Menschenhandel nimmt massiv zu
22. Juli 2015Monsunzeit in Nepal. Seit Wochen regnet es Bindfäden. Viele Menschen müssen immer noch in Notunterkünften ausharren. Tausende von Überlebenden harren seit der Erdbebenkatastrophe in Zelten aus. Viele andere müssen im Freien übernachten. Beim Erdstoß Ende April mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala kamen mindestens 9.000 Menschen ums Leben. Eine halbe Million Häuser wurde zerstört. Nach UN-Berechnungen sind acht Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen. Das entspricht einem Drittel der gesamten Bevölkerung Nepals.
Gewalt in den Camps
Während viele Menschen noch mit den unmittelbaren Folgen des Bebens zu kämpfen haben, hat die Anzahl sexueller Übergriffe in den Notunterkünften zugenommen. Opfer sind Mädchen und Frauen, die ihre Familien verloren haben. In einem der Flüchtlingscamps in Kavre, rund 60 Kilometer von der Hauptstadt Kathmandu entfernt, wurde vermehrt über sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen berichtet. "Die Täter kamen aus dem Nachbarort", berichtet Preeti Khasla, "sie waren oft betrunken und wurden schnell gewalttätig."
In den vergangenen Wochen hat sich Khasla mit ein paar Mitbewohnerinnen zu einer Art "Opfer- und Schutzverein" zusammengeschlossen. Sie wollen sich und andere Frauen im Camp schützen und die Eindringlinge fernhalten. Viele Frauen in Nepal ereilt dasselbe Schicksal von Khasla, vor allem in den ländlich und schwer zugänglichen Regionen.
Kinder schutzlos ausgeliefert
Besonders gefährdet sind Hunderttausende von Kindern, deren Gesundheit und Wohlbefinden auf dem Spiel steht. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF berichtet, dass viele Frauen und Kinder aufgrund mangelnder Perspektive Nepal verlassen, um in Indien als Prostituierte oder als Kinderarbeiter zu arbeiten. Nach dem Erdbeben würden die sozialschwachen Gruppen gezielt von den Menschenhändlern ins Visier genommen.
"Der Verlust von Hab und Gut sowie die Verschlechterung der Lebenssituation lifern den Menschenhändlern Gründe, mit denen sie die Eltern überzeugen, dass sie ihre Kinder freigeben sollen", sagt Tomoo Hozumi, Länderreferent von UNICEF für Nepal. "Die Menschenhändler versprechen Bildung, Essen und eine bessere Zukunft für die Kinder. Aber viele von ihnen werden schamlos ausgebeutet."
"Bittere Tatsache"
Zu Zeiten größter Not nimmt in der Regel auch die sexuelle Gewalt zu, da die öffentliche Verwaltung nicht funktioniert, die Einhaltung von Gesetz und Ordnung nicht überwacht wird und die sozialen Netze zerrissen sind. Auch in Nepal ist das nicht anders. Die ersten Anzeichen sind alarmierend. "Es gibt Berichte über Kindesmissbrauch und sexuelle Übergriffe auf Frauen. Die Täter kommen meist aus den benachbarten Camps", sagt Shree Shankar Pradhananga, Direktor vom SOS-Kinderdorf, im Interview mit der Deutschen Welle. "Das ist leider eine bittere Tatsache."
Sanjeev Shakia, Koordinator für Humanitäre Hilfe Nepals, sagt der DW: "Wir haben sehr hart dafür gearbeitet, dass unsere Kinder und Frauen sicher sind. Natürlich ist es sehr wichtig, ihnen den nötigen Schutz anzubieten. Es gab sehr viele Berichte über vermisste Mädchen. Wir müssen uns überlegen, wie wir sie wieder finden."
Verstärkte Kontrolle
Es gibt keine zuverlässigen Zahlen über die entführten Frauen und Mädchen nach dem Erdbeben. Die internationalen Hilfsorganisationen berichten, dass seit Mai circa 250 Waisenkinder aus der Gefangenschaft der Menschenhändler befreit worden seien. Die nepalesische Zentralregierung hatte zuvor angeordnet, dass Kinder unter 16 Jahren nur in Begleitung ihrer Eltern oder mit Zustimmung des zuständigen Jugendamts ihre Heimatstadt verlassen dürfen.
Dennoch hatte die paramilitärische Einheit Sashastra Seema Bal (SSB), die nachrichtendienstliche Informationen an der 1.751 Kilometer langen Grenze zwischen Indien und Nepal sammelt, mehr als 50 Jungen und Mädchen aufgehalten, die als Opfer von Menschenhändlern gelten. Im Juni wurden 15 Menschenhändler beim Versuch festgenommen, Teenager illegal nach Indien zu schleusen. Die Behörden gehen davon aus, dass die Opfer zu Prostitution und Kinderarbeit gezwungen werden sollten.
"Wir müssen wachsam bleiben", sagt SSB-Chef General B.D. Sharma. "Die Kontrolle auf den kritischen Strecken wurde verstärkt." Dennoch bietet Nepal nach dem Erdbeben einen fruchtbaren Boden für Menschenhändler, die ständig auf der Suche nach neuen Opfern sind.