuversichtlich ist, was Mexikos nähere Zukunft angeht: "Kriminelle in Mexiko wissen, dass ihre Art, Probleme anzugehen, keinerlei Konsequenzen hat. Und weil kriminelle Gruppen bereits einen großen Teil des Landes kontrollieren, werden Konflikte hier weiter mit Gewalt gelöst. Heute haben wie zehn bis 20 kriminelle Gruppen, die sich eine Stadt als De-Facto-Regierung aufteilen, die früher von einer oder zwei dieser Gruppen kontrolliert wurden. Und die Regierung tut wenig, weil Regierende häufig Teil dieser kriminellen Netzwerke sind."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur