Merkels Kampf um den Euro-Krisenmechanismus
29. Oktober 2010Angela Merkel hat hoch gepokert in den vergangenen Tagen – und ziemlich viel gewonnen. Tagelang stand sie EU-weit ziemlich isoliert da, mit ihrer Forderung, die europäischen Verträge umzuschreiben, um den EU-Stabilitätspakt krisenfest zu machen. Auf einem Zweiergipfel mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte sie Vorschläge für einen stabileren Stabilitätspakt präsentiert und sich den Ärger einiger EU-Kollegen eingehandelt.
Vor allem ihr Vorschlag, hartnäckigen Defizitsündern das Stimmrecht zu entziehen, kam - insbesondere bei kleinen EU-Ländern - überhaupt nicht gut an. Und der deutsch-französische Vorschlag, den erst kürzlich mit Ach und Krach ratifizierten EU-Vertrag wieder aufzuschnüren und zu verändern, wurde wahlweise als völlig unrealistisch oder wahnsinnig bezeichnet.
Als die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag (28.10.2010) zum Herbstgipfel in Brüssel eintrafen, war von diesem Ärger allerdings nicht mehr viel übrig – die schlechte Stimmung war verflogen, offenbar hatte Merkel vor dem Treffen telefonisch die Wogen geglättet.
Krisenmechanismus mit Verfassungsrang
Und in den Verhandlungen bis in die Nacht konnte die Kanzlerin die EU-Partner offenbar von einer Änderung des Lissabon-Vertrages überzeugen. Wenn es bei den getroffenen Absprachen bleibt, soll künftig ein dauerhafter Schulden-Krisenmechanismus im EU-Vertrag verankert werden.
Dieses Sicherheitsnetz für finanzschwache Eurostaaten soll von 2013 an gespannt werden. Dann läuft der 750 Milliarden Euro schwere Rettungsschirm aus, der im Zuge der griechischen Schuldenkrise eingerichtet worden war, um die Spekulation des Devisenmarktes gegen den Euro abzuwehren. Mit der Vertragsänderung kann sichergestellt werden, dass der neue Krisenmechanismus verfassungsrechtlich wasserdicht ist.
Banken sollen mitbezahlen
Einzelheiten sollen bis zum Dezember ausgearbeitet werden. Fest steht aber schon: Wenn in Zukunft ein Euro-Land finanziell zu kollabieren droht, sollen auch private Gläubiger bei der Rettung miteinbezogen werden. Banken, die – wie während der Griechenlandkrise – von astronomischen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen profitiert haben, sollen dann gezwungen werden können, auf Zinsen zu verzichten.
Merkel konnte sich damit in wesentlichen Punkten durchsetzen. Das Verbot der gegenseitigen Schuldenübernahme im Lissabon-Vertrag werde nicht abgeschafft, betonte die Kanzlerin am frühen Freitagmorgen. Aber wenn die gesamte Einheitswährung in Gefahr gerate, solle es den Mitgliedsstaaten künftig erlaubt werden einzuspringen. Das heißt im Klartext: Die EU hilft nur dann einzelnen Staaten, wenn die gesamte Eurozone in Gefahr ist. Und diese Hilfe für potentielle Pleitestaaten werde an scharfe Bedingungen geknüpft, erklärte Merkel weiter.
"Nur begrenzte Änderungen"
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy soll die Pläne bis zum Dezember konkretisieren. Er werde "sehr begrenzte Vertragsänderungen" vorschlagen, erklärte er. Dies solle ein vereinfachtes Änderungsverfahren ermöglichen, damit keine Referenden notwendig würden. "Wir sprechen nicht darüber, den ganzen Vertrag aufzumachen", sagte er.
Mit ihrer besonders umstrittenen Forderung nach einem Entzug der Stimmrechte für besonders hartnäckige Schuldensünder konnte sich Merkel allerdings nicht in der gewünschten Form durchsetzen. Dies solle "geprüft" werden, hieß es. Unter zahlreichen Mitgliedsstaaten sowie in der Kommission gibt es dagegen massiven Widerstand.
Ein Erfolg ist es für die Kanzlerin dennoch – schließlich munkelt so mancher EU-Experte, dass die Forderung nach Stimmrechts-Entzug ohnehin nur eine taktische Finte war – um die anderen Punkte durchzusetzen.
Autor: Manfred Götzke (dpa, rtr, afp)
Redaktion: Stephan Stickelmann