Menschenrechtler: USA missachten Privatsphäre
21. Januar 2014Der US-Geheimdienst NSA hat weltweit täglich nahezu 200 Millionen SMS-Nachrichten gesammelt, meldeten vor Kurzem britische Medien. Doch diese jüngste Enthüllung aus der scheinbar unermesslichen Materialsammlung des Whistleblowers Edward Snowden hat weltweit kaum noch für Empörung gesorgt. "Wir haben eine Stufe erreicht, wo uns diese Dinge nicht mehr überraschen. Wir reagieren zusehends abgestumpft", sagt der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar der DW.
Er kritisiert: "Es scheint, als sei die Politik gar nicht willens, die Ausspähmöglichkeiten der Geheimdienste zu beschränken und die Nachrichtendienste rechtsstaatlich zu kontrollieren." Und das sei das eigentlich Empörende an den Enthüllungen über die Machenschaften der US-Geheimdienste, die seit Jahren weltweit Kommunikationsdaten sammeln und speichern. Und zwar sowohl von US-Bürgern als auch von Angehörigen anderer Staaten, egal, ob die Daten in den Vereinigten Staaten oder anderswo auf der Welt erzeugt wurden.
"Die USA erkennen immer noch nicht an, dass jedermann ein Recht auf Privatsphäre hat", kritisiert auch der Exekutivdirektor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, gegenüber der DW. Daran habe sich auch durch Obamas Rede nichts geändert. "Er hat zwar gewisse Reformen versprochen, aber das Grundproblem, der fehlende Respekt vor dem Recht auf Privatsphäre, besteht weiterhin."
Privatsphäre durch Digitalisierung abgeschafft
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft der US-Regierung vor, sie habe "in einer Welt, die auf elektronische Kommunikation angewiesen ist, das Recht auf Privatsphäre weitestgehend abgeschafft". Niemand stelle infrage, dass die nationale Sicherheit "von Regierungen manchmal verlangt, gezielte Überwachungen aufgrund von Beweisen" anzuordnen, schreibt HRW in ihrem Jahresbericht, dem World Report 2014. Allein die Tatsache aber, dass ein großer Teil der weltweiten Internet- und Mobilfunkdaten über US-Firmen ausgetauscht werde, gebe der Regierung nicht das Recht, "nicht US-Bürgern außerhalb der USA zu unterstellen, sie hätten kein anerkanntes Interesse auf Schutz ihrer Privatsphäre in ihrer Kommunikation", so die Menschenrechtsorganisation, die den World Report am Dienstag (21.01.2014) in Berlin vorstellte.
Was aber ist im Zeitalter der digitalen Kommunikation noch privat? In sozialen Netzwerken kehren die Menschen bedenkenlos ihr Innerstes nach außen. In der Öffentlichkeit wird per Handy über Belangloses und Intimes gleichermaßen telefoniert. Konsumgewohnheiten werden im Internet preisgegeben. "Privatsphäre ist im digitalen Zeitalter nicht mehr als eingegrenzte Rückzugssphäre des Einzelnen zu betrachten", sagt Datenschützer Johannes Caspar. "Die Privatsphäre ist das Recht des Einzelnen, darüber zu entscheiden, welche personenbezogenen Daten er mit anderen teilt, und welche er mit anderen nicht teilen möchte", erläutert er im DW-Interview. Das Bundesverfassungsgericht habe hierzu den Begriff der "informationellen Selbstbestimmung" geprägt. "Es ist eine Frage der individuellen freien Wahl, Daten herzugeben, oder Daten bei sich selbst zu behalten."
Recht auf Datenschutz
In Deutschland ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung allerdings nicht explizit durch das Grundgesetz geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat es Anfang der achtziger Jahre in Zusammenhang mit einem Urteil zur damals umstrittenen Volkszählung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt. International ist ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgeschrieben. Allerdings sieht auch dieses Abkommen kein rechtsverbindliches Instrument für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre vor.
Unter dem Eindruck der Snowden-Enthüllungen hat die UN-Vollversammlung im vergangenen Jahr eine von Deutschland und Brasilien eingebrachte Resolution zum Schutz persönlicher Daten verabschiedet. Für Johannes Caspar ist diese Resolution ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber noch nicht ausreichend. "Der Schutz der Privatsphäre muss auch klar gegenüber den Geheimdiensten und Regierungen gewährleistet werden", fordert er.
Nach der Rede von Barack Obama gibt es derzeit jedoch wenig Hoffnung, dass die USA das Grundrecht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung anerkennen. Und das von Deutschland geforderte No-Spy-Abkommen hat Obama mit keinem Wort erwähnt. "Die Bundesregierung sollte mehr Druck auf die USA ausüben. Das gilt aber auch auf EU-Ebene. Wir brauchen europaweit eine einheitliche Position im Datenschutz, die uns auf Augenhöhe mit den USA bringt", fordert der Hamburger Datenschutzbeauftragte Caspar. Seit 2012 werde in der EU über eine Datenschutz-Grundverordnung diskutiert. "Die hätte im Umgang mit US-Dienstleistern europaweit Vorgaben machen können."
Im Mai wird ein neues Europaparlament gewählt. Bis dahin wird es wohl keine einheitliche EU-Datenschutzrichtlinie geben. Und in den USA werden weiterhin E-Mails und Handy-Verbindungen gesammelt und gespeichert - allerdings jetzt nicht mehr vom Geheimdienst, sondern von den Telekommunikationsfirmen. Und deren oberste Aufgabe ist nicht die Wahrung von Grundrechten.