Herkulesaufgabe EU-Gipfel
14. Juni 2007Eine Woche vor dem EU-Gipfel ist nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel noch keine Lösung im Streit um die Grundzüge des EU-Verfassungsvertrags in Sicht. Die zentrale Streitfrage der künftigen Stimmengewichtung stehe weiter im Raum, sagte die EU-Ratspräsidentin in einer Regierungserklärung zur Europapolitik am Donnerstag (14.6.07) im Berliner Reichstag. Mit Blick auf die Veto-Drohung Polens betonte Merkel, eine Lösung könne nur einstimmig gefunden werden und müsse die gesamte Europäische Union (EU) voranbringen. "Wir müssen sehen, ob das gelingt. Das ist heute noch völlig offen." Ein Scheitern hätte schwer wiegende Folgen.
Polen will mehr Stimmengewicht
Polens Präsident Lech Kaczynski und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski fordern für ihr Land ein größeres Stimmengewicht in der EU und drohen mit einem Veto beim EU-Gipfel in der kommenden Woche. Merkel sprach von einer "wahren Herkulesaufgabe", die sie in vertraulichen Gesprächen mit sämtlichen Partnerländern zu lösen versucht habe. "In den letzten Wochen hat sich die Zahl der offenen Fragen auf eine überschaubare Anzahl von Punkten reduziert. Die allerdings haben es zum Teil wirklich in sich", sagte sie. "So haben wir jetzt aber die Chance, diesen Fahrplan zu verabschieden - ich sage die Chance, nicht mehr und nicht weniger."
Der notwendige Reformvertrag solle über einen so genannten Änderungsvertrag die Substanz des bisherigen Verfassungsentwurfs bewahren. "Schon jetzt zeichnet sich ab: Staatsähnliche Bezeichnungen und Symbole werden in einem neuen Vertrag nicht aufgenommen. Sie stehen für zu viele unserer Partner für den so genannten europäischen Superstaat."
Gipfeltreffen wird Nagelprobe
Das Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung müsse das Gipfeltreffen Ende nächster Woche in Brüssel leiten, mahnte sie. Auf dem Gipfel zum 50-jährigen Jubiläum der EU im März in Berlin habe sich die Gemeinschaft zum Ziel gesetzt, bis zu den Europawahlen 2009 einen Verfassungsvertrag unter Dach und Fach zu bringen. "In Berlin konnte der Stillstand aufgebrochen werden", sagte Merkel und forderte: "Nach zwei Jahren Denkpause und sechs Monaten intensiver Konsultationen wollen wir jetzt einen deutlichen Schritt nach vorne schaffen." Das Gipfeltreffen Ende nächster Woche in Brüssel markiert den Schlusspunkt der sechsmonatigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy diskutiert im Laufe des Tages in Warschau mit der polnischen Führung Lösungen zum EU-Verfassungsstreit.
In einem Interview vor seinem Warschau-Besuch forderte Sarkozy die polnische Regierung auf, ihre derzeitige Blockadepolitik aufzugeben.
Sarkozy: Ohne Kompromiss - kein Europa
"Ohne Kompromiss gibt es kein Europa", sagte er der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza". Sowohl der polnische Staatspräsident
Auch Polen trage Verantwortung für Europa, mahnte Sarkozy. "Wenn jedes Land sagte, dass es ihm nur um das eigene Interesse gehe, gäbe es kein Europa." Er werde seinen polnischen Gesprächspartner sagen, "dass sie nicht am institutionellen Gleichgewicht rütteln können, das in der Verfassung ausgearbeitet wurde".
Auch der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, mahnte Polen in einem Interview mit der Zeitung "Dziennik" zum Kompromiss. "Wenn Polen weiterhin Solidarität bei der Energiesicherheit erwartet, muss es endlich zur Kenntnis nehmen, dass in der Union schon sehr lange über die Entscheidungsfindung diskutiert wurde", betonte er. "Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sie ist eine Verpflichtung für alle, auch für Polen", sagte Pöttering. Lech Kaczynski als auch Regierungschef Jaroslas Kaczynski wollen noch einmal über die Stimmengewichtung im europäischen Rat verhandeln. (vem)