Merkel: EU-Perspektive für Westbalkan
9. Juli 2015Angela Merkel wurde zwar wegen der Griechenland-Krise häufig kritisiert, doch in Albanien, Serbien und Bosnien-Herzegowina konnte sie sich über einen warmen Empfang freuen. Plakate mit "Herzlich willkommen, Frau Bundeskanzlerin Merkel!" waren auf vielen Straßen zu sehen.
Bundeskanzlerin Merkel widersprach dem Eindruck, die Europäische Union sei wegen eigener Probleme nicht mehr offen für die Aufnahme weiterer Staaten. "Es wird nichts künstlich verzögert. Überall wird anerkannt, dass Albanien große Fortschritte gemacht hat", betonte sie in Tirana. Merkel konnte jedoch nicht festlegen, wann die ersten Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit Albanien eröffnet werden. Obwohl klar ist, dass es keine schnelle Mitgliedschaft in der EU geben wird, ist die große Mehrheit der Albaner für eine Annäherung an die EU. "Wir auf dem Balkan mögen etwas altmodisch erscheinen, weil wir der EU in einer Zeit beitreten wollen, in der andere hinaus wollen. Aber wir wollen in dieser Hinsicht lieber altmodisch sein", so der albanische Premierminister Rama, der eine klare Beitrittsperspektive für sein Land forderte. "Ohne diese Anziehungskraft werden es die Völker auf dem Balkan nicht schaffen, die alten Alpträume beiseite zu räumen", sagte Rama mit Blick auf die früheren Bürgerkriege und ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien.
Lob für Tirana und Belgrad
Nach dem in den Medien als "historisch" bezeichneten Besuch Merkels in Albanien bemerkte der Politologe Armand Shkullaku: "Am Ende konnte keiner der politischen Akteure in Albanien richtig zufrieden sein." Denn die Regierung und Premierminister Edi Rama hätten sich mehr Lob erhofft, und die Opposition hätte mehr Kritik an den "schleppenden Reformen" erwartet.
Merkel versprach sowohl der albanischen als auch der serbischen Regierung, sich bei der EU-Kommission für eine Öffnung von Verhandlungskapiteln in den EU-Beitrittsverhandlungen einzusetzen. Die EU-Beitrittsperspektive der Balkan-Länder sei für Frieden und Stabilität in der Region sehr wichtig, betonte sie nach dem Gespräch mit dem serbischen Ministerpräsidenten Aleksander Vucic in Belgrad. Serbien und Albanien hoffen, bis zum Herbst alle Anforderungen der EU erfüllen zu können und mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen.
Kanzlerin Merkel lobte die Regierungen in Tirana und Belgrad, weil beide sich mittlerweile stark für engere Kontakte zwischen den Balkan-Ländern einsetzten. Die serbische Regierung arbeitet an einer Aussöhnung mit dem Kosovo. Bei Gesprächen in Brüssel unter der Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini geht es derzeit um den Status der serbischen Minderheit in Kosovo, sowie die Themen Energie, Bewegungsfreiheit und Telekommunikation. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, das 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Annährung zwischen Belgrad und der EU.
Merkel besucht Hinterbliebene von Srebrenica-Opfern
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte auch der bosnischen Regierung die Unterstützung Deutschlands und der EU auf dem Weg nach Europa zu. Sarajewo will spätestens Anfang 2017 den Antrag auf einen EU-Beitritt stellen. "Ich sehe uns nicht isoliert in der Region", sagte der Vorsitzende des Präsidentenrates in Sarajewo, Mladen Ivanic, nach dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin.
In Bosnien-Herzegowina, wo die Kluft zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten auch zwei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg immer noch tief ist, traf Merkel am Donnerstag Hinterbliebene von Opfern des Massakers von Srebrenica. Dort wurden 1995 rund 8000 Bosniaken (bosnische Muslime) von bosnisch-serbischen Truppen ermordet. Ursprünglich war nur ein sehr kurzes Gespräch geplant, doch sie nahm sich mehr Zeit als zunächst vorgesehen war.
Wegen der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage im Heimatland wollen etwa die Hälfte der jungen Menschen in Bosnien-Herzegowina laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung auswandern - die meisten in Richtung Deutschland, Großbritannien, Schweiz und USA. In Albanien gibt es sogar 67 Prozent Auswanderungswillige. Besonders viele Albaner und Kosovaren stellen in Deutschland Asylanträge, doch Merkel betonte auf ihrer Balkan-Reise: "Albanien ist kein Land, aus dem Asylanträge anerkannt werden". Albanien und das Kosovo wurden - im Unterschied zu Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien - noch nicht als "sichere Herkunftsländer" eingestuft. Dennoch erhält nur weniger als ein Prozent der Asylbewerber aus diesen Ländern Asyl.
Serbien ist inzwischen zum Transitland für Flüchtlinge geworden. Nach Angaben des serbischen Innenministeriums haben seit Jahresbeginn mehr als 34.000 Menschen dort Asylanträge gestellt. Auch in diesem Bereich signalisierte die Kanzlerin, dass man die Balkan-Länder nicht allein lassen werde.