Merkel und der Wulff
4. Januar 2012Es gibt ein Thema, das über die Weihnachtsfeiertage etwas in den Hintergrund geraten ist durch die Affäre um Bundespräsident Wulff. Ein Thema, das in gewisser Weise Christian Wulff erst in sein Amt gebracht hat. Es geht um den Anti-Piraten-Einsatz vor der Küste Somalias. Die Europäische Union überlegt, Piraten bereits an den Stränden anzugreifen, bevor sie in See stechen. Sobald daraus konkrete Pläne werden, wird sich die deutsche Politik dazu entscheiden müssen.
Wulffs Vorgänger Horst Köhler hatte im Mai 2010 in einem Interview gesagt, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Ein solcher Einsatz lief damals bereits auf See vor Somalia, Köhler sagte nichts wirklich Überraschendes. Weil er aber diesen Satz auf dem Rückflug von Afghanistan gesagt hatte, wurden Zusammenhänge hineingedeutet, als hätte Köhler einer Kanonenbootpolitik unseliger Kolonialzeiten das Wort geredet.
Merkel schwieg schon zu Vorwürfen gegen Köhler
Die Opposition und Teile der Medien steigerten sich in einen Sturm der Entrüstung, Bundeskanzlerin Merkel aber schwieg. Sie ließ lediglich eine Sprecherin erklären, dass es der Kanzlerin nicht zustehe, Äußerungen des Bundespräsidenten zu kommentieren. Was korrekt ist, denn der Bundespräsident steht in der Rangordnung der Verfassung über ihr. Als Horst Köhler kurz darauf zurücktrat, begründete er das damit, dass er beschuldigt werde, verfassungswidrige Militäreinsätze zu befürworten. Um das Amt des Bundespräsidenten vor solcher Kritik zu schützen, trete er ab.
Viele Beobachter vermuteten damals, der wahre Rücktrittsgrund sei die mangelnde Rückendeckung durch die Bundesregierung gewesen. Im Kanzleramt dagegen rümpfte man die Nase über die Empfindlichkeit des früheren hohen Beamten und Chefs des Internationalen Währungsfonds Köhler. Der nächste Bundespräsident, das stand für Angela Merkel fest, sollte ein gestandener Polit-Profi sein, der nicht beim ersten Windhauch umfällt. Einen solchen sah sie in Christian Wulff. Zudem war dieser in allen drei Regierungsparteien respektiert und bot damit – im Gegensatz zu anderen diskutierten Kandidaten – die Gewähr, auch gewählt zu werden.
So oder so eine Belastung für Merkel
Was Christian Wulff jetzt spürt, ist nicht nur ein Windhauch, sondern ein Sturm. Und er steht noch. Die Frage ist, ob auch das noch im Interesse der Kanzlerin ist. Denn dass das maßgeblich von ihr ins Amt gebrachte Staatsoberhaupt womöglich noch auf Wochen und Monate hinaus Ziel beißender Kritik ist, kann auch sie nicht kalt lassen. Es kann, wenn sich die Affäre lange genug hinzieht, die Chancen ihrer Christdemokraten bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai beeinträchtigen.
Aber auch ein Rücktritt von Wulff würde Angela Merkel Probleme bereiten. Sie müsste wiederum einen Kandidaten oder eine Kandidatin finden, der oder die in allen drei Regierungsparteien auf Zustimmung stößt. Selbst ein Christian Wulff, der selten irgendwo angeeckt war, hatte bei seiner Wahl am 30. Juni 2010 nicht alle Stimmen aus dem eigenen Lager bekommen. Jetzt aber wäre die Mehrheit der Koalition in der Bundesversammlung, in welcher Bundestag und Vertreter der 16 Landesparlamente gemeinsam das Staatsoberhaupt wählen, sehr viel knapper als damals.
Der zur Zeit häufig zu hörende Ratschlag, die Kanzlerin solle im Fall einer Neuwahl des Bundespräsidenten einen überparteilichen Konsenskandidaten mittragen, ist nicht wirklich hilfreich. Denn das würde unweigerlich als versteckte Absage an den liberalen Koalitionspartner gewertet, der sich in einer tiefen Krise befindet. Die Neuwahl eines Bundespräsidenten kann für Angela Merkel überhaupt nur dann hilfreich sein, wenn davon das Signal ausgeht, dass die Koalition steht.
Die Entscheidung liegt allein bei Wulff
In Anbetracht all dessen kann Angela Merkel eigentlich nur ein Interesse haben: Dass Christian Wulff im Amt bleibt, es ihm aber möglichst bald gelingt, die Affäre um die Finanzierung seines Privathauses hinter sich zu lassen. Einfluss darauf aber hat sie kaum. Christian Wulff allein entscheidet, ob er die Sache durchsteht oder geht, und er allein weiß, ob es noch weitere unschöne Dinge gibt, die ans Tageslicht kommen und die Affäre verlängern könnten.
Das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Wulff war immer mehr professionell als herzlich. Sie ist zudem unsentimental genug, Personen fallen zu lassen, falls das ihren Interessen nützt. Aber sie hat die Entscheidung diesmal nicht in der Hand.
Autor: Peter Stützle
Redaktion: Kay-Alexander Scholz