Merkel beginnt G8-Tag mit Regierungserklärung
26. Mai 2011Kurz vor ihrer Abreise ins französische Deauville hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestages am Donnerstag (26.05.2011) eine Regierungserklärung zum G8-Gipfel abgegeben.
In ihrer gut zehnminütigen Rede brachte die Kanzlerin die Themen Umbruch in der Arabischen Welt, die Lage zwischen Israel und den Palästinensern in Nahost, die weltweite Atompolitik nach der Fukushima-Katastrophe sowie die Klimapolitik zur Sprache.
Syrien: "Riesenproblemfall"
Zunächst zeigte sich die Kanzlerin erfreut über die Zeitenwende in der Arabischen Welt. Tunesien und Ägypten würden ein neues Gesicht zeigen. Dagegen verurteilte Merkel die Anwendung von Gewalt der libyschen und syrischen Regierungen gegen das eigene Volk aufs Schärfste. "In Libyen und in Syrien halten sich die Führungen nur noch durch rohe Gewalt gegen die eigene Bevölkerung an der Macht", kritisierte sie. "Syrien ist ein Riesenproblemfall und deshalb sollten wir hier alles daran setzten, die Gewalt dort auch zu verurteilen und ganz eindeutig zu verurteilen."
Merkel sagt konkrete Unterstützung zu
Merkel sagte Deutschlands Beitrag im Hinblick auf die Entwicklungsbestrebungen für mehr Demokratie, Pluralismus und Marktwirtschaft zu. Die Kanzlerin stellte aber auch fest, dass die Völker ihren eigenen Reformweg finden und beschreiten müssen.
Als mögliche Unterstützung nannte die CDU-Chefin die Verbesserung der Arbeitsmarktlage. Die arabischen Reformländer Ägypten und Tunesien bräuchten Hilfe von außen, erklärte Merkel. Daher wolle sie sich beim G8-Gipfel für ein "bedeutendes Maßnahmenpaket" einsetzen. Konkret solle die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen bekämpft werden. Stichwort sei die "Partnerschaft für Beschäftigung".
Schuldenverzicht Deutschlands
Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich solle die internationale Gemeinschaft aktiv werden, so Merkel. So sollten Unternehmen in neue Arbeits- und Ausbildungsplätze investieren. Dabei sei das deutsche duale Ausbildungssystem, also die Kombination von Praxis und Berufsschule, Vorbild.
Die Kanzlerin kündigte an, in Ägypten 5000 neue Arbeitsplätzen und 10.000 Ausbildungsplätze schaffen zu wollen. Tunesien solle bei der Vermittlung und Qualifizierung arbeitsloser Akademiker sowie beim Aufbau eines Sektors kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Beratung und Finanzhilfen gezielt unterstützt werden. Es müsse alles dafür getan werden, dass politischer Fortschritte nicht durch ökonomische Instabilität gefährdet werde, so die CDU-Chefin. Deutschland sei dafür auch zu einem Schuldenverzicht bereit.
Nahost-Gespräche wieder aufnehmen
Merkel äußerte sich auch zum anhaltenden Nahostkonflikt. Einseitige Richtungen seien immer schwierig, erklärte sie. So sei Israels Siedlungspolitik genauso unbefriedigend wie die Haltung der Palästinenser. "Das Ziel sind zwei Staaten, die Seite an Seite friedlich miteinander leben", so die Kanzlerin. Sie unterstützt den Vorschlag des US-Präsidenten Barack Obama, dass die Schlüsselfrage "Grenzen" schnell geklärt werden solle. Die Friedensverhandlungen müssten bald wieder beginnen. Denn: "Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt, auch mit den Palästinensern, das ist der beste Schutz Israels."
Weltweite AKW-Stresstests?
Zum Thema Atompolitik kündigte Merkel an, sich für eine "kritische Überprüfung" aller bestehenden und geplanten kerntechnischen Anlagen weltweit einsetzen zu wollen. Beim G8-Gipfel werde sie sich im Kreise der größten Industriestaaten für diese Stresstests sowie höchste Sicherheitsstandards einsetzen, sagte die CDU-Politikerin. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima sei es notwendig, die nuklearen Gefahren neu zu beleuchten. Merkel kündigte auch an, sich bei dem Treffen mit dem japanischen Regierungschef Naoto Kan über die Folgen von Fukushima und die aktuelle Lage in dem Atomkraftwerk zu informieren.
Weitere Details zur bevorstehenden Entscheidungen über den Atomausstieg in Deutschland gab die Kanzlerin nicht bekannt. Sie verwies auf die für den 30. Mai erwarteten Ergebnisse der Energie-Ethikkommission. "Wenige Tage später werden wir die notwendigen Entscheidungen im Bundestag und Bundesrat treffen", fügte sie hinzu.
Im Zusammenhang mit der Energiewende bekräftigte die Kanzlerin die deutschen Klimaziele und die Vorreiterrolle der Bundesrepublik international. "Wir gehen voran, damit andere unserem Beispiel folgen", sagte Merkel. Die internationalen Klimaverhandlungen hätten nach dem Gipfel von Cancun Ende 2010 neue Dynamik gewonnen, doch sei der Fortschritt immer noch eine Schnecke. Nötig sei ein viel konsequenteres Handeln als jetzt. Ziel der Bundesregierung bleibe ein neues umfassendes internationales UN-Klimaabkommen.
Steinmeier: "Außenpolitik in Lethargie"
"Niemand hat Sie gezwungen, hier heute Morgen eine Regierungserklärung abzugeben. Aber ich finde, wenn Sie eine abgeben, hat das Parlament mehr verdient als diesen leidenschaftslosen Rechenschaftsbericht", mit diesen Worten eröffnete der SPD-Fraktonsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier die anschließende Debatte.
Der ehemalige Bundesaußenminister warf der Regierung zudem "Außenpolitik in Lethargie" vor. Deutschland fehlten eigene Antworten auf den Umbruch in Nordafrika und den "Sturm" im Nahen Osten, kritisierte der SPD-Politiker. Damit sei die Bundesrepublik weltweit und in Europa in die Peripherie geraten.
Auch zum Gipfel in Deauville fahre Bundeskanzlerin Merkel ohne außenpolitischen Gestaltungsanspruch und ohne substanziellen Beitrag. Steinmeier führte als Beispiele an, dass Deutschland keinen eigenen Kandidaten für die Nachfolge von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn präsentiert habe und auch US-Präsident Barack Obama nicht zu einem Abstecher nach Deutschland habe bewegen können.
Der Oppositionsführer im Bundestag kritisierte auch die fehlende einheitliche Linie der europäischen Außenpolitik. Es sei beschämend, dass Europa außerstande sei, eine Antwort auf den Umbruch in Nordafrika zu finden. Stattdessen habe der US-Präsident die Größe der Aufgabe beschrieben, die eine Art Marshall-Plan für den Maghreb erfordere.
G8-Treffen beginnt
In dem Badeort Deauville in der Normandie treffen ab Donnerstag für zwei Tage die Staats- und Regierungschefs der acht führenden Industrienationen zusammen. Zur so genannten G8 gehören die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Russland.
Am Donnerstagabend soll bei einem Abendessen der Wandel in der arabischen Welt Thema sein. Am Freitag beteiligen sich zudem die Regierungschefs von Ägypten und Tunesien, Essam Scharaf und Béji Caïd Essebsi, an den Gesprächen.
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot