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Deutsch, aber nicht deutsch genug?

4. August 2018

Michel Abdollahi, Y'akoto und Idil Baydar: Sie alle haben Erfahrung mit Rassismus. Kann die #MeTwo-Debatte etwas ändern? Die drei Künstler mit ihrer ganz persönlichen Sicht auf die Frage nach der Identität.

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Mesut Özil, im Vordergrund eine Deutschlandflagge.
Brachte die Debatte ins Rollen: Mesut ÖzilBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Der Journalist und Performancekünstler Michel Abdollahi antwortet auf die Frage nach seiner Herkunft inzwischen mit "Iran", um es den Fragenden leichter zu machen. 

Die Kabarettistin Idil Baydar wird immer wieder migrantisiert. Sie sei nie migriert. Ihr Weg nach Deutschland war ein kurzer, wie sie es in ihrem Bühnenprogramm auf den Punkt bringt: "Von der Gebärmutter nach draußen."

Und die Sängerin Y'akoto glaubt, dass Begriffe wie Heimat und Identität in einer digitalen und globalisierten Welt, wie wir sie heute vorfinden, überholt sind und fordert ein Umdenken der Gesellschaft.

Wie sie die #MeTwo Debatte erleben und was sie mit den Begriffen Heimat, Identität und Deutschland verbinden, haben die drei uns erzählt.

 

Michel Abdollahi"Unsere Politik hat überhaupt nicht dafür gesorgt, dass es weniger Rassismus bei uns in Deutschland gibt"

Michel Abdollahi auf Kinosesseln, die Beine über den Stuhlkanten.
Bild: Asja Caspari

Michel Abdollahi ist Poetry-Slam-Pate, Fernsehmoderator, Journalist und Performancekünstler. Er wurde 1981 in Teheran geboren und kam mit fünf Jahren nach Deutschland. Seit 2000 ist er in der deutschsprachigen und europäischen Poetry-Slam-Szene aktiv. Er ist Mitbegründer des Labels "Kampf der Künste", das europaweit als größter Anbieter für Poetry Slam und Bühnenliteratur gilt. 2015 wurde er mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, 2017 mit dem Gustaf Gründgens Preis. Er sieht sich als Deutsch-Iraner und überzeugter Hamburger.

"Heimat ist für mich eigentlich immer dort, wo mein Bett steht und das steht halt nun mal in Hamburg. Ich habe aber auch noch ein Bett im Iran, da schlafe ich dann auch, wenn ich dort bin. Aber Deutschland ist für mich zu Hause. Dort fühle ich mich am Wohlsten.

Iran ist für mich der Ort, aus dem ich hergekommen bin. Iran ist ein Teil meiner Kultur, er ist ein Teil meines Herzens. Es ist auch ein Ort, an dem ich mich gut auskenne, wo ich mich auch sehr wohl fühle, aber ich bin ja nicht mehr da. Ich bringe mich dort nicht in die Gesellschaft ein, aber es ist eben auch ein Teil meiner Identität. Identität kann wechseln, kann sich anpassen, ist formbar und vielfältig. Es gibt nicht DIE Identität."

"Es tut weh, wenn Leute sagen, mach deine Arbeit in deinem eigenen Land"

"Es gibt Rassismus in Deutschland, das wissen wir alle. Alle, die 'Migranten' sind, wissen, dass es eine Form von unterschwelligem Alltagsrassismus und von schwerem fiesen Rassismus gibt. Ich erlebe Rassismus jeden Tag. Da reicht ein Blick auf mein Facebook- und Twitterprofil. Und jetzt redet man endlich mal darüber. Die Leute berichten über ihre Erfahrungen und dann muss man sich aber so Sachen anhören wie: 'Das habt ihr euch doch alle ausgedacht.' Das finde ich hart.

Unsere Politik hat überhaupt nicht dafür gesorgt, dass es weniger Rassismus bei uns in Deutschland gibt. Die CSU, als eine der Regierungsparteien, sorgt jeden Tag mehr dafür, dass Leute enthemmt ihren Rassismus rausschreien können.

Momentan sehe ich es nicht, dass ich von allen Leuten in Deutschland irgendwann als Deutscher akzeptiert werde. Aber das tut mir nicht weh. Weh tut es, wenn sie sagen, mach deine Arbeit in deinem eigenen Land. Das kann ich nicht akzeptieren.

Von der #MeTwo-Debatte erhoffe ich mir nichts. Rassismus geht nicht weg. Trotzdem wäre eine Sensibilisierung dadurch wünschenswert: Dass der Lehrer sich jetzt ertappt fühlt und denkt: 'Verdammt, ich war der Lehrer, der schallend gelacht hat, als damals Cem Özdemir den Wunsch äußerte, aufs Gymnasium zu gehen.'

Wir müssen nicht über die Leute reden, die wissen, dass sie Rassisten sind. Aber die, die ihre Kommentare nicht bewusst gemacht haben, sollten jetzt vielleicht merken, wie verletzend und prägend diese sind."

 

Idil Baydar alias Jilet Ayse"Ich bin hier geboren. Ich bin nicht migriert, werde aber immer migrantisiert."

Idyl Baydar hält den Duden in der Hand.
Bild: Cengiz Karahan

Idil Baydar wurde 1975 in Celle geboren. Sie ist Schauspielerin, Comedian und Kabarettistin. Ihre Schulzeit verbrachte sie auf einem Waldorf-Internat. Ihre Eltern sind türkische Einwanderer. Bekannt geworden ist Idil Baydar über YouTube mit ihrer Kunstfigur Jilet Ayse, eine 18-jährige Türkin aus Berlin-Kreuzberg. Dazu inspiriert hatte sie ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin an einer Berliner Schule, bei der sie beobachtete, wie Schüler mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen behandelt und eingestuft werden. Als Jilet Ayse konfrontiert Idil Baydar ihr Publikum mit deren Vorurteilen von Migranten.

"Was ich merke ist, dass auf politischer Ebene gar kein Wille da ist, gegen Alltagsrassismus vorzugehen. Man möchte so ein paar repräsentable Rassismus-Projekte machen, aber wirklich was zu verändern, rassistisches Verhalten zu definieren und unter Strafe zu stellen, daran hat keiner Interesse.

Wenn ich hier zur Polizei gehe und sage, ich wurde diskriminiert und rassistisch beschimpft, dann wird das gar nicht aufgenommen. 

Deutschland ist für mich der Ort, an dem ich lebe und auch noch leben kann. Wie lange, weiß man ja nicht. Das kommt darauf an, in welche Richtung das hier geht. Ich denke schon darüber nach, was ich noch für Alternativen hätte für den Fall, dass das hier mit der AfD und mit dem Rechtssein wieder Status Quo wird.

"Ich möchte nicht in der Situation sein, dass ein anderer mir sagen kann, wie deutsch ich bin"

Mittlerweile klinke ich mich aus, aus dieser ganzen Zugehörigkeitsdebatte. Ich fühle mich wie Idil, wie ein Mensch. Und ich habe da andere Ansprüche an mich, als ein Gefühl zu einer Nationalität. Das habe ich als Kind nicht so empfunden, dass ich deutsch sein muss, denn ich war es ja de facto. Die Unterscheidung und Zuschreibung kam mit dem Erwachsenwerden. Ich bin eigentlich jemand, der migrantisiert wurde. Ich wurde aus dieser Gesellschaft rausbefördert. Ich bin hier geboren. Ich bin eine Waldorfschülerin und im Waldorf-Internat gewesen - fünf, sechs Jahre. Mehr Sozialisation in Richtung Deutsch geht gar nicht. Ich mach da nicht mehr mit. Ich lass mich mittlerweile auch nicht mehr als Deutsche bezeichnen. Ich bin eine passdeutsche Ausländerin! Ich möchte nicht in der Situation sein, dass ein anderer mir sagen kann, wie deutsch ich bin. Wenn die Deutungshoheit über meine Identität jemand anders hat, hat das mit emanzipierten Bürgern nichts zu tun. Nichts! Man muss mir schon die Deutungshoheit lassen."

 

Y'akoto"Deutsch oder nicht-deutsch? Das Konzept ist überholt"

Y'Akoto kniet auf einem Sessel.
Bild: Kamè Entertainment

Y'akoto, mit bürgerlichem Namen Jennifer Yaa Akoto Kieck, wurde 1988 in Hamburg geboren. Der Vater der Soulsängerin und Songwriterin stammt aus Ghana, ihre Mutter aus Deutschland. Bis zu ihrem elften Lebensjahr wuchs sie in Ghana auf. Danach zog die Familie wieder zurück nach Hamburg. Sie hat drei Alben herausgebracht. In ihren Songs prangert sie u.a. gesellschaftliche Missstände an, kontert Rassismus und singt über die Flüchtlingsthematik. Sie lebt in Hamburg und Paris.

"Was ist das denn 'der Deutsche' oder 'die Nicht-Deutsche'? Ich finde das überholt und altmodisch in einer globalisierten Welt. Ich glaube an Cross- und Trans-Identities. In Deutschland wird man aber schon fast dazu genötigt, sich zu einem Land, zu einer Kultur oder zu einem Pass zu bekennen und das finde ich total lästig, weil es die Entwicklung der Gesellschaft aufhält. Es ist auch sehr beleidigend gegenüber den Menschen, die sich wohl in zwei Identitäten fühlen und diese auch ausleben. 

"Ich quäle mich doch nicht, um irgendwo dazuzugehören"

Als ich mit zwölf Jahren in Deutschland in die Schule gekommen bin und die deutschen Kinder mich geärgert haben, da habe ich doch nicht versucht, mich auch noch mit denen anzufreunden. Ich habe mir Meinesgleichen gesucht und probiert, etwas Gutes daraus zu machen. So habe ich dann auch mit 15 meine erste Band gegründet. Ich quäle mich doch nicht, um irgendwo dazuzugehören. Aber ich glaube, das ist der Fehler, den viele Bi-Kulturelle machen: Sich bis zur Krankheit zu verausgaben, um zu diesem deutschen System zu passen.

Nun ist es gut, dass über die Sozialen Medien mit dem Hashtag #MeTwo etwas losgetreten wurde, dass ein Austausch stattfindet. Aber viel wichtiger ist der nächste Schritt: Dass wir dagegen systematisch und auch wissenschaftlich vorgehen. Dass über Alltagsrassismus in den Schulen berichtet und gelehrt wird. Dass wir schon im Kindergarten interkulturelles Training bekommen. Denn es ist nun mal die Realität, dass sich die Welt immer mehr vermischt - das ist unaufhaltbar.